Mehr Strasse für Bern

von Yannic Schmezer 20. März 2018

Mit mehreren Projekten will das Bundesamt für Strassen (ASTRA) auf den Autobahnen A1 und A6, sowie dem Autobahnanschluss Wankdorf Kapazitätsengpässe beheben. Die betroffenen Quartiere sind gespalten. Im Stadtrat regt sich Widerstand.

Autobahnen sind zweischneidige Schwerter. Sie verbinden zwar weit auseinanderliegende Städte oder Ortsteile miteinander, schneiden aber immer auch eine Schneise – nicht zuletzt in den Köpfen. So auch die geplante Umgestaltung des Autobahnanschlusses Wankdorf. Das Projekt ist beim Bundesamt für Strassen (ASTRA) schon länger in der Pipeline und wird dieses Jahr öffentlich aufgelegt. In ungefähr zehn Jahren soll die A1 zwischen Schönbühl und Wankdorf in jede Richtung um eine zusätzliche Spur erweitert werden. Zudem ist der Bau des sogenannten Bypass Bern-Ost vorgesehen, ein Tunnel unter dem Osten Berns hindurch. Um das dadurch entstehende zusätzliche Verkehrsaufkommen zu bewältigen, müsse auch der Autobahnanschluss Wankdorf umgebaut werden, schreibt das ASTRA auf der entsprechenden Projektwebsite. Andri Sinzig, verantwortlicher Projektleiter, erklärt: «Das Gesamtsystem kann den Verkehr auch in 20 Jahren bewältigen – oder umgekehrt, wenn wir nichts machen, so kollabiert der Anschluss. Kollabieren heisst, dass die angrenzenden Knoten eingestaut werden und damit auch der öV blockiert wird.»

Mehr Verkehr in den Quartieren

Gegen die Umgestaltung regt sich jedoch Widerstand. Im Stadtrat wurde Anfang dieses Jahres eine breit abgestützte Motion eingereicht, die sich gegen den Kapazitätsausbau zur Wehr setzt. Die Diskussion ist für diesen Donnerstag traktandiert. Die Motionäre und Motionärinnen verlangen vom Gemeinderat, dass er sich beim ASTRA dezidiert gegen den Ausbau aussprich. Nicht zuletzt deshalb, weil durch den Ausbau mittelfristig mehr Verkehr auf das städtische Strassennetz abflösse. Auch sei die grosse und kleine Allmend zu schützen, da ein Teil ihrer Wiesen, gemäss den aktuellen Plänen, neuer Strassenfläche Platz machen müsste. Ausserdem wird die Situation für den Langsamverkehr als unbefriedigend beurteilt: Die geplante Velo-und Fussgängerverbindung sei nur über steile Rampen erreichbar und deshalb nicht alltagstauglich. Es ist davon auszugehen, dass die Motion im Stadtrat angenommen wird.

Ähnlich beurteilt die Situation Andreas Hofmann, Grossrat und Delegierter der SP im «Dialog Nordquartier», der Quartierkommission des Stadtteils V (Breitenrain – Lorraine). «Die Leistungsfähigkeit des Anschlusses wird massiv erhöht, nicht nur Richtung Stadt -Autobahn, sondern genau gleich umgekehrt Autobahn – Stadt.» Die «Stadt» sei in diesem Fall primär das Nordquartier. Hofmann betont ausserdem, dass eine Mehrheit der Haushalte in der Stadt bereits heute kein Auto mehr besitzt. In der Stadt Bern sind gemäss dem fünfjährlichen Mikrozensus’ des Bundesamtes für Statistik 57% der Haushalte ohne Auto. Die Regionaldaten sind noch nicht verfügbar, Hofmann ist jedoch optimistisch: «Es ist zu erwarten, dass der Stadtteil V die 2/3 – Mehrheit an autolosen Haushalten knackt.» Es bestünde nun die akute Gefahr, dass der freier Raum auf den städtischen Strassen, der durch die Autoabstinenz der Städterinnen entsteht, durch von ausserhalb kommende Autos aufgefüllt werde.

Ohne Umgestaltung keinen Bypass

Dem widerspricht Sinzig: «Das Verkehrswachstum findet praktisch schweizweit fast nur noch auf der Nationalstrasse statt. Auf dem untergeordneten Strassennetz stagniert der Verkehr.» In Bern sei er auf vielen Achsen sogar rückläufig. Und auch den Einwänden, die in der stadträtlichen Motion genannt werden, stimmt Sinzig nicht zu. Die neuen Wege für den Langsamverkehr würden die verschiedenen Freiräume in attraktiver Form verbinden. Zwar müsse man, wenn man von Ostermundigen Richtung Allmend unterwegs sei durchaus aufsteigen. «Das muss man aber heute auch schon, wenn auch an einer anderen Stelle.» Auch die Behauptung, dass die kleine und grosse Allmend mit Strassenfläche zugepflastert würden, entspräche nicht den Tatsachen: «Die kleine Allmend wird durch den Ausbau ebenso wenig verkleinert wie die nutzbare Fläche der grossen Allmend. Einzig im Wald auf Seite des Schermenwegs erfordert der Autobahnausbau gewisse Eingriffe.»

In der Stadt hat man indessen nicht nur Missmut für die Pläne des ASTRA übrig. Die Quartiervertretung des Stadtteils IV (Quav4) begrüsst den geplanten Umbau. Sie unterstützt das ASTRA in seiner Argumentation und weist unter anderem darauf hin, dass die Motion den Eingriff in den Grünraum der grossen Allmend viel kritischer darstelle, als er eigentlich sei. Die Quav4 hat ausserdem ein eigenes Interesse am neuen Anschluss Wankdorf, denn der Ausbau bereitet den Boden für ein weiteres Projekt: den Bypass Bern-Ost. Das ASTRA plant eine umfassende Umgestaltung der A6 zwischen Wankdorf und Muri. Die Strassenführung soll dabei neu auch unterirdisch verlaufen. Bis der Bypass gebaut ist soll der Pannenstreifen auf der entsprechenden Strecke umgenutzt werden, um die Kapazität schrittweise zu erhöhen.

Im Stadtteil IV erhofft man sich durch den Bypass eine Verkehrsreduktion von 15% auf der Achse Thunstrasse – Ostring. Ausserdem soll dadurch endlich die lang ersehnte Stadtreparatur möglich und das Quartier aufgewertet werden. Die Krux: Die Umgestaltung des Anschlusses Wankdorf und den Bypass Bern-Ost gibt es nur im Doppelpack. Das hat praktische Gründe: «Der Anschluss muss zuerst umgestaltet werden, damit der Bypass überhaupt gebaut werden kann.», so Sinzig.

Mehr Strasse gleich mehr Verkehr

VerliererInnen sind schlussendlich die WachstumskritikerInnen, die sich grundsätzlich gegen den Ausbau der Autobahninfrastruktur stellen. Die Umgestaltung des Anschlusses Wankdorf und die damit verbundene Kapazitätssteigerung böten dann auch schon das Argument für den nächsten Autobahnwahnsinn, findet Hofmann. «Dieser Irrsinn muss einmal gestoppt werden, nicht zuletzt aus energiepolitischen und aus klimapolitischen Gründen.».

Mehr Kapazität bedeutet mehr Verkehr und verlangt mittelbar nach noch mehr Strassenfläche. «Wer Strassen sät wird Verkehr ernten», sagte 1972 der Münchner Bürgermeister Hans-Jochen Vogel – ein Prinzip, das später mittels wissenschaftlicher Studien in ähnlicher Form belegt werden konnte. Befinden wir uns also in einem Teufelskreis? Nein, findet Sinzig, als Teufelskreis könne man das nicht bezeichnen. Grundsätzlich generierten Bevölkerungswachstum und Wirtschaft den Verkehr und nicht die Strassen selbst. Längerfristig würde sich die Mobilität sowieso grundlegend verändern – Autos würde noch sauberer und wahrscheinlich auch intelligenter, glaubt er. «Sicher ist einzig, dass das Auto – in welcher Form auch immer- ein wichtiges Fortbewegungsmittel bleiben wird und dementsprechend den nötigen Raum braucht.»