Ganz seiner Namensgebung verpflichtet hat das Kollektiv Frei_Raum letzten Samstag auf dem Waisenhausplatz ein Stück Raum für Träume geschaffen. Anlässlich des 100. Geburtstages von Meret Oppenheim widmet sich das Berner Kulturkollektiv mit dem szenischen Hörspiel «Wir träumen Meret» dem Schaffen der deutsch-schweizerischen Künstlerin und Lyrikerin. Im Zentrum steht einerseits eines ihrer bekanntesten Werke: der moosbewachsene Brunnen auf dem Waisenhausplatz. Andererseits setzt sich das Projekt mit Oppenheims lebenslanger Arbeit sowie ihren Träumen auseinander.
Die Initiatorinnen des Projekts gehören dem Kollektiv Frei_Raum an, das unter anderem auch für den unabhängigen Weihnachtsmarkt «Winterwunderland» oder das integrative Festival «Säbeli Bum» im Lorrainebad verantwortlich ist und vergangenen Sommer die Waschküche im Beaumont-Quartier für kulturelle Anlässe zwischennutzte.
Träume sammeln
Das aktuelle Projekt, die Premiere des Hörspiels «Wir träumen Meret», wurde mit einer kleinen Performance gefeiert. Begleitet von leisen Saxophonklängen und dem konstanten Plätschern des Wassers, welches das Werk Oppenheims mit jedem Tropfen weiter formt, standen sechs Schauspieler um den Brunnen und liessen die Zuhörer an «ihren» Träumen teilhaben.
«Ihre Träume dienten Meret Oppenheim als wichtige Inspirations- quelle.»
Martina Messerli, Autorin
Meret Oppenheim selbst hat ihre Träume nicht nur protokolliert und der Nachwelt als intimes Vermächtnis hinterlassen, die Träume dienten ihr auch als wichtige Inspirationsquelle. Ausgehend vom Zitat «Der Künstler träumt für die Gesellschaft» nehmen sich die Theaterschaffenden dem Phänomen des Träumens an. Dazu haben sie an verschiedenen Anlässen aber auch via Social-Media-Kanäle Träume gesammelt. Ein dickes, rotes Traumbuch erzählt witzige, beklemmende und absurde Träume, wie wir sie alle kennen, wenn wir uns denn am Morgen daran erinnern können. Einige dieser gesammelten Träume sind nun Teil des Hörspiels geworden und dieses startet im Kunstmuseum.
Von verhasst zu akzeptiert
Gleich nachdem man dort Kopfhörer und Augenbinde abgeholt hat, geht es los. Noch im Museum selbst lotst einem die Stimme zum Ausgang, die Treppe hinunter, dann links in Richtung Waisenhausplatz. Die kurze Stadtführung, die interessante Fragen zu Kunst im öffentlichen Raum aufwirft, führt durch die Hodlerstrasse direkt zum Oppenheim-Brunnen. Dort angekommen vermischen sich Fakten zu Oppenheims Werk mit ganz persönlichen Erfahrungen, die wohl jeder Stadtberner mit dem umstrittenen Brunnen verbinden kann.
So erzählt zum Beispiel ein Angestellter der Stadtreinigung worauf es bei der Reinigung der Umgebung des Brunnens ankommt und Lilly Keller, neben Meret Oppenheim eine der prägenden Figuren der Berner Kunstszene, erinnert sich an die Entstehungsgeschichte des Brunnens, der – einst als Schandfleck bezeichnet – mehr und mehr an Akzeptanz gewann. Keller erinnert sich auch an die Künstlerin selbst und berichtet, was sich Oppenheim heute für ihr Werk wünschen würde. Denn der glitschig moosige Turm, das Stück ungezähmte Natur mitten in der Stadt, leidet unter Alterserscheinungen, der unregelmässig wuchernde Tuffstein bringt den 1983 erbauten Brunnen in Schieflage. Immer wieder stellt sich die Frage, was mit dem Brunnen geschehen soll.
«Ein waghalsiger Versuch»
Während die Wintersonne seit langem mal wieder mal die Glieder wärmt, vermischen sich derweil im Hörspiel Fakten und Träume. Erst klar und geordnet, je länger der Tagtraum mit geschlossenen Augen auf dem Waisenhausplatz jedoch andauert, umso wirrer verweben sich Oppenheims Traumprotokolle mit anderen Träumen, philosophischen und wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema Traum und dem samstäglichen Trubel der Stadt.
«… und irgendwann verschwinden die Grenzen zwischen Tonträger und Umwelt dann ganz.»
Martina Messerli, Autorin
Das Konglomerat aus Wort- und Klangfetzen vermischt sich mit den Geräuschen der Umgebung und irgendwann verschwinden die Grenzen zwischen Tonträger und Umwelt dann ganz: das Brummen der Lastwagen, das tief fliegende Flugzeug mit Kurs auf Belp und die Ambulanz, die mit heulender Sirene durch die Schüttestrasse rast, und als alles untermalendes Geräusch das unentwegte Plätschern des Brunnens.
Das Hörspiel sei der erste Teil des «waghalsigen Versuchs, einen Traum für die Gesellschaft zu kreieren», so die Initiatorinnen. Im Mai und Juni 2013 steht die Uraufführung eines Theaterstückes auf dem Programm. Wie bereits am Hörspiel sind auch am Theaterprojekt zwei Schauspieler mit Down-Syndrom und eine Schauspielerin mit einer Sehbehinderung beteiligt. Gemeinsam mit dem Kollektiv Frei_Raum greifen sie die gesammelten Träume auf, stellen den Tag- dem Nachttraum gegenüber und übertragen auch hier wieder die Arbeitsgrundlage Meret Oppenheims, das Träumen, auf die Theaterarbeit.
Das Stück wird im kommenden Frühling im Sonarraum im Progr aufgeführt werden, von wo aus man durch einen Lüftungsschacht einen Blick auf den Brunnen erhaschen kann.