Der Dokumentarfilm «Die Übernahme» von Edgar Hagen zeigt zu Beginn, wie Christoph Blocher 2010 die «Basler Zeitung» gekauft und seinen geistesverwandten Biographen Markus Somm zum Chefredaktor gemacht hat. Anschliessend dokumentiert er ein Hearing vom Juni 2014, in dem sich Basler und Baslerinnen über die Folgen dieser Übernahme klar zu werden versuchten.
Die vom Kino im Kunstmuseum und Journal B veranstaltete Berner Premiere des Films bot am Samstag im zweiten Teil ein von Urs Frieden (Journal B) moderiertes Podiumsgespräch, an dem die Nationalrätin Aline Trede, «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz sowie Stadtpräsident und Nationalrat Alexander Tschäppät die Printmedienplätze Basel und Bern im Vergleich diskutierten.
Gleiche Krise – unterschiedliche Besitzerinteressen
Bern sei, urteilte Tschäppät, «in einer relativ komfortablen Position», was die Medienvielfalt betreffe, «wenn vielleicht auch nicht die Meinungsvielfalt». Mehr als Blocher, der ein «Missionar» sei, mache ihm in Bern Sorgen, dass «Bund» und BZ beide der Zürcher Tamedia AG gehörten, die vor allem wirtschaftliche Interessen verfolge.
«Ich traue dem Staat nicht alles zu, und dem Markt – wenn er gut flankiert ist – recht viel.»
Patrick Feuz
«Ich traue dem Staat nicht alles zu, und dem Markt – wenn er gut flankiert ist – recht viel», formulierte Feuz sein politisches Credo und folgerte daraus zur Sache: Gerade weil die Tamedia ein wirtschaftliches Projekt sei, sei das einzig Vernünftige die Forumszeitung, die die Vielfalt der Meinungen abbilde und so auch breit interessiere. Einen Trend zur «Repolitisierung» im Sinn der früheren Meinungspresse sieht er nicht: «Da würde man sich zu stark beeindrucken lassen von Phänomenen wie der BaZ oder der Weltwoche.» Die BaZ sei «ein politisch-idealistisches Projekt»: Der Eigentümer sei ein Rechter, der seine Botschaft verbreiten wolle, dabei aber «vermutlich sehr viel Geld» verliere: «Mit der Zeit wird ihm das weh tun.»
Grundsätzlich gehe es im Moment in der Printmedienbranche um andere Fragen. Etwa: Wie lange gibt es noch Zeitungen? Oder: Wird der Tamedia-Konzern in fünf oder zehn Jahren noch selbständig sein oder zu einem internationalen Konzern gehören? Der Strukturwandel sei «brutal»: In den letzten zehn Jahren hätten die Zeitungen bis zu 90 Prozent der Inserate verloren; vor zwanzig Jahren sei beim «Bund» die Einnahmestruktur von Inseraten und Abonnementen 80 zu 20 gewesen, heute sei sie 50 zu 50. Das Inserateaufkommen schrumpfe weiter; zur Zeit versuche man, mit Digitalabos die Einnahmenseite zu stabilisieren.
Aline Trede sprach als Medienkonsumentin der jüngeren Generation, die zunehmend desillusioniert zuschaut, wie schwierig es ist, unabhängig von einem grossen Verlag ein Medium «zum Fliegen» zu bringen. Einen wichtigen Punkt, warum das kaum mehr geht, nennt sie selber: «Ich kenne in meinem Umfeld niemanden mehr, der oder die ein Abo kaufen würde, um eine Tageszeitung zuhause zu haben.» Zwar regten sich viele über das politisch unbedarfte Kurzfutter in den Gratiszeitungen auf, aber alle wüssten zum Beispiel, wie man das neue Online-Zahlsystem der Tamedia-Medien austrickse, um weiterhin gratis zu den Informationen zu kommen. Am meisten Chancen zur unabhängigen medialen Öffentlichkeit sieht sie im viel billigeren Online-Bereich – womit sie auch gleichzeitig begründete, warum sie als Kolumnistin für Journal B arbeitet.
«Ich kenne in meinem Umfeld niemanden mehr, der oder die ein Abo kaufen würde, um eine Tageszeitung zuhause zu haben.»
Aline Trede
Der Tour d’horizon zum Printmedienplatz Bern zeigte: Tatsächlich hängen die zweifellos kommenden Sparmassnahmen auf den beiden Berner Print-Redaktionen davon ab, ob Tamedia sein jährliches Gewinnziel von 15 Prozent erreicht. Aber wie lange ein wirtschaftlich rechnendes Unternehmen vor dem Hintergrund der Rezeptionsgewohnheiten der jungen Generation mit Printmedien überhaupt noch Geld verdienen kann, steht in den Sternen.
Journalismus als politische Propaganda
Der BaZ-Journalismus – das zeigt der Film an verschiedenen, wörtlich vorgetragenen Textauszügen – ist nicht wegen fehlender Mittel schludrig gemacht – die BaZ pflegt sehr wohl einen professionellen Journalismus. Bloss welchen?
Feuz versteht Journalismus so, dass man mit sauber ausgewiesenen und korrekten Fakten arbeitet, die man gegencheckt, bevor man sie weiterverbreitet. Dieser um Sachlichkeit bemühte Journalismus ist deshalb nicht schon «objektiv». Als Nationalrat weist Tschäppät daraufhin, dass es zum Beispiel in der Bundesverwaltung bis hinauf in den Bundesrat ein «gewisses System der Indiskretionen» gebe. Heisst: Auf den Zeitungsredaktionen tut man das Mögliche, mit dem, was man zu wissen bekommt, sachlich umzugehen. Aber was man dort wann zu wissen bekommt, bestimmen die PR-Abteilungen in Verwaltung und Privatwirtschaft.
Dagegen pflegen Medien wie die BaZ einen Journalismus, der tendenziell nicht die Argumente der Gegner wiederlegt, sondern die Gegner, die Gegenargumente haben könnten, abzuschiessen versucht. Er zielt nicht auf die Sache, sondern auf die Personen und arbeitet wenn nötig mit Insinuationen, Unterstellungen und Verleumdungen. In Hagens Film sagt es der Basler Nationalrat Beat Jans so: «Am schlimmsten ist es, wenn geschrieben wird: ‘Es halten sich hartnäckig Gerüchte’. Mit dieser Formulierung kannst du jede Unwahrheit verbreiten. Auch ‘Wie sich ein Insider ausdrückt’ kann man beliebig erfinden, weil man ihn ja nicht nennt.»
Feuz fragt sich, ob man die BaZ-Publizistik überhaupt als Journalismus bezeichnen soll: Im Kern sei sie ein «politisch motiviertes Handwerk», das «mit den Instrumenten der Propaganda» arbeite. Wobei das nichts Neues sei: Diese Art Journalismus sei im deutschsprachigen Raum ab den 1920er Jahren sowohl von der linken wie von der rechten Presse betrieben worden. Zudem sei es wohl so, dass die Auflagen von BaZ und Weltwoche überdurchschnittlich schrumpften und also am Markt erfolglos blieben.
«Die Art und Weise, wie die BaZ immer wieder Leute an den Pranger stellt, hat Wirkung. Was oft wiederholt wird, bleibt mit der Zeit haften.»
Alexander Tschäppät
Dagegen warnt Tschäppät davor, die Basler Missionare zu verharmlosen: «Die Art und Weise, wie die BaZ immer wieder angreift, immer wieder die Leute an den Pranger stellt, das hat schon seine Wirkung. Was oft wiederholt wird, bleibt mit der Zeit haften.» Hier erwähnt Aline Trede ihre Parteikollegin Jolanda Spiess-Hegglin, die im Zusammenhang mit der «Zuger Sexaffäre» im letzten Vierteljahr mit sexistischer Berichterstattung regelrecht kaputtgeschrieben worden ist. Tschäppät, immerhin Jurist, ergänzt: Korrekturmöglichkeiten gegen solche Angriffe gebe es tatsächlich kaum – Leserbriefe, Gegendarstellungen oder Klagen an den Presserat brächten kaum etwas, weil der Schaden bereits angerichtet sei.
Bern hat Glück, Basel leidet, aber Zürich lenkt
Für den ebenfalls anwesenden Schriftsteller Guy Krneta – ein Bern-gebürtiger, der in Basel lebt und der zusammen mit Edgar Hagen die Idee zum Film «Die Übernahme» entwickelt hat – ist Bern zurzeit in einer günstigen Situation: Zwar sind Bund und BZ ökonomisch abhängig, aber haben redaktionell, solange sie genügend Geld verdienen, immerhin Raum für eine je eigene redaktionelle Linie. Gerade deshalb warnt Krneta davor, das Phänomen BaZ in Bern als regionales Basler Problem zu sehen.
Dass Blochers Angriff über Basel hinaus der schweizerischen Printpublizistik gelte, habe der letzthin gescheiterte Versuch gezeigt, Markus Somm gegen den Willen der Redaktion zum NZZ-Chefredaktor zu machen. Krneta geht davon aus, dass es diesem rechtsnationalen Angriff über die Zeitung hinaus um die zur NZZ-Gruppe gehörenden Medienplätze St. Gallen/Ostschweiz und Luzern/Innerschweiz gegangen sei: Wenn Blocher dort bestimmen könne, werde «ein nationales Kopfblatt unter der Leitung von Somm» möglich: «Dieser Kampf ist noch nicht entschieden, auch wenn die NZZ nun mit Eric Gujer einen anderen Chefredaktor hat. Aber die NZZ-Mediengruppe steckt in grossen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.»
Und wer hat unendlich viel Geld und ein klares Interesse am Medienplatz Schweiz? Eben.