Die Cabane B beim Bahnhof Bümpliz Nord ist nach dem Ende der Expo 02 von der Arteplage Murten hierhin transportiert worden. Aus rostendem Metall ist sie eine Klause mit rundem Dach, Fenstern und Tür. Mit weiteren ihresgleichen lud sie vor 18 Jahren am Murtensee Besucherinnen und Besucher zur Einkehr und Besinnung ein. Heute ist sie ein Solitär zwischen Bahngeleisen, Parkplatz und Strasse, ein Ort für Kunstausstellungen und Kulturveranstaltungen.
«schlupfwulst.faltschwellung»
Die Tür steht offen, es ist aussergewöhnlich warm für Februar. Im Inneren eine klare Gliederung: Der Mittelgang teilt zwei Installationen von Thomas Samuel Jacobi: Rechts «schlupfwulst.faltschwellung», links «leroi.soleil». Auf langen Tischen stehen und liegen rechts gefundene Objekte, zugefallene Dinge, die bewahrt wurden, auf Flohmärkten bewusst gekaufte Gegenstände. Da liegen Vergrösserungsgläser, durch die man etwas betrachten kann, Rindenstücke, Hausschwämme, Muscheln. Es gibt eine Waage, die in ein Stethoskop ausmündet, dessen Schlauchenden anstatt in das Bruststück in eine Handpumpe münden. Unter Glasglocken liegen vielerlei Dinge.
Eine rätselhafte Ansammlung natürlicher, technischer, kunstvoller Objekte, teils im Originalzustand, teils unmerklich verändert. Nichts ist selbstverständlich, allein durch die Aufnahme in die Ausstellung kommt jedem Ding erhöhte Aufmerksamkeit und dadurch höhere Bedeutung zu. Man macht Objekte wichtig, indem man sie nur ansieht und sich fragt, weswegen sie der Ehre des Gezeigtwerdens zuteil wurden.
«leroi.soleil»
Links des Gangs bilden minimale Baumarkt-Gestelle ein Archiv. Darin Aquarelle, eine goldene Sonne, eine rote runde Form, gläserne Kugel, gläsernes Tintenfass, ein aufgehängtes Spitalhemd mit Flecken und mehr. Die Sonne, der Sonnenkönig? Was bedeutet das Zentralgestirn, wie nehmen wir es wahr, wie wirkt es auf uns, was ist uns die Sonne? Und welche Bedeutung nehmen die archivierten Gegenstände an, wenn wir sie in anderem Kontext betrachten? Kann sich das Spitalhemd zum Königsgewand wandeln, die Glaskugel zum Reichsapfel? Ermächtigen wir uns, jemand zu werden, der anders ist als wir sonst, der mehr ist, der bestimmen kann – was und über wen?
Im Gespräch mit Thomas Samuel Jacobi, von dem an der Stirnseite der Cabane B auch feine Aquarelle hängen, erweist sich die Ausstellung als Anregung, sich selbst zu zentralen Fragen des Lebens, der Endlichkeit, seiner Werte, seines Glaubens Fragen zu stellen. Es geht um die Wahrnehmung des begrenzten Lebens und der Möglichkeit, in seiner Zeitspanne etwas zu bewirken oder nicht. Es geht ums Aushalten der Sinnlosigkeit seiner Existenz, ohne zu Verzweifeln, ohne zynisch zu werden, sich zu erhöhen oder abzuwerten. Zur Diskussion steht ein Existenzialismus ohne nihilistische Züge; es geht darum, das Leben, in das man geworfen wird, ohne Ansprüche tapfer zu leben. Im Bewusstsein, in den entscheidenden Momenten radikal allein zu sein.
Man kann die sehr persönlich gemachte Ausstellung, die einen vor die schwierigen Fragen führt, minimal dadaistisch verstehen. Man kann sie als intimes Philosophicum nutzen. Man kann an Haikus denken, japanische Kürzestgedichte, etwa «Mal zeigt es die Rückseite, mal die Vorderseite, ein Ahornblatt im Fallen» (Ryokan). Man kann die Ausstellung ratlos und kopfschüttelnd durchsehen und flüchten. Und man kann jemanden finden und darüber reden. Das wär‘s.
Thomas S. Jacobi arbeitet und lebt als Künstler und Kulturvermittler in Bern. Er leitet «Tönstör», das vor zwölf Jahren ins Leben gerufene Projekt zur Vermittlung Neuer Musik und engagiert sich unter anderem dafür, dass Junge kulturell nach ihren Vorstellungen aktiv werden können.
Die Ausstellung in der Caben B dauert noch bis 1. März. Am 25. Februar 19:30 Uhr Gespräch mit Nicolette Kretz zu Motiven der Ausstellung und Konzert von Sebastian Rotzler. – Die Cabane B steht beim Gleis 1 des Bahnhofs Bümpliz Nord an der Mühledorfstrasse 18, 3018 Bern.