Es ist Dienstagmorgen, kalt, in einer kleinen Gruppe stehen wir vorm Hauptsitz von Energie Wasser Bern (ewb). Wir halten Transpis und Fahnen in den Händen. Die Aufschrift: «Aues gägä Flüssiggas!» und «Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge». Die Mediensprecherin der ewb kommt zu uns in die Kälte. Am Tag vorher haben wir angerufen und sie über unser Vorhaben informiert: Wir sind hier, um der ewb einen offenen Brief zu überreichen.
Die fossile Welle rollt. In Birr stehen nagelneue Öl- und Gaskraftwerke bereit, in Cornaux und Monthey sollen Umbauarbeiten zu Reservekraftwerken stattfinden, in Schweizerhalle wird ein Flüssiggas-Terminal geplant. Im Jahr 2023. Damit sollte eigentlich schon alles gesagt sein.
Ein bisschen ratlos, warum wir jetzt ausgerechnet bei ihnen auf der Matte stehen, diesen Eindruck machte die Vertreterin von ewb bei der Briefübergabe auf mich.
Ich bin hässig. Die letzten zweieinhalb Jahre habe ich viel, sehr viel Zeit investiert, um für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Was ich wollte, sind Fortschritte. Was ich bekommen habe – was wir alle bekommen haben – sind Rückschritte. Ein «Nimm das!» der fossilen Lobby als Reaktion auf die Klimakämpfe, die wir in den letzten Jahren, viele von uns schon seit Jahrzehnten, geführt haben. Ich bin so verdammt hässig, dass ich gezwungen bin, meinen Kampf für eine Verbesserung des Status Quo stehen und liegen zu lassen, und stattdessen verhindern muss, dass wortwörtlich weiter Öl (oder Gas) ins Feuer gegossen wird.
ewb wirbt mit glänzenden Ergebnissen in Sachen Nachhaltigkeit
Ein bisschen ratlos, warum wir jetzt ausgerechnet bei ihnen auf der Matte stehen, diesen Eindruck machte die Vertreterin von ewb bei der Briefübergabe auf mich. Tatsächlich wirbt ewb mit glänzenden Ergebnissen in Sachen Nachhaltigkeit. Direkt das erste, was dich anlacht, wenn du die Internetseite der ewb aufrufst, ist eine Medienmitteilung, in der von einem «Spitzenplatz» und einer «Vorreiterrolle» in Bezug auf grüne Technologien die Rede ist. Ausserdem rühmt sich die ewb mit «kontinuierliche(m) Engagement zugunsten einer nachhaltigen Energieversorgung». Ob sie sich konsequent danach richten, finde ich persönlich fragwürdig. Aber der Reihe nach. Die ewb ist Anteilseignerin des Gasverbunds Mittelland (GVM). Und eben dieser Verbund ist es, der in Schweizerhalle bei Basel gerade auf eigene Faust brandneue Flüssiggasterminals plant.
«Davon habe ich gehört», sagt eine ältere Frau, die auf unser Klingeln hin ihre Tür geöffnet hat. Wir sind in Zweierteams in der Gemeinde Muttenz, zu der auch das Industriegebiet Schweizerhalle gehört, unterwegs und führen Haustürgespräche mit den Anwohner*innen. «Aber Gas ist doch nicht so schlecht, besser als Öl allemal. Und jetzt durch den Krieg brauchen wir umso schneller Lösungen. Es kann ja niemand wollen, dass eine Versorgungslücke entsteht!»
Probleme von Erdgas
Gedanken wie ihre haben wir häufiger zu hören bekommen an diesem Tag. Und tatsächlich begegnen wohl wir alle im Alltag ständig Slogans für das ach-so-grüne Gas. Der Bus, der jetzt gasbetrieben quasi schon klimaneutral unterwegs ist, oder das Unternehmen, das nun endlich nicht mehr Öl, sondern Gas bezieht, und so ganz vorbildlich Emissionen einspart.
Dabei ist das positive Image von Gas als «Brückentechnologie» kaum mehr als das Ergebnis von hartnäckiger fossiler Propaganda. Ja, es stimmt, dass bei der Verbrennung von Erdgas weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt als bei der Verbrennung von Erdöl. Aber betrachtet man den gesamten Lebenszyklus des Gases, wird ganz deutlich, dass es grünes Gas nicht gibt. Die Förderung, häufig durch Fracking, verursacht grosse Umweltschäden, und dabei, sowie auch später beim Transport durch Pipelines gelangt Methan in die Atmosphäre, das über eine Zeitspanne von 100 Jahren massiv schädlicher ist als CO2. Zudem wird für die Umwandlung in Flüssiggas viel Energie benötigt. Nur taucht all das in der Klimabilanz des Gases nicht auf.
Wenn man sich den klimatischen und den neokolonialen Aspekt des Erdgases anschaut, ist schleierhaft, wie Gas mit nachhaltiger Energieversorgung vereinbar sein soll.
Doch damit nicht genug. Erdgas spielt eine grosse Rolle in neokolonialen Geflechten und Abhängigkeitsbeziehungen. Schuldenberge des globalen Südens beim globalen Norden, eine Konsequenz aus der Kolonisierung, zwingen viele Staaten, ihre so genannten Ressourcen wie eben Erdgas zu extraktivieren. Dabei werden an Orten, wo Gas gefördert werden soll, häufig indigene Menschen von ihrem Land vertrieben, umgesiedelt, und so oder durch die vernichtenden Umweltschäden, die bei der Förderung entstehen, ihrer Lebensgrundlage beraubt. Auch militärische Konflikte sind nicht selten mit fossilen Unternehmen verstrickt, wie z.B. in Mosambik.
Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge
Wenn man sich diese beiden Aspekte des Erdgases, den klimatischen und den neokolonialen, anschaut, dann ist schleierhaft, wie Gas mit der nachhaltigen Energieversorgung, welche die ewb propagiert, vereinbar sein soll. Liebe ewb: Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge. Daran gibt es nichts schön zu reden. Und wenn ihr nicht öffentlich und innerhalb des Gasverbund Mittelland dagegen aufsteht, dass die Flüssiggasterminals gebaut werden, macht sich eure Geschäftsleitung und euer Verwaltungsrat mitschuldig. Dabei gibt es keine Kompromisse: Entweder die neuen Terminals werden gebaut oder nicht. Wie wäre es also, wenn ihr es ernst nehmt mit der nachhaltigen Energieversorgung und wirklich eine Vorreiterrolle einnehmt?
Ich wünsche mir andere Alternativen als Gas und fossile Reservekraftwerke. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft darüber nachdenken, was das gute Leben überhaupt ist. Dass wir merken, dass einfache Massnahmen, wie eine Produktionsdrosselung in energieintensiven Sektoren oder eine Arbeitszeitverkürzung, massiv Energie einsparen und unser Leben schöner machen.
Wir sind hier, wir werden die fossile Welle brechen und wir werden weiter kämpfen für ein besseres Leben für alle.