«Meh aus es Stück Houz»

von Lina Lou Sansano 23. Februar 2024

Armut Ein Katzentaler kann anstelle von Kleingeld an Bedürftige verschenkt werden. Das Projekt bietet eine niederschwellige Möglichkeit der Unterstützung, steht aber auch in der Kritik.

Ein rundes Holzstück in der Grösse eines «Fünflibers» wird seit einiger Zeit in den Portemonnaies der Berner*innen mitgetragen und an bedürftige Menschen verschenkt. Auf beiden Seiten ist das Bild einer Katze eingebrannt. Es ist ein sogenannter Katzentaler. Initiiert wurde er Ende 2019 vom gleichnamigen Verein, hinter dem vier Menschen stecken: Claudia Friedli, Melanie Erb, Patrick Grogg und Svenia Steiner.

Für Svenia Steiner ist die Arbeit mit bedürftigen Menschen nichts Neues. Zusammen mit einem siebenköpfigen Team leitet sie den «Punkt 6», ein Aufenthaltsraum in dem sich obdachlose Menschen aufwärmen, verpflegen, schlafen und waschen können. Menschen aus fast allen Altersgruppen finden in diesen Räumlichkeiten zusammen, um das kostenlose Angebot der Stadt zu nutzen.

Hier an einem kleinen Tisch in der Küche von Punkt 6 erzählt Svenia Steiner von der Unterstützung für bedürftige Menschen und der Idee des Katzentalers. Denn nicht alle haben das Privileg, dicke Kleidung, ein warmes Zuhause oder genug Essen zu haben. «Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, die Grundbedürfnisse nicht nur mit Geld abdecken zu können, sondern auch durchs Zusammenarbeiten mit bereits vorhandenen Institutionen», so Svenia Steiner. Daraus sei der Katzentaler entstanden. Dieser funktioniert wie ein Gutschein: Ein Katzentaler im Tausch für eine Mahlzeit oder einen Schlafplatz, alles im Wert von 5 Franken. So erzählt es auch das Gedicht, das auf dem Umschlag des Katzentalers mitgegeben wird.

Svenia Steiner leitet den «Punkt 6», ein Aufenthaltsraum für Menschen mit einer Obdachlosigkeit  (Foto: David Fürst).

Obwohl der Taler schon seit mehr als drei Jahren existiert, hat er erst im letzten Jahr wirklich an Bekanntheit gewonnen. Anfangs hätten sie zwar einige verkauft, doch die Taler seien nicht zurückgekommen und eingelöst worden, sagt Svenia Steiner. Es habe eine Weile gedauert, bis vereinzelt Taler eingelöst wurden.

Die Katzentaler können an acht verschiedenen Orten eingelöst werden: Essen und Trinken gibt es bei Casa Marcello, La Gare, Azzurro oder bei der CONTACT-Anlaufstelle. La Prairie, die Gassenküche und das Dock 8 bieten den Bedürftigen eine volle Mahlzeit an. Beim Sleeper deckt der Taler auch das Bedürfnis nach einem Schlafplatz. Der Katzentaler hat noch weitere Partnerorganisationen wie den Gassenbus, KARL-LI, Pinto und das Punkt 6. Um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, werden ihnen Taler zur Verfügung gestellt, die über Spenden an den Katzentalerverein finanziert wurden.

Der Taler erntet auch Kritik

Eine Frage kommt immer wieder auf: Wirkt der Katzentaler wie eine Bevormundung? Der Verein Katzentaler und Nora Hunziker von der kirchlichen Gassenarbeit sind sich bei diesem Thema uneinig. «Grundsätzlich finden wir das Projekt gut und freuen uns über die Idee, dass Privatpersonen die armutsbetroffenen Menschen niederschwellig unterstützen wollen», sagt Nora Hunziker. Einerseits hätten die Betroffenen mithilfe des Talers die Möglichkeiten, Grundbedürfnisse zu decken, das sei gut. Allerdings seien sie eingeschränkt, wofür sie das Geld ausgeben möchten. Die kirchliche Gassenarbeit stehe Gutscheinen allgemein kritisch gegenüber und deswegen auch den Katzentalern.

«Wir empfinden es als Bevormundung, wenn Menschen die Möglichkeit hätten, Geld zu geben, es aber an Bedingungen knüpfen wollen. Wir sind der Meinung, dass alle Menschen das Recht haben sollen, autonom über ihr Geld zu verfügen», erklärt sie.

Viele Menschen würden zögern, weil sie keinen Kauf von Drogen finanzieren wollen. Eine Sucht sei aber eine psychische Erkrankung und nicht von Einzelpersonen beendbar. Es könnte sogar gesundheitliche oder juristische Folgen haben, wenn eine Person ihre Sucht nicht mehr finanzieren kann. «Wir nehmen diese Bedenken ernst. Doch in erster Linie sind diese Menschen von Armut betroffen und ob sie noch weitere soziale oder gesundheitliche Probleme haben, können und müssen wir von aussen nicht wissen.»

Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen durch den Katzentaler tendenziell einen höheren Betrag schenken.

Svenia Steiner vertritt da einen anderen Standpunkt: «Der Taler ist lediglich eine Option. Es schliesst das Geben von Bargeld nicht aus.» Die Reaktionen seien mehrheitlich positiv ausgefallen. Aber ihr sei klar, dass es Menschen gäbe, die den Taler nicht annehmen wollten, weil sie ein anderes Bedürfnis hätten, welches damit nicht gedeckt werde. Wenn die Person in dieser Situation lieber Geld möchte und das auch kommuniziert, könne man immer noch entscheiden, ob man auch bereit sei, Geld zu geben oder nicht.

«Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen durch den Katzentaler tendenziell einen höheren Betrag schenken. Ganz ehrlich, viele, die auf der Gasse angesprochen werden für Geld, würden nicht 5 Franken, sondern eher ein oder zwei Franken abgeben, ‘ä Stutz haut’. Das kleine ‘Münz’ wird zusammen gekramt.» Menschen hätten eher Berührungsängste und somit Hemmungen, fremden Menschen Geld zu geben. Durch den Taler gäbe eine Person vielleicht eher etwas ab und käme somit in Kontakt. «Deshalb hat dieses Stück Holz doch einen grossen Wert», meint Svenia lächelnd, «ich wünsche mir, dass Menschen aufmerksamer durch die Strassen gehen und andere Menschen ansprechen, wenn es ihnen offensichtlich nicht gut geht. Nicht nur finanziell, es kann jeder Person in einem Moment nicht gut gehen. Es wäre schön, wenn sie dann nicht allein ist.»

Wie weiter?

Ideen für eine Erweiterung des Angebots hätte der Katzentalerverein einige: Prepaid Cards, weitere Schlafmöglichkeiten oder Take Away Angebote. Doch über Bern hinausreichen wird ihre Arbeit nicht. Die Priorität liegt woanders. Der Verein will in seinem Rahmen und seinen Möglichkeiten Unterstützung bieten und zur Sensibilisierung beitragen. Da finden die Haltungen der Gassenarbeit und des Katzentalervereins wieder zusammen: Ein gemeinsames Ziel ist die Inklusion von armutsbetroffenen Personen in unsere Gesellschaft. Und da sind sich beide einig: Dafür brauche es Akzeptanz statt Bewertung und Abwertung.