Schon mit zwei Jahren schicken Maíra Zauggs Eltern sie in die musikalische Früherziehung. Ab sechs spielt sie Klavier, darauf folgen Kinderchor, Querflöte, Gesangsunterricht. Und dann hört sie einfach nie mehr auf, Musik zu machen. 2013 kommt sie bei «The Voice Kids» ins Halbfinale, mit neunzehn Jahren erscheint ihre erste EP «Identity». Zwei Jahre später veröffentlicht sie «Alecrim», wo sie zum ersten Mal auf Portugiesisch singt. «Sängerin Maíra entdeckt ihre brasilianischen Wurzeln», titelt die Neue Fricktaler Zeitung. Dann wird es still um das Projekt. Sie zieht von Rheinfelden nach Bern, beginnt Gesang zu studieren.
Klassisch poppig, so klang «Maíra» früher.
In Bern, an der Hochschule der Künste, lernt sie Simon Guyer und Ti Kuhn kennen, die zwei anderen Drittel von «Maíra». Simon Guyer spielt Schlagzeug, seit er sieben ist. Er ist ein «Band Kid» verbringt seine Jugend in Proberäumen. Ti Kuhn findet mit 18 Jahren zur Gitarre, schwänzt die Schule, um zu üben. Heute produziert die gebürtige Bernerin als _pron0ia_ Noise, elektronische Musik an der Grenze des Hörbaren. In gemeinsamen Projekten wird aus dem Soloprojekt von Maíra Zaugg das Trio: «Maíra».
An etwa vier Tagen pro Woche treffen sie sich im Studio in Bümpliz.
Zaugg schreibt die Texte und komponiert, Ti Kuhn produziert, Simon Guyer schreibt Drum Parts und arrangiert die Songs für die Bühne. Sie würden sich einfach extrem gut ergänzen, wie die drei Journal B im Gespräch erzählen.
100 Prozent für die Musik
In dieser Formation soll jetzt der Durchbruch gelingen. Entsprechend hoch sei der Einsatz der drei Musiker*innen. «Mittlerweile ist die Arbeit an der Band nahe an einem 100-Prozent-Pensum», schätzt Schlagzeuger Simon Guyer. An etwa vier Tagen pro Woche treffen sie sich im Studio in Bümpliz. Geld verdienen sie damit noch nicht. Wie das geht? Eine Mischung aus Privilegien, Verzicht auf Freizeit und strikter Planung. Während die Plattentaufe erst noch ansteht, sei das nächste Projekt schon fast fertig. Auf «Unfold» hätten sie die letzten eineinhalb Jahre hingearbeitet.
Ich teste gerne die Grenzen des Pops und finde diese Zwischenwelten faszinierend.
Wie viel Arbeit in der Platte steckt, merkt man beim Hören. Die Songs wirken durchdacht, vorsichtig angeordnet. Auf «Intro» geistern einzelne Klavierakkorde über verzerrte Tonschnipsel, ein tiefes Ausatmen zum Schluss des Songs macht klar: Hier kommt etwas Neues. «Minha Pele» klingt dann zum Anfang wie Maíra Zauggs Frühwerk. Emotionale, intime Lyrics auf Portugiesisch, minimalistisch produziert. Im Verlauf des Songs fängt sich das Stück aber an zu bewegen. Die Einflüsse von Produzentin Ti Kuhn und Schlagzeuger Simon Guyer werden deutlich. Ein Synthesizer legt sich über den Gesang, die Drums werden episch, der Gesang künstlich zerschnitten. Zum Schluss legt «Minha Pele» die alte «Maíra» ab und ist etwas ganz Neues.
Ängste überwinden
Ob sich die unterschiedlichen Einflüsse der Band manchmal beissen? Für Ti Kuhn nicht: «Ich teste gerne die Grenzen des Pops und finde diese Zwischenwelten faszinierend.» Für Maíra Zaugg habe es durchaus Momente gegeben, wo sie sich an Sounds gewöhnen musste: «Ich musste schon auch mal sagen: Dieser Klang gefällt mir jetzt in diesem Zusammenhang nicht.»
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Genau diese Sounds seien aber heute oft ihre Lieblingsstellen. Sie habe sich auch überwinden müssen, vor den anderen beiden Dinge auszuprobieren. Die gesprochene Bridge auf «No Foot In Reality» etwa sei gemeinsam im Studio entstanden. Selbst wäre sie nie auf die Idee für einen Rap-Part gekommen, wie sie sagt.
Das Alte ablegen
Ums Überwinden geht es in «No Foot in Reality» auch inhaltlich. Negative Gedanken werden zur Spinne, die zwar acht Beine hat, aber keine davon in der Realität. Eine Metapher für den Umgang mit Gedankenspiralen. Der einzige englische Song auf der EP hat stellenweise Ratgeber-Charakter, fordert die Hörenden auf, diese Spinnenbeine zu hinterfragen. Klanglich hebt sich der Song vom Rest der EP ab, wächst zur Glam-Metal-Powerballade an. Das überrascht, überzeugt aber nicht restlos. Man merkt, dass das für «Maíra» neues Territorium ist – Gesang und Text gehen im Gitarrengewitter etwas unter.
‹Drachehöhli› ist der seltsamste Track auf der EP, aber mitunter der vielversprechendste.
So richtig findet sich «Unfold» dann auf den letzten zwei Songs. Auf «Schwer» schwebt wunderschöne Mundart über verwaschenen Gitarren. Mit riesigen Drums bleibt das Stück dann trotzdem treibend, erinnert in seiner Verletzlichkeit an To Athena.
In «Drachehöhli» entfaltet sich dann alles, was in den vorherigen Songs angelegt wurde. Es ist ein Wortgemälde über einem zerquetschten elektronischen Schlagzeug-Beat. In der Mitte wird das Stück von federleichten Gitarren unterbrochen, zum Schluss dann aufgelöst in euphorischem Techno. Es ist der seltsamste Track auf der EP, aber mitunter der vielversprechendste. Er zeigt, wo es mit der Band hingehen könnte.
«Aber au wenn mir keini Flügel wachse / Chan ich mich wiiter entfalte / Und mich wie Origami neu formiere / Trotz Angst mich ganz z’verliere.» (Songtext aus «Drachehöhli»)