Mit Schwert und Kamera

von Jessica Allemann 15. Oktober 2012

Eine Mittelalter-Schwertkampftruppe zieht los, um mit Schwert, Bogen und Kamera gegen das Halbwissen über das dunkle Zeitalter zu kämpfen.

«Ich muss noch einige Teile des Drehbuchs ins Mittelhochdeutsche übersetzen und gleichzeitig meinen Part üben», sagt Andreas Rub wenige Tage vor Beginn der Dreharbeiten des Kurzfilms «1251», und wirkt dabei erstaunlich entspannt. Der studierte Historiker und Deutschlehrer der Berner Sozialjahr-Schule Juveso ist für die Ausstattung und die historische Beratung der Schwerkampftruppe «Liberi Ensis» zuständig und spielt gleichzeitig den «Haganrich», eine Hauptrolle im Film. Dieser spielt im Jahr 1251 in der Umgebung der Stadt Thun und der Strättligburg und handelt von der Familie von Stretelingen.

Spielverderber im Auftrag der Authentizität

Handlung und Ausstattung orientieren sich an historischen Vorlagen aus dieser Zeit. Die korrekte Darstellung der mittelalterlichen Lebensumstände im Film ist Rub wichtig. So war er es denn auch, der sich der «erst recht abenteuerlichen und allzu prototypisch mittelalterlichen» ersten Fassung des Drehbuchs annahm und ihm einen wissenschaftlich fundierten Hintergrund verschaffte.

«Mir war es wichtig, zu fragen, wer diese Menschen im Drehbuch sein könnten, und wieso sie sich eine solch teure Rüstung überhaupt leisten konnten», erklärt er. Denn so verschwenderisch mit Metall und Leder umgegangen sei dazumal wohl keiner, wie man es sich heute ausmalt. «Wenn wir schon eine Geschichte erzählen, dann auch richtig». Mit dieser Einstellung sei er anfänglich ein Spielverderber gewesen. Wenn er etwa eine selbst gemachte Rüstung «zwar als schön, aber leider nicht authentisch genug» bezeichnete, oder das geschmiedete Schwert zu wenig nah am überlieferten Original war. Inzwischen sei das ganze Team mit seinem zentralen Anspruch der historisch korrekten Aufarbeitung der Geschichte einverstanden und bemüht, Rubs hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Rub ist übrigens auch bereit, gewisse Kompromisse einzugehen: «Bei den Gewändern nähen wir die nicht sichtbaren Nähte maschinell.»

Wollschweine und andere Schwierigkeiten

Auf dem Filmset, gedreht wurde hauptsächlich in der freien Natur und auf der Strättligburg am Thunersee, wird erst deutlich, wie ernst es dem rund 30-köpfigen Filmteam mit der historischen Authentizität ist. So hat sich die Truppe vor Drehbeginn daran gemacht, den Kiesboden des gesamten Innenhofs der Burg aus dem Bild zu wischen, Feuerstellen und andere modernere Objekte mit Holz zu verkleiden und dieses mit Schlamm und Flammeneinwirkung altern lassen. Und es wird auch Mal kurzerhand eine ganze Einstellung umgeplant, weil eine Schraube in der Türe im Hintergrund der Szene nicht mittelalterlich genug ist. Eine der grossen Herausforderung war es, «richtige» Schweine für die Burgen-Atmosphäre zu organisieren. «Im Mittelalter hatten die Schweine noch richtige Borsten», erklärt Rub. Die heutigen rosaroten Hausschweine hätten so gar nicht ins Bild der Strättligburg gepasst. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ein Bauer aus der Gegend sich dazu bereit erklärte, drei seiner Wollschweine für den Dreh zur Verfügung zu stellen. «Die kommen optisch dem mittelalterlichen Schwein am nächsten», sagt Rub.

Mittelhochdeutsch mit schweizerdeutschem Akzent

Das Filmprojekt «1251» sei ein lang gehegter Wunsch der Gruppe gewesen. Seit vier Jahren wird an der Geschichte gefeilt, seit zwei Jahren arbeitet die Gruppe an der Realisierung des Films. Vom Lederschuh übers Schwert bis zur Metallplättchenrüstung, der sogenannten Brigantine, wurde die gesamte Ausstattung eigenhändig und nach historischem Vorbild geschustert und geschmiedet. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sollen ihren Text zudem in Mittelhochdeutsch sprechen, um einer realistischen Darstellung so nah wie möglich zu kommen. Dies sei weniger schwierig, als es klinge, meint Rub, denn Schweizerdeutsch sei eine gute Voraussetzung, um den alten Dialekt zu sprechen. Man orientiere sich an den überlieferten Hinweisen und der sprachhistorischen Wissenschaft, was die Aussprache angehe, «das mit schweizerdeutschem Akzent gesprochene Mittelhochdeutsch ist letztendlich aber einfach meine persönliche Interpretation des Sprachgebrauchs des niederen Volkes im mittelalterlichen Thun». Trotz aller Bemühungen um historische Authentizität sei der Film aber kein Dokumentarfilm, betont Rub. Es werde eine fiktive Geschichte möglichst spannend erzählt. Und wie soll es anders sein, wenn «Kinder des Schwerts» die Kamera zur Hand nehmen: «Fast die Hälfte des rund halbstündigen Films zeigt eine stürmische Verfolgungsjagd und wilde Kampfszenen.»

Im Kampf historisches Wissen erlangen 

Nicht nur der Film, auch die eigentliche Aktivität der 15-köpfigen Truppe, die Schwertkampfkunst, soll möglichst ursprünglich sein. Während zu Gründerzeiten der noch möglichst wild aussehende Schaukampf im Mittelpunkt stand, nähert sich die Gruppe immer mehr dem Anspruch historischer Authentizität an. Inzwischen verstehen sich ihre Mitglieder nicht mehr nur als Freizeitgruppe mit einer besonderen Affinität zu einer historischen Epoche. Ihr Ziel ist es nunmehr, sich so fachkundig wie möglich mit der Geschichte und der Kampfkunst des Mittelalters auseinanderzusetzen. Erfahrungsschätze werden dort geholt, wo sie nötig sind. Dazu gehört die Quellenanalyse genauso wie die sportmotorische Auseinandersetzung mit dem überlieferten Wissen. Nicht zuletzt gibt das Ausprobieren der beschriebenen Angriffstaktiken in Rüstung und mit Eisenschwert wichtige Hinweise auf die damalige Zeit. «Durch das Training erfahren wir, ob die überlieferten Kampftechniken überhaupt funktionieren. So können wir das Bild der damaligen Lebensumstände ein Stück weit rekonstruieren», erzählt Rub, «das kommt der experimentellen Geschichtswissenschaft schon sehr nahe».

«Ich werde nicht gerne als Mittelalter-Freak bezeichnet»

Das erlangte Wissen teilen die Mitglieder der Truppe mit Interessierten an Schwertkampf-Workshops an Mittelalterfesten. Das Vermitteln eines realistischeren Bildes des Mittelalters und das Darlegen ihrer gewissenhaften Herangehensweise versteht Rub letzten Endes als Abgrenzung gegenüber den «Spasstrinkern im Kostüm», welche an den Mittelalterfesten auch anzutreffen sind, und die dazu beitragen, dass die Mittelalterszene belächelt werde. «Ich werde nicht gerne als Mittelalter-Freak bezeichnet. Umso wichtiger ist es, zu zeigen, dass wir uns professionell mit dem Thema auseinandersetzen und mit dem romantisiert-verklärten Mittelalterbild nichts am Hut haben.»