Am 18. Januar 2019 lädt Heinrich Müller – Co-Chef der Detektei Müller & Himmel im Breitenrainquartier – seine drei Mitarbeiterinnen Gwendolin Rauch, Phoebe Helbling und Melinda Käsbleich zu einem kleinen Betriebsausflug ein. Im Bierhübeli gibt «Black China» – für Müller in den 1980er Jahren eine Kultband – nach bald 30jähriger Bühnenabsenz ihr Reunion-Konzert. Ein gelungener Abend, auch wenn Müller vom Auftritt der Band irritiert ist: statt vier stehen drei Leute auf der Bühne, gesungen werden die «aufgebrezelten Coversionen» von der Gitarristin Suze Wermuth. Der Sänger Samuel Meyer fehlt.
Eine Band wird dezimiert
Am Montag stehen der Bassist, der Schlagzeuger und die Sängerin von «Black China» in Müllers Detektei. Sie brauchen Hilfe: Der Sänger der Band ist Mitte letzter Woche verschwunden, und zwar, nachdem er die Proben für den Bierhübeli-Auftritt «ganz begeistert» mitgemacht hat. Die Polizei sage, ausser eine «Vermisstenmeldung über interne Kanäle» könne sie nichts machen. Heinrich Müller und Nicole Himmel werden aktiv. Aber die Besichtigung des Hauses unterhalb des Salem-Spitals, in dem der Sänger gelebt hat, führt vorderhand nicht weiter.
Einige Tage später die Meldung, eine Skitourengruppe habe etwas unterhalb des Leiterepasses östlich vom Gantrisch Meyers gefrorene Leiche gefunden. Sie wird ins Rechtsmedizinische Institut überführt. Der Gerichtsmediziner findet keine Hinweise auf Fremdeinwirkung: Meyer trage die für eine Bergwanderung übliche Kleidung, habe sich offenbar auf seine Schneeschuhe gesetzt, sei gestorben, vornübergekippt und einige Meter den Abhang hinuntergerutscht. Die Leiche wird kremiert, die Asche in einer kleinen Feier auf der Untertorbrücke der Aare übergeben. Weil dort auch ehemalige Freundinnen Meyers anwesend sind, sucht die Detektei nach Spuren in Richtung eines Beziehungsdelikts. Ohne Erfolg.
Und dann das: Ralf Locher, Bassist von «Black China», setzt sich im Weiler Egg ob Riggisberg, wo er wohnt, ins Auto und fährt ins Gürbetal hinunter, weil er in der Stadt etwas erledigen will. Ob Mühleturnen kommt er in einer Kurve von der Strasse ab, das Auto überschlägt sich im steilen Abhang mehrmals, Locher stirbt, die spätere Untersuchung von Leichnam und Auto ergibt keine Hinweise auf Fremdeinwirkung.
Erst als auch noch die Gitarristin Wermuth und Helbling, die Mitarbeiterin der Detektei, verschwinden, legen Müller und Himmel ein Beziehungsdelikt als Arbeitshypothese beiseite. Die Ermittlungen in eine neue Richtung führen schliesslich zum Showdown auf einem steilen Schneefeld unterhalb des Morgetepasses westlich vom Gantrisch. Ob Meyer und Locher tatsächlich ohne Fremdeinwirkung gestorben sind und die zeitliche Nähe ihrer Tode Zufall ist, bleibt offen.
Eine Schwäche und ein Ärgernis
Lascaux’ «Bern-Krimi» ist unterhaltend zu lesen. Jedoch hat er eine Schwäche und mehrere ärgerliche Passagen.
Die Schwäche des Romans ist die, dass der Text zu viel voraussetzt, respektive ungenügend vermittelt. «Schwarzes Porzellan» ist innert zwölf Jahren Lascaux’ zwölfter Krimi um die Detektei Müller & Himmel. Wer ihre Mitarbeitenden und die Funktionsweise der Detektei nicht schon kennt, hat Pech gehabt. Wer zum Beispiel auf Seite 20 nicht weiss, wer die en passant erwähnte Nicole ist, muss bis Seite 42 warten, um zu begreifen, dass sie Nicole Himmel heisst und Co-Chefin der Detektei ist. Und wer von ihr noch etwas mehr erfahren möchte und die vorherigen elf Romane nicht präsent hat, findet am schnellsten via Internet in einer «Bund»-Rezension aus dem Jahr 2019 den Hinweis, sie sei Mitte dreissig und Anthropologin. Aha. Auch warum die Detektei drei Mitarbeiterinnen braucht, die ausser der entführten Phoebe Helbling bloss als gesichtslose Stichwortgeberinnen in Dialogen in Erscheinung treten, bleibt auf der Basis dieses Buches unverständlich. Zu empfehlen ist Lascaux für den dreizehnten Fall deshalb, vor Romanbeginn sein Personal und ihre Arbeitssituation kurz vorzustellen – zum Beispiel auch, wie die Detektei eigentlich ihr Geld verdient. Denn dass die eher bescheiden lebenden Mitglieder einer seit dreissig Jahren inaktiven Musikband die Arbeit des fünfköpfigen Teams nicht bezahlen können, die vom 21. Januar bis zum 25. Februar 2019 ausschliesslich an diesem Fall zu arbeiten scheint, liegt auf der Hand.
Die Passagen, die Grund zum Ärger geben, sind jene, die den Krimi unterbrechen, um dem Erzähler Gelegenheit zu geben zu zeigen, was er alles weiss: Es gibt mehrere Passagen zur Geschichte der musikalischen Subkulturen der 1980er Jahre. Es gibt eine Passage zur Designgeschichte (S. 129f.), es gibt Weltpolitik statt Krimi (S. 146ff). Es gibt Kunst- und Literaturgeschichte statt Krimi (S. 200ff. und 237ff.). Diese Passagen – obschon informativ und in anderem Zusammenhang lesenswert – beschädigen die Krimiform doppelt: Sie bleiben Fremdkörper und unverbunden mit dem Plot und sie wirken, weil meist aufgebrochen in Gespräche, didaktisch bemüht und manchmal im Plot antipsychologisch. Als zum Beispiel Müller und Himmel der Partnerin des tödlich verunfallten Ralf Locher einen Besuch abstatten, öffnet diese zwar die Tür mit «verhärmtem Gesicht», auf dem man «die Bahn der nicht getrockneten Tränen» sehe. Im Wohnzimmer lässt sie sich danach aber sofort auf ein munteres Gespräch über die herumstehenden Designermöbel ein («Und hier die berühmten Landi-Stühle von Hans Coray» usw.).
Hört sich hier ein selbstgefälliger Erzähler einfach gern reden? Oder hat der Verlag Druck gemacht, nicht unter 250 Seiten abzuschliessen, die auch die beiden vorangegangen Krimis aufweisen? Oder geht es dem Autor als ehemaligem Lehrer um die Vermittlung von Stoff, den er für sein Publikum für wichtig hält? Sicher ist: Diese Exkurse tun dem Krimi nicht gut.
Faszination der Nähe
Dabei macht gerade das Spiel mit den lokalen Bezügen das Lesen unterhaltend: Man ist zwischenhinein sehr nahe dran. Zum Beispiel den erwähnten Postautokurs 8.35 Uhr ab Thurnen Richtung Riggisberg gibt es laut aktuellem Fahrplan tatsächlich. Und wenn die Detektei am 12. Februar 2019 wieder einen kleinen Betriebsausflug macht – diesmal ins Stadttheater –, dann wird die Oper «Reigen» nach Arthur Schnitzler gegeben, die in dieser Saison wirklich auf dem Programm stand (allerdings fand die Premiere erst am 31. März statt).
Kurzum: Wer in Bern lebt, kennt Orte und Bezüge, mit denen Lascaux seine Fiktion baut. Das Unerklärliche, das Verstörende, das bedrohliche Böse in der vertrauten Umgebung – das ist Lascaux’ Stärke und seine Chance, das Publikum weiterhin für die Arbeit der Detektei Müller & Himmel zu interessieren.
Paul Lascaux: Schwarzes Porzellan. Bern-Krimi. Messkirch (Gmeiner-Verlag) 2020, 279 Seiten, 18.90.