Kennst du das? Ein Strassenmagier sagt dir: «Sieh dir den Kartenstapel an und wähle eine Karte, innerlich – nur sag’s mir nicht, ich errate sie» und du denkst an die Schaufel 6.
Da sitze ich also. Inmitten von Bellinzona zwischen einem Magier, der Witze besser reisst, als eine Comedienne wie ich es je könnte, die fünffache Siegerin eines Sprachwettbewerbs, die trotz ihrer zarten 27 Jahren überaltert zum Mitmachen scheint, einer Schauspielerin die mit Rätoromanisch, Deutsch, Italienisch und Französisch jongliert, als hätte sie brennende Fackeln in der Hand und einem Raucher, der gerne sportlicher wäre und genüsslich an der Zigarette nuckelt, die Erfahrung auf Theaterbühnen sieht man ihm an. Charmant, witzig, 46.
Das ist sie also: Die gottgegebene Jury eines Sprachwettbewerbs für Jugendliche. So sprechen wir über das Spiel «Wahrheit und Pflicht» und ob es am nächsten Tag unsere Pflicht sein würde zu lachen, selbst wenn es nicht lustig wäre, denn die Teenies schreiben zum Thema, «Bring mich zum Lachen!»
Und wieso sollen wir denn lachen, wenn wir es nicht lustig finden sollten?
Wäre das eine Ansage an mich gewesen mit 16, würde ich sagen: «Weisch was? Mach doch säuber!» Und das aus Gründen, die zur doppelten Untauglichkeit im Militär führen würden: Probleme mit Autorität und Ansagen.
Wenn ich es nicht schaffe Leute zum Lachen zu bringen (und ja Mama, du zählst nicht), wie sollen dann Jugendliche, in der schwersten Zeit Ihres Lebens, der Pubertät, das können?
Und wieso sollen wir denn lachen, wenn wir es nicht lustig finden sollten? Schliesslich würden wir einen Strassenmagier auch nicht davonkommen lassen, wenn er eine andere Karte als die Richtige ziehen würde.
Gut, die Schauspieler*innen der Jury, wären in der Lage eine Show abzuliefern, dramaturgisch verfeinert, vom Schenkelklopfen bis zum Lachgrunzen, «Mais ça c’est mentir» meint der Comedymagier. «Montrer denke ich, auf etwas zeigen? Nein! Lügen, übersetze ich nach kurzem Überlegen richtig. Mentir. Lügen.
Aber tun wir das nicht alle? Auf ein, «Wie geits?» Antworten wir mit «Guet, Danke» obschon wir innerlich genau wissen, dass es alles andere als gut ist, das was da in unserer Brust und dem Kopf tobt.
Dass wir nicht wissen, wie wir die Prüfungen meistern sollen, wie wir mit dem Haushalt und den Kindern zurecht kommen sollen, bevor uns die Decke auf den Kopf bricht und wie wir dem Chef morgen auf der Baustelle erklären, dass wir nicht mehr unter diesen Umständen und Unterständen arbeiten wollen, dass all dieses Machogehabe uns ganz Doll zusetzt und dass die Mutter an Krebs leidet.
Nicht zu schmälern, was wir fühlen und es nicht über die Gefühle anderer zu stellen – das ist irgendwie die Kunst.
Unter diesem Pavillon sitzen wir, essen Oliven, Güetzi, umringt von Zigarettenrauch und machen Witze, um die Organisatorin aufzulockern, um ihr zu versichern, dass die Jugendlichen bestimmt nicht hinter der Jugendherberge kiffen und keines der Schäfchen verloren geht. Alles ist gut. Oder ist das etwa der 15 jährige Justin Leon, der gerade ein Auto geklaut hat? Spass.
Da sitzen wir also und trinken Bierchen, lachen über Insiderwitze des Tages, als wären wir eine Rockband, die seit 16 Jahren tourt. «Verruckt Verrucht» wäre ein guter Name, nicht nur wegen dem Rauch um uns.
Wieso sollen wir lachen? Und so ermahnt uns die Organisatorin: Wenn wir sehen, dass sie sich Mühe geben, freiwillig an diesem Projekt teilnehmen und sich trauen, dann haben sie es verdient, dass wir ihnen den Respekt in Form von Lachen zollen.
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Wieso lügen wir über unseren Zustand und sagen statt, «Danke, guet» nicht einfach mal was Sache ist: «Sorry richtig Scheisse». Weil wir uns nicht trauen? Nicht darüber sprechen wollen, oder doch, um unserem Gegenüber den Tag nicht zu versauen?
Und wenn wir «den Tag nicht versauen» solange steigern, mit unseren Antworten und Reaktionen, können wir womöglich einen Tag ganz schön schön machen. Ein: «Guet, danke!» zu einem «Danke, Guet gsesch us hüt» steigern.
Wie wir uns dabei fühlen, ist Kontextabhängig. Der Zauber: Nicht zu schmälern, was wir fühlen und es nicht über die Gefühle anderer zu stellen – das ist irgendwie die Kunst.
Der Magier zieht das Herz Ass und zeigt auf mich: Das ist deine Karte? Ich lache erstaunt, sage ja und tief drin denke ich: Ob Schaufel 6 oder Herz Ass, mir tut’s nicht weh. Und ihm geht’s gut. Und wenn’s mir wehtun würde, würde ich es diesmal vielleicht wagen, etwas zu sagen.