Nach der Abzocker-Initiative kann der Souverän dieses Jahr zum zweiten Mal zu einer zentralen verteilungspolitischen Frage Stellung nehmen. Die Abzocker-Initiativer hatte etwas Verwirrendes und war eine Art Etikettenschwindel. Sie zielte auf das Kräfteverhältnis innerhalb der Wirtschaftselite. Aber das Ja zur Initiative war dann doch eine gewaltige Ohrfeige für diese Elite.
Nun aber liegt ein fadengerader Angriff gegen das System auf dem Tisch. Oben darf nicht unbegrenzt mehr verdient werden als unten. Das Mass heisst eins zu zwölf. Es ist als ob die Gesetze der Schwerkraft ab sofort nicht mehr gelten dürfen.
Bis vor kurzer Zeit hat man den Vorstoss der Juso belächelt. Die bürgerliche Selbstgefälligkeit im Parlament hat den Vorschlag kommentarlos versenkt.
Marschiert die Wirtschaft in der Demokratie ein und setzt sie ausser Kraft?
Johannes Wartenweiler
Inzwischen liegen Gegner und Befürworter der Initiative in den Umfragen gleich auf. Wirtschaft und bürgerliche Parteien stellen sich auf die Hinterbeine. Einzelne Unternehmer kündigen ihre Abwanderung an. Es sind die gleichen, die 1969 vor dem Brandt-Sozialismus aus Deutschland geflohen sind. Manager richten mahnende Worte an ihre Belegschaften. Der Gewerbeverband lässt die Ritter der Grosskonzerne im Stall und schickt die Hellebardenträger der KMU in die Schlacht. Allerdings tritt da ein klägliches Häuflein an.
Thomas Held nennt die Initiative einen schlechten Studentenwitz und FDP-Nationalrat Ruedi Noser spricht von einer Kriegserklärung an die Wirtschaft, wenn die Initiative mehr als 30 Prozent Ja-Stimmen mache. Was passiert dann? Marschiert die Wirtschaft in der Demokratie ein und setzt sie ausser Kraft? Übernimmt ein helvetischer General Sisi die Macht?
Es ist fast wie früher als die GSoA die Sinnfrage zur Armee stellte. Nur dass man nicht mehr nach Russland verbannt werden kann.
Die 1:12-Initiative ist zweierlei. Ein politischer Vorstoss mit konkreten Forderungen wie es tausende gibt. Man reguliert die Geschwindigkeit, die Traufhöhe, die Spitalübernachtung. Warum nicht auch die hohen Löhne? Wie jede Regulierung hat sie Vor- und Nachteile und über die technischen Details lässt sich trefflich streiten.
Aber die 1:12-Initiative ist noch viel mehr: Sie ist ein Angriff auf die Herren des Universums mit den Mitteln der direkten Demokratie. Etwa auf Brady Dougan, den Geschäftsführer der Credit Suisse, dem die Bank 2010 ein Salär von 90 Millionen Franken auszahlte.
Zwanzig Jahre lang haben uns neoliberale Besserwisser die Welt erklären wollen.
Johannes Wartenweiler
Ist es Zufall, dass der Verwaltungsrat der Credit Suisse und ehemalige Leiter des Seco Jean-Daniel Gerber eine massive Verschärfung des Initiativrechtes vorschlägt, damit dieses wirklich nur für grundsätzliche Anliegen verwendet werden kann. Ist der Wunsch nach einer gerechten Verteilung der gesellschaftlichen Reichtümer kein solches Anliegen?
Zwanzig Jahre lang haben uns neoliberale Besserwisser die Welt erklären wollen. Staat und Demokratie waren störende Faktoren bei ihren gigantischen Verteilspielen. Bis vor fünf Jahren funktionierte diese barbarische Überheblichkeit. Die Finanzkrise änderte die Regeln – und die Demokratie erhält eine neue Chance. Die 1:12-Initiative ist ein Ausdruck davon.
Jetzt stehen wir wieder vor dem schwarzen Plakat und lesen den Text noch einmal genau: «Lohndiktat vom Volk?» Das ist was anderes. Das überlebt die Schweiz mit links.