Mein Name ist Jonas Jossen und ich werde euch die Geschichte hinter dieser Fotografie ein wenig näherbringen. Ich bin übrigens der mit den Handschellen.
Am Samstag, 29. März 2014, um etwa 13 Uhr kam ich mit der NEAT aus dem Wallis in Bern an und wunderte mich bald darüber, dass die ganze Stadt eine Polizeifestung zu sein schien. Dick gepanzerte, furchteinflössende Männer funkelten die Scharen von Passanten aus allen Ecken und Winkeln der Innenstadt grimmig an. Ich dachte mir nichts dabei; vielleicht ein Fussballmatch mit erwarteten Ausschreitungen.
Mein Bruder wird bald mit seiner Freundin zusammen ziehen und ich sollte ihnen beim Einrichten in der Hauptstadt helfen kommen. Ich schlenderte dummerweise in der Altstadt umher, ich musste mich noch etwa eine Stunde beschäftigen, bis mein Bruder mit dem Umzugswagen eintreffen würde.
Ich war etwas besorgt, da mein Outfit dem eines Demonstranten glich.
Jonas Jossen
Die Polizeimasse wurde mir dann doch etwas unheimlich, ich fragte also einen Passanten, wieso so viele Polizisten herumlungerten. Dieser sagte mir, es sei wegen irgendeiner linken Demo und rechten Gegendemo und so weiter. Ich war etwas besorgt, da mein Outfit – wie immer – dem eines linken Demonstranten glich und kam bald in eine Personenkontrolle. Ich leerte Taschen und Rucksack (in dem nur mein Laptop, ein Schulbuch und meine Agenda waren), liess mich abtasten und zeigte die ID, die sie mit dem Computer überprüften.
Die drei Polizisten waren ernst, aber freundlich und verständnisvoll und liessen mich bald danach gehen, nachdem ich gesagt hatte, dass ich nichts von der Demo gewusst hatte und nur mit dem Tram zu meinem Bruder fahren wolle. Sie rieten mir, die Innenstadt zu verlassen, und das wollte ich dann auch tun. Ich befürchtete nichts, ich war allein, hatte nichts Illegales bei mir, hatte nichts getan und hatte es auch nicht vor.
Auf dem Weg zum Bahnhof wurde ich dann zum zweiten Mal kontrolliert. Wieder leerte ich Taschen und Rucksack, liess mich abtasten und zeigte die ID. Die Polizisten waren ein wenig skeptisch, als ich ihnen von meinem Unwissen berichtete und ich kam mir auch ein wenig blöd vor, da ich zum etwa vierten Mal wiederholte, ich sei in Bern, um meinem Bruder beim Umzug zu helfen. Auch sie liessen mich dann aber gehen, nach dem sie via Telefon in der Zentrale meinen Namen recherchiert hatten.
Die Polizisten forderten mich abermals auf, meine Taschen zu leeren, die ID zu zeigen.
Jonas Jossen
Kaum hundert Meter weiter wurde ich dann zum dritten Mal abgefangen. Ich konnte den Bahnhof schon sehen und wollte einfach nur so schnell wie möglich ins Tram sitzen. Die Polizisten forderten mich abermals auf, meine Taschen zu leeren, die ID zu zeigen. Ich tat es und sagte ihnen auch, dass ich bereits zwei Mal durchsucht worden war. Ich war mittlerweile ein wenig in Eile, da mein Bruder bald ankommen sollte. Als einer der Polizisten mir meine Identitätskarte zurückgab, wollte ich mich auf den Weg machen. Dieser sagte mir jedoch, sie müssen mich noch weiter überprüfen und ich würde bald abgeholt werden. Ich traute meinen Ohren nicht, da ich noch nie das Geringste mit der Polizei zu tun gehabt hatte und ich so etwas nie erwartet hätte.
Bevor sie mein Handy zusammen mit meinem restlichen Hab und Gut in einen Plastiksack steckten, rief ich genervt meinen Bruder an, um ihm zu sagen, dass ich von der Polizei festgehalten werde.
Dann wurden meine Hände auf den Rücken gebunden und ich wurde in einen kleinen Gefangenentransporter geworfen. Nach mehreren Checks und einem Ganzkörperfoto wurde ich mit drei anderen jungen Männern in einen Käfig mit Toi-Toi-Toilette geschlossen, mit freien aber schmerzenden Handgelenken, einem offerierten Snickers, einem Fläschchen Wasser und einem Blatt, das mir meine gesetzliche Situation erklärte.
Als ich mich ein wenig mit den anderen Insassen unterhielt, besserte sich langsam meine Laune. Ich musste jedoch feststellen, dass die anderen etwa so schuldig waren wie ich. Wir bekamen im Minutentakt Gesellschaft von neuen Gefangenen. Etwa 90 Prozent sahen nicht einmal verdächtig aus, das heisst weder wie Rechtsextreme noch wie Linksextreme.
Wieder ein anderer wurde einfach auf dem Schulweg angehalten und mitgenommen.
Jonas Jossen
Zwei von ihnen waren italienische Austauschstudenten, die mit anderen Austauschstudenten zum gemütlichen Biertrinken auf der Grossen Schanze verabredetet gewesen wären. Wieder ein anderer wurde einfach auf dem Schulweg angehalten und mitgenommen. Auch immer mehr junge Ausländer füllten langsam die Zelle, die jetzt einfach wirklich nicht an einer Links-Rechts-Demo teilnehmen würden. Einer von ihnen hatte sogar Krücken und sagte, er sei mit seiner Freundin aus dem Tram gestiegen und wurde dann sofort abgeführt. Die Krücken wurden ihm im Käfig natürlich weggenommen.
Alle erzählten sie von ihren Verhaftungen, die eine war absurder als die andere. Der einzige, der anscheinend tatsächlich wegen der Demo gekommen war, berichtete, dass ihm die Polizei geraten hatte, wieder den Zug zu nehmen und abzuhauen. Auch er wurde auf dem Weg zum Bahnhof mehrere Male kontrolliert und dann mitgenommen.
Die Stimmung in der Zelle war eigentlich recht heiter, wir waren alle in derselben verrückten Situation und wussten nicht, wann und ob wir je aus diesem zoo-artigen Käfig kommen würden, aber durch viel Zynismus und Galgenhumor überstanden wir die Stunden doch recht schnell. Die Polizisten, die uns regelmässig bedrohlich durch das Gitter beäugten, waren nicht sehr gesprächig und schienen sich auch recht zu langweilen. Sagen, wieso wir eingesperrt wurden und wann wir rauskommen würden, wollten sie nicht.
Jede Stunde einmal wurde einer von uns aufgerufen und wurde aus der Zelle gebracht. Wir wurden den Nummern (die wir aufgeklebt bekommen hatten) nach aufgerufen. Die Glücklichen wurden immer mit einem herzlichen Applaus der Mitinsassen verabschiedet. Wir, das heisst der Rest der Insassen, wussten nie, was mit denen geschah die aufgerufen wurden.
Ich selber hatte die Nummer 4 aufgeklebt gekriegt und somit wurde ich nach nur 4 der möglichen 24 Stunden aufgerufen. Die Nummern stiegen zu diesem Zeitpunkt schon über 30. Nach einem kurzen Gespräch, bei dem sie mir sagten, dass sie nach vier Stunden nichts über mich gefunden hatten, liessen sie mich gehen.
Eine Garantie, nicht vom nächsten Polizisten wieder festgenommen zu werden, bekam ich nicht.
Jonas Jossen
Eine Garantie, nicht vom nächsten Polizisten wieder festgenommen zu werden und zurück in die Zelle zu kommen, bekam ich nicht. Auch keinen Beweis, dass ich tausend Mal überprüft worden war oder irgendeine Sicherheit, unbehelligt an den Bahnhof und zurück ins Wallis zu kommen. Ausserdem hatte ich keine Ahnung, wo ich mich befand.
Mit einem Bus und der Angst, wieder eingesperrt zu werden, kam ich am Bahnhof an und wollte schnurstracks auf den Zug. Zur Verteidigung hatte ich das Blatt mitgenommen, das ich in der Zelle bekommen hatte. Ich hielt es aufgeregt in meiner Tasche bereit und wurde prompt wieder von zwei blauen Hemden angehalten. Ich zückte das Blatt und versicherte ihnen verzweifelt, dass ich nichts in die Luft sprengen wolle und dass ich schon tausendmal überprüft wurde. Ein wenig enttäuscht liessen sie mich meinen Zug nehmen und meine Freiheit behalten. Ich war erschöpft aber auch froh, dass mein erster Gefängnisaufenthalt doch einigermassen schnell beendet war.
Heute, am Montag, 31. März 2014, packte mich eine gewisse Neugier. Ich wollte sehen, ob die Sache grosse Wellen geschlagen hatte. Die Inhaftierung von so vielen Unschuldigen konnte ja nicht ungehört über die Bühne gegangen sein. Ich lag falsch. Alles, was in den Medien zu finden war: Dass dank eines «verhältnismässigen Polizeiaufgebots» Konfrontationen zwischen rechten und linken Gruppierungen und Sachbeschädigungen hatten verhindert werden können.
Und ein Foto von meiner Verhaftung.
Ich konnte es nicht fassen, dass niemand sich darüber beschwert, wenn eine Horde action-geiler Polizisten eine ganze Stadt einnimmt und dann willkürlich Leute einsperrt. Bei den ganzen Kameras hätten sie sehen können, ob es genug Grund gibt, jemanden einzusperren. Das ganze Geld, das solch eine Armee blauer Männer gekostet haben muss, könnte man auch für sinnvolle Dinge ausgeben. Nicht für Hunderte von Beamten, die sich in der Altstadt langweilen und mit ihren Panzern und Wasserwerfer spielen wollen. Demonstranten waren keine da und die armen Ordnungswächter durften ihren Gummischrot nicht ausprobieren.
Um den immensen Flop zu vertuschen, sperren sie so viele Leute ein wie möglich. Wenn ein Polizist fähig ist, ohne schlechtes Gewissen Unschuldige in Ketten zu legen, sollte man sich nicht von der Polizei beschützt fühlen.