Sie nennen sich Dombau-, Hüttenbau-, Hüttenmeister. Sie sind Architekt*innen, Steinmetz*innen, Restaurator*innen. Aus 17 europäischen Ländern kommend, treffen sie sich jährlich zum Erfahrungsaustausch, letzthin in Greifswald in Deutschlands Osten, nahe der Ostsee.
Greifswald
Die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald ist wenig kleiner als Bern, geprägt durch Backsteingotik, der Dom ist älter als das Berner Münster, ein berühmter Künstler der Stadt ist der Maler Caspar David Friedrich. Greifswald liegt nahe dem westlichen Landepunkt der fertiggestellten, aber nicht in Betrieb genommenen Erdgaspipeline Nord Stream 2. Nicht weit davon entfernt, in Schwedt, liegt die vor kurzem vom deutschen Staat übernommene Gazprom-Anlage, die russisches Öl raffiniert.
In Greifswald also, im Mittelalter verankert, kulturell geprägt bis in die Moderne (Martin Gropius erbaute die Bibliothek) und auch im Zentrum der deutsch-russischen Öl- und Erdgas-Beziehung, wo die Vergangenheit lebendig ist und der russische Krieg gegen die Ukraine nahe, formulierte der Verein Dombaumeister dieser Tage die Greifswalder Erklärung.
Die Erklärung
Die Erklärung verweist einleitend darauf, dass 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in zahlreichen Städten Europas noch Schäden beseitigt werden müssen. «Dies führt uns die nachhaltige zerstörerische Kraft von Kriegen vor Augen, der wir mit Wiederaufbau und Völkerverständigung begegnen wollen.» Die Dombaumeister verurteilen diesen Krieg, der sich «gegen die Menschen in der Ukraine und die kulturellen Zeugnisse von Generationen» richte.
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In der Erklärung wird Russland aufgefordert, den Krieg zu beenden; alle Parteien werden ermahnt, die Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten einzuhalten. Alle Regierungen, die nicht-gouvernementalen Organisationen, die UNO und die Fachorganisationen für Denkmäler und Museen sollen sich einsetzen, um der Ermordung von Menschen und der Zerstörung von Kulturgütern Einhalt zu gebieten.
Eine Ermutigung
Es ist eine würdige, eindeutige Erklärung. Bewirken wird sie wenig. Ist sie deshalb überflüssig? Im Gegenteil: Indem sie das Selbstverständliche ausspricht und auf die Nachhaltigkeit von teilweise gegen das Völkerrecht bewusst herbeigeführten Kriegsschäden verweist, beweist sie menschliche Haltung. Und zeigt, dass gerade inmitten der Gräuel Kulturwerke Zuflucht bedeuten und Trost spenden können.
Dass eine Bernerin neu die Vereinigung der Dombaumeister präsidiert und damit die Stimme dieser Erklärung ist, ist ermutigend in einer Zeit, in der viele meinen, nichts gegen das Grauen des Krieges und für die Ukrainerinnen und Ukrainer machen zu können.
Der*die Fotograf*in der in diesem Beitrag verwendeten Bildern ist nicht bekannt. Sie entstammen einer Sammlung des ukrainischen Kulturministeriums.