Menschen schützen, Kulturgüter erhalten

von Christoph Reichenau 17. Oktober 2022

Die Berner Architektin und Münsterbaumeisterin Annette Loeffel ist neu zur Vorsitzenden der europäischen Vereinigung der Dombaumeister gewählt worden. Die Vereinigung erliess in Greifswald eine wichtige Erklärung für den Schutz der Menschen und Kulturgüter in der Ukraine.

Sie nennen sich Dombau-, Hüttenbau-, Hüttenmeister. Sie sind Architekt*innen, Steinmetz*innen, Restaurator*innen. Aus 17 europäischen Ländern kommend, treffen sie sich jährlich zum Erfahrungsaustausch, letzthin in Greifswald in Deutschlands Osten, nahe der Ostsee.

Greifswald

Die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald ist wenig kleiner als Bern, geprägt durch Backsteingotik, der Dom ist älter als das Berner Münster, ein berühmter Künstler der Stadt ist der Maler Caspar David Friedrich. Greifswald liegt nahe dem westlichen Landepunkt der fertiggestellten, aber nicht in Betrieb genommenen Erdgaspipeline Nord Stream 2. Nicht weit davon entfernt, in Schwedt, liegt die vor kurzem vom deutschen Staat übernommene Gazprom-Anlage, die russisches Öl raffiniert.

Die Heiligen Berge Lavra der Heiligen Dormition (Svjatohirsk-Höhlenkloster), Gebiet Donezk, östlich der Ukraine. Teil des Gebäudeensemble des 16.-21. Jahrhunderts (Foto: zvg).

In Greifswald also, im Mittelalter verankert, kulturell geprägt bis in die Moderne (Martin Gropius erbaute die Bibliothek) und auch im Zentrum der deutsch-russischen Öl- und Erdgas-Beziehung, wo die Vergangenheit lebendig ist und der russische Krieg gegen die Ukraine nahe, formulierte der Verein Dombaumeister dieser Tage die Greifswalder Erklärung.

Die Erklärung

Die Erklärung verweist einleitend darauf, dass 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in zahlreichen Städten Europas noch Schäden beseitigt werden müssen. «Dies führt uns die nachhaltige zerstörerische Kraft von Kriegen vor Augen, der wir mit Wiederaufbau und Völkerverständigung begegnen wollen.» Die Dombaumeister verurteilen diesen Krieg, der sich «gegen die Menschen in der Ukraine und die kulturellen Zeugnisse von Generationen» richte.

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In der Erklärung wird Russland aufgefordert, den Krieg zu beenden; alle Parteien werden ermahnt, die Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten einzuhalten. Alle Regierungen, die nicht-gouvernementalen Organisationen, die UNO und die Fachorganisationen für Denkmäler und Museen sollen sich einsetzen, um der Ermordung von Menschen und der Zerstörung von Kulturgütern Einhalt zu gebieten.

Eine Ermutigung

Es ist eine würdige, eindeutige Erklärung. Bewirken wird sie wenig. Ist sie deshalb überflüssig? Im Gegenteil: Indem sie das Selbstverständliche ausspricht und auf die Nachhaltigkeit von teilweise gegen das Völkerrecht bewusst herbeigeführten Kriegsschäden verweist, beweist sie menschliche Haltung. Und zeigt, dass gerade inmitten der Gräuel Kulturwerke Zuflucht bedeuten und Trost spenden können.

Die Auferstehungskirche, 1913. Lukaschiwka, Gebiet Tschernihiw (Foto: zvg).

Dass eine Bernerin neu die Vereinigung der Dombaumeister präsidiert und damit die Stimme dieser Erklärung ist, ist ermutigend in einer Zeit, in der viele meinen, nichts gegen das Grauen des Krieges und für die Ukrainerinnen und Ukrainer machen zu können.

Der*die Fotograf*in der in diesem Beitrag verwendeten Bildern ist nicht bekannt. Sie entstammen einer Sammlung des ukrainischen Kulturministeriums.