Medienherbst

von Willi Egloff 3. September 2021

Ringier und TX Group lagern ihre Online-Plattformen in eine gemeinsame Firma aus. Der Schritt illustriert, dass es um die Zukunftsaussichten für kommerzielle Medien schlecht bestellt ist.

 

«Das Ende des querfinanzierten Journalismus» – so überschreibt die NZZ ihren Kommentar zur geplanten Fusion von Ricardo, tutti.ch, Homegate, Scout 24, anibis.ch und wie die von Ringier und TX Group betriebenen Online-Plattformen alle heissen. Sie sollen in eine neue Firma ausgelagert werden, die den beiden Medienhäusern, der Mobiliarversicherung und der Investitionsfirma General Atlantic gehören wird. Die NZZ unterstreicht in ihrer Berichterstattung die medienpolitische Bedeutung der Entscheidung, welche die beiden grössten Medienhäuser der Schweiz getroffen haben: Werbung wird in Zukunft kaum mehr dazu dienen, Zeitungen und Zeitschriften, Radio und Fernsehen zu finanzieren. Die Zeit der werbefinanzierten Medien ist ein für allemal vorbei.

Vor allem die lokalen und regionalen Zeitungen waren schon in ihren Anfängen von Werbung abhängig. Wohnungs- und Stelleninserate, Produktewerbung, Veranstaltungshinweise, Anzeigen für Liegenschaften oder gebrauchte Autos, Kontaktinserate und vieles Ähnliches mehr stellten ergiebige und nachhaltige Einnahmequellen für eine Vielzahl von Printprodukten dar. Die Werbeeinnahmen überstiegen die Einnahmen aus Abonnementen oder aus dem Einzelverkauf von Zeitungen zu allen Zeiten um ein Vielfaches. Bei Gratiszeitungen stellten sie sogar die einzige Einnahmequelle dar.

Das Internet hat diesem Geschäftsmodell die Grundlage entzogen. Die Werbung auf Plattformen ist schneller, billiger und erst noch zielgenauer als diejenige in Zeitungen und Zeitschriften. Sie kann viel besser nach Gruppen von Interessentinnen und Interessenten differenziert werden, und sie kann zu jeder Tages- und Nachtzeit und in beliebiger Wiederholung verbreitet werden. Wer die Möglichkeit hat, auf Onlineplattformen zu werben, kommt viel direkter zum Zielpublikum und erspart sich erst noch die hohen Inseratekosten sowie die grossen Streuverluste bei Printmedien.

Massensterben im Blätterwald

Würden die Medienhäuser diese Online-Plattformen selbst betreiben und die dort erzielten Einnahmen weiterhin für die Finanzierung ihrer Printprodukte verwenden, könnte das herkömmliche Geschäftsmodell theoretisch auch weiterhin funktionieren. Allerdings ist das eben nicht der Fall: Wichtigste Akteure auf dem Plattformen-Markt sind die US-amerikanischen Internetfirmen, die mit schweizerischem Lokaljournalismus gar nichts am Hut haben. Und die grossen schweizerischen Medienhäuser haben die von ihnen zusammengekauften Plattformen von Anfang an als eigenes, von der Medienproduktion unabhängiges Geschäft betrieben. Mit der Auslagerung dieser Aktivitäten in eine eigene Firma findet diese Unternehmenspolitik ihre logische Fortsetzung.

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Die Folge dieser Entwicklung liegt auf der Hand: Die lokalen Zeitungen und Zeitschriften verlieren in atemberaubendem Tempo ihre wichtigste Einnahmequelle. Eine lokale Zeitung nach der andern wird eingestellt oder in eine überregionale Zeitung integriert. Die verbleibenden Zeitungen werden dünner, die Redaktionen abgebaut. Was übrig bleibt, sind wenige Monopolzeitungen, deren Inhalte nicht selten aus gemeinsamen Quellen gespeist werden und die damit wenig zu einer echten Meinungsvielfalt beitragen.

Die aktuell stattfindende Zusammenlegung der Lokalredaktionen von Bund und Berner Zeitung illustriert diesen Vorgang sowohl im Grossen als auch im Kleinen. Die noch vorhandenen Reste von Meinungsvielfalt werden liquidiert, nur lokal interessierende Inhalte weggelassen. So wird beispielsweise gerade die Hälfte der bei der BZ zuletzt noch verbliebenen Stellen für die regionale Sportredaktion gestrichen. Es ist nicht ersichtlich, welches andere Medium diese wegfallende Berichterstattung übernehmen könnte.

Folgt auf den Medienherbst ein Medienfrühling?

Angesichts dieser strukturellen Schwierigkeiten ist auch nicht zu erwarten, dass sich in absehbarer Zeit Grundlegendes ändern wird. Dies gilt ganz besonders auch für den Medienplatz Bern: Von der mit grossem PR-Aufwand angekündigten Gratiszeitung des Schaffhauser Verlegers Norbert Bernhard ist nichts mehr zu hören, und sie wird wohl auch Ankündigung bleiben. Der von der Vereinigung Courage Civil anvisierte Aufbau eines zusätzlichen Onlinemediums klebt noch immer in den Startlöchern fest. Die Diskrepanz zwischen verlautbarten Absichten und funktionierenden Geschäftsmodellen ist offenkundig gross.

Laut dem eingangs zitierten Kommentar der NZZ muss der Markt das Problem lösen: «Vielfältigen Qualitätsjournalismus, der für eine Demokratie unerlässlich ist, kann es nur geben, wenn die Leser dafür zu zahlen bereit sind», heisst es dort. Und wenn nicht? Jahrzehntelange Erfahrungen zeigen ja gerade, dass bisher keine Tages- oder Wochenzeitung durch den Verkauf ihrer Inhalte an Leserinnen und Leser finanziert werden konnte. Sie wurden eben durch Werbung finanziert, teilweise daneben auch durch regelmässige Spenden von Organisationen oder reichen Einzelpersonen über Wasser gehalten. Warum sollte sich das plötzlich ändern?

Reiche Sponsorinnen und Sponsoren gibt es glücklicherweise auch heute noch. Sie halten beispielsweise die Online-Publikationen «Republik» und «Bajour» am Leben. Journal B lebt von den Beiträgen seiner Mitglieder und neuestens von Spenden einiger bernischer Institutionen. Für einen dauerhaften Betrieb reicht dies aber nur dank sehr viel Milizarbeit. Ein weiteres Onlinemedium, das noch keinen Namen hat, sondern einstweilen unter dem Label «Neuer Berner Journalismus» segelt, will sich auch auf diesem Wege finanzieren, aber ohne Milizarbeit auskommen. Ob es angesichts der knappen Ressourcen nicht sinnvoller wäre, dieses Projekt in das seit zehn Jahren bestehende Journal B zu integrieren, kann dabei einstweilen dahingestellt bleiben. Von Seiten Journal B stünde dem jedenfalls nichts entgegen.

Es ist durchaus erfreulich, dass es Sponsorinnen und Sponsoren inzwischen auch für Medienprojekte gibt. Nachhaltig ist diese Finanzierungsform für ein auf Dauer angelegtes Medienunternehmen aber aller Erfahrung nach nur, wenn sie auch von staatlicher Unterstützung begleitet ist. Wenn vielfältiger Qualitätsjournalismus für eine Demokratie unerlässlich ist, wie die NZZ zu Recht schreibt, so müsste diese Demokratie eben auch dafür sorgen, dass dieser vielfältige Qualitätsjournalismus sich entfalten kann. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz zur Medienförderung ist ein allererster Schritt dazu. Umso verfehlter ist das von rechter Seite dagegen ergriffene Referendum.

 

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