Um der ausländischen Wohnbevölkerung der Stadt Bern eine politische Mitwirkung zu ermöglichen, hat der Stadtrat 2011 mit einem Vorstoss das Instrument der Partizipationsmotion geschaffen. Damit eine Partizipationsmotion gültig wird, muss sie von mindestens 200 volljährigen ausländischen, seit drei Monaten in Bern wohnhaften Personen unterschrieben werden. Das Partizipationsreglement wurde im Juni 2015 von den Stimmberechtigten der Stadt Bern angenommen und der Gemeinderat hat das Reglement 2016 in Kraft gesetzt. Seither wurden insgesamt drei Partizipationsmotionen eingereicht. Gleich zwei davon wurden diese Woche im Stadtrat behandelt.
Stadtrat solidarisiert sich mit Kurdistan
Kurd*innen sind eine grosse Migrationsgruppe in Bern und ihre Sprache, so forderte es die erste Motion, soll als Migrationssprache anerkannt werden [Journal B berichtete]. In Zukunft sollen wichtige offizielle Informationen der Stadt Bern auch auf Kurdisch übersetzt werden. Schon heute informiert die Stadt Bern über Angebote und Dienstleistungen in den wichtigsten Migrationssprachen. Motionärin Yesim Ekici schilderte in ihren Ausführungen vor dem Stadtrat, dass Kurd*innen in ihren Herkunftsländern «das Recht auf die eigene Sprache» verwehrt sei. Kurd*innen stammen aus verschiedenen Ländern – aus der Türkei, Syrien, dem Iran und Irak. Dort leidet die kurdische Bevölkerung unter einer gewaltvollen Assimilationspolitik, die ihre Sprache und Volkszugehörigkeit auslöschen will. Viele Kurd*innen haben deshalb ihre Heimat verlassen und sind nach Europa und in die Schweiz geflüchtet.
«Vor allem für Neuankommende sind diese Übersetzungen eine grosse Orientierungshilfe», meinte Ursina Anderegg von der GB/JA! – Fraktion. Die Sprache sei der Schlüssel zu Inklusion in der Gesellschaft. Die Annahme der Motion sei zusätzlich ein wichtiges Zeichen der Solidarität gegenüber den Kurd*innen in der Schweiz, betonte Barbara Keller von der Fraktion SP/JUSO. Sie schilderte auch die Schwierigkeit, die Neuankommende ohne gute Deutschkenntnisse haben. Kritik an der Motion kam nur von der SVP. Sie sah es als ein Problem an, dass es im Kurdischen verschiedene Dialekte gibt. Diese Frage wurde aber sowohl von Motionärin Yesim Ekici und vom Gemeinderat zuvor schon geklärt: Man habe sich auf Kurmandschi geeinigt, da dieser Dialekt von der Mehrheit der Kurd*innen verstanden werde.
Haus der transkulturellen Begegnung
Motionär Karawan Almerey erklärte sich damit einverstanden, die Motion in ein erhebliches Postulat umzuwandeln und folgte, wie auch der Stadtrat, der Empfehlung des Gemeinderates. Die Motion will mit dem «Haus der transkulturellen Begegnung: «Wir Stadtbewohner*innen“» einen transkulturellen Treff-, Begegnungs- und Weiterbildungsort schaffen. Das Haus soll dazu dienen, die Integration und Inklusion von ausländischen Personen zu fördern und einen Austausch von ausländischen Personen mit der gesamten Bevölkerung der Stadt Bern zu ermöglichen. Dieser Ort soll möglichst zentral gelegen sein.
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Der Gemeinderat argumentiert, dass es bereits heute ein breites Angebot an Begegnungsorten für Vereine und Organisationen gebe, wie die diversen Quartierzentren, das Generationenhaus oder das Haus der Religionen. Jedoch anerkennt er, dass es nach wie vor «eine Nachfrage insbesondere nach günstigen, niederschwellig zugänglichen Räumen» gibt. Bereits vor einigen Jahren verlangte eine Motion ähnliches mit dem «Haus der Vereine» im Ringhof in der Lorraine. Sie wurde damals vom Gemeinderat abgelehnt, vom Stadtrat jedoch am 14. Juni 2018 als erheblich erklärt. Es ist wahrscheinlich, dass sich die beiden Komitees kurzschliessen werden, um mehr Druck auf die Stadt bezüglich der Umsetzung eins solchen Ortes zu machen.
Die Motionär*innen betonen in ihren Ausführungen, welche wichtigen Aufgaben die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereine in Bern wahrnehmen und dies würde schlussendlich auch der öffentlichen Hand zugutekommen. Erwähnt wurde beispielsweise «Wir alle sind Bern», die für ihre Räumlichkeiten in eine private Wohnung ausweichen muss. Andere Städte in der Schweiz kennen ähnliche Modelle, wie das «Haus pour Bienne», das «Solidaritätshaus» in St. Gallen oder in Genf «la Maison Internationale des Associations», die über 80 Organisationen beheimatet.
Stimm- und Wahlrecht für Ausländer*innen
Viele Stadträt*innen zeigten sich in ihren Voten erfreut über die Einreichung der Partizipationsmotionen. «Ein Viertel der Berner Stadtbevölkerung ist vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen, dies ist ungerecht», meinte Franziska Geiser von der GB/JA! – Fraktion. Auch David Böhner von der AL wies auf diese Problematik hin und appellierte an die Stadträte, sie sollen Druck auf ihre «Gspänli» im Grossen Rat machen. Das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer*innen scheiterte bereits mehrmals sowohl bei Kantonalen Abstimmungen an der Urne als auch im Grossen Rat, obwohl das Thema auf städtischer Ebene wohl mehrheitsfähig wäre. Die Partizipationsmotionen zeigen laut der Ratslinken das Interesse der ausländischen Bevölkerung an der politischen Mitbestimmung und es müsse weiter in diese Richtung gearbeitet werden.