Ein von weit her sichtbares Barockschloss, vor 300 Jahren Patrizier-Residenz, ab Mitte des 19. Jahrhunderts Armen, Erziehungs- und schliesslich Strafanstalt für Frauen. Ein heute umzäuntes Areal, das kaum je betreten werden kann. Die Ausstellung «Hindelbank» verbindet diese Themen noch während drei Tagen, ein Buch vertieft sie. Diesen Samstag geht sie zu Ende. Ein Erfolgsprojekt, die Zahlen sprechen für sich: An 30 Tagen gab es 70 Führungen mit teilweise mehr als 40 Personen. Das Buch dazu ist nach zehn Wochen vergriffen.
Hinter dem geglückten Projekt stand der ad hoc gegründete Verein «Projekt Hindelbank», der sich drei Ziele setzte: Eine Ausstellung, ein Buch und: die vorübergehende Öffnung des Schlosses für alle. Der Verein wollte damit nicht nur das Bekannte zusammentragen, sondern Fragen nachgehen, zu denen es noch kaum Antworten gab. So durften die Tagebücher des Anstaltsdirektors Fritz Meyer eingesehen und ausgewertet werden. Ein eigens initiiertes und finanziertes Forschungsseminar am Zentrum für Genderforschung der Universität Bern klärte in Gesprächen mit Hindelbanker*innen das Verhältnis zwischen Dorf und Anstalt. Darüberhinaus entstand die bisher unbekannte Geschichte der Notarmenverpflegungsanstalt von 1866 bis 1895.
Fragen ans Publikum
Doch steht die über dreijährige Vorbereitung nicht in einem Missverhältnis zur Ausstellung und dem Rahmenprogramm, das gerade einmal sechs Wochen dauerte? Nicht wirklich, auch wenn Ausstellungen an grossen Häusern viel länger zu sehen sind. Der Aufwand lohnte sich, die Leute kamen in Scharen.
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In einem kostenlosen Büchlein zur Ausstellung wurden den Besuchenden Fragen zu Gesellschaft, Freiheit und Gerechtigkeit gestellt. Ein Beispiel: «Während langer Zeit war die 1981 aufgehobene Praxis der administrativen Versorgung gesellschaftlich breit akzeptiert. Das ist heute undenkbar (wie auch die früheren Praktiken der ‹Aktion Kinder der Landstrasse› und der Verdingung von Kindern). Gibt es heute breit akzeptierte behördliche Verhaltensweisen, von denen Sie sich vorstellen können, dass sie in 40 Jahren als unverständlich kritisiert werden?». Einige Besuchende waren irritiert, andere nahmen die Anregung an.
«Hindelbank» als Best-Practice
Was hat das Projekt richtig gemacht? Für einen umfassenden Rückblick ist es zu früh, nicht aber für erste Eindrücke. Da wäre zum einen die Annäherung an Geschichte als Prozess, engagiert erzählt und anschaulich gemacht in historischem Rahmen, ergänzt durch Einblicke in die Situation heute. Dies interessiert die Menschen in der Stadt wie auf dem Land.
Da ist aber auch das Handwerk: Keine Ausstellung entsteht ohne es: Modelle bauen, Ständer schlossern, Gläser schneiden, Vitrinen schreinern, Tonaufnahmen schneiden, Videos einkürzen, das Elektrische installieren und mehr. Eine Idee bleibt ohne Knochenarbeit unbelebt. Text, Ton und Bild sind digitale Friedhöfe, bis geschickte Hände sie mit Hammer, Säge, Leim und Computer zum Leben erwecken.
Dann braucht es aber auch Initiative: Das Interesse der Macher*innen von aussen und jenes der Verantwortlichen im Innern ergänzten sich. Inhaltlich und gestalterisch unabhängig, konnten die Verantwortlichen aber trotzdem auf die Unterstützung durch den Anstaltsbetrieb zählen. Zusammen erreichten sie mehr, als eine museale Ausstellung es vermag.
Und: Ohne Freiwillige wäre es nicht gegangen. Bei der Recherche nach Inhalten, Dokumenten und Bilden, dem Schreiben der Texte, der Gestaltung des Buches und später am Empfang und bei der Aufsicht der Ausstellung waren sie eine unentbehrliche Kraft. Zu diesen Freiwilligen kamen Zivildienstleistende im Fotobüro Bern.
Wo gibt es das sonst?
Ein Kulturprojekt im umfassenden Sinn, welches das materielle Kulturgut Schloss mit dem schwer greifbaren Kapitel Anstaltsgeschichte verbindet, ist schwer zu finanzieren – erst recht, wenn gesellschaftliche Aspekte (oben – unten), politische Veränderungen (Entwicklung vom Ancien Régime zum heutigen Kanton Bern) und dunkle Seiten des sozialen Gefüges (fürsorgerischer Zwang und administrative Versorgung) einbezogen werden. Die kantonale Förderpraxis, nach der Beiträge der Gemeinden verdoppelt werden, schiebt den Kommunen die entscheidende Rolle zu. Mit Hindelbank, Jegenstorf und der Burgergemeinde Bern hatten wir Glück. Wo gibt es das sonst?
Und noch etwas zur Förderung: In vielen Fällen hängt die Auszahlung eines Beitrags vom Vorliegen der Schlussrechnung ab. Vorausgesetzt wird also eine Vorfinanzierung. Doch die Macher*innen müssen leben und etwa auch Handwerkerrechnungen bezahlen. Bankkredite gibt es nicht. Wer also nicht schon etwas auf der hohen Kante hat, bleibt anderen einiges schuldig. Ist das gewollt?
Ein solches Projekt durchzuziehen, ist ein Gewinn. Man erlebt, wozu man fähig ist. Die Rückmeldungen entschädigen für vieles, für alles. Plötzlich versteht man, was für Leute auf der Bühne der Applaus bedeutet. Und die guten Worte.