«Le stade est un lieu de vérité»

von Christoph Reichenau 16. Mai 2018

YBs Meistertitel ist nicht vollständig ohne das Meisterbuch. Es zeichnet nach, es rundet ab. Es hält wach, was sonst rasch verklingt. Ein Dokument mit Texten, Bildern, Erinnerungen, Wahrheiten.

«Wo das Tram nicht hinfährt, da sind wir daheim.» Ein poetischer Titel für ein Buch zum Meistertitel von YB. Poesie und Sport, ein Widerspruch? Nicht wenn man auf dem Vorsatzblatt Albert Camus liest: «Le peu de morale que je sais, je l’ai appris sur les terrains de football et les scènes de théâtre qui resteront mes vraies universités.»  Von Pier Paolo Pasolini stammt der Satz: «Il calcio è lo spettacolo che ha sostituito il teatro.» Und Georges Haldas (1917-2010), der Genfer Schriftsteller und Philosoph schrieb: «Le stade est un lieu de vérité.»

Das YB-Meisterbuch 2018, für 18.98 Franken erhältlich, ist nicht die offizielle Hochglanzpublikation des Vereins. Es ist die aus privater Initiative erarbeitete Chronik der Super League-Saison 2017/2018 des Klubs, der seit 1986 nie mehr die Meisterschaft gewonnen, sie aber mehrmals haarscharf verloren hatte. Vier Autoren schrieben in der »Aargauer Zeitung» jede Woche eine Kolumne. Deren Titel «YuBeljahr» nahm, wie eine Prophezeiung, das Ergebnis vorweg. Erstaunlich, denn eigentlich wollte niemand, dem es ernst war, es verschreien: Bänz Friedli, Bernhard Giger, Pedro Lenz und Klaus Zaugg, langjährige Begleiter des gelb-schwarzen Klubs im Wankdorf. Engagierte, reflektierende Begleiter – keine Fans, mit denen «gearbeitet» werden müsste.

Hinzu kam als Fünfter Bernard Schlup. Mit acht Jahren besuchte er sein erstes Spiel im Wankdorf, den Cupfinal am Pfingstmontag 1956, den YB gegen GC 0:1 verlor. Das Billett bewahrte er (wie manches) auf, YB hielt er die Treue. Der Satz von Georges Haldas: «L’engouement (Schwärmen, Eingenommensein) de la plupart des hommes pour le football est inconcevable sans le retour à l’enfance», trifft auf Schlup zu. Er hat das Meisterbuch gestaltet als Gang in die Kindheit, als Weg aus der Kindheit.

Was heisst Buch? Was heisst gestaltet? Ein Büchlein ist es im Format eines Breviers, dicht bepackt mit Bildern und Texten, die YB-Matches von jeder der 36 Meisterschafts-, der Cup-und Europa-League-Runden sauber dokumentiert mit Datum, Aufstellung, Torschützen, den Spielergebnissen der anderen und dem jeweiligen Tabellenstand. Wie ein VW, der tiefstapelt mit der Buchtechnik eines Rolls Royce: Librettobindung, hochwertige Lithos. Und im Gegensatz zu Gestaltung als blossem Layout ist Gestaltung hier ein Beitrag zum Gehalt, eine eigenständige Suche mit reichem Fund.

Zwei rote Fäden ziehen sich, ineinander verzwirnt, durch das Buch. Einmal die Kolumnen der vier Autoren. Dann die Panini-Bildchen der YB-Spieler. Hinzu kommt ein Gespräch mit dem vor kurzem gestorbenen Stadtpräsidenten Alex Tschäppät und seinem Nachfolger Alec von Graffenried, weiter Zitate zur kulturellen Bedeutung des Fussballs, Fotos von Matchszenen der zu Ende gegangenen Saison, von Spielern, von der Stimmung im Wankdorf und – das gefällt mir sehr – von den Leuten des Stabs. Man blättert sich durch ein Fussballjahr voller Emotionen und liegt am Ende der Bildstrecke wie Marco Wölfli mit geballten Fäusten auf dem Rücken, erschöpft, glücklich, kampfbereit.

Mit den Panini-Bildchen ist es eine Sache für sich. 1957 gab es das erste Album der Kaugummifirma Bazooka mit aquarellierten Schweizer Fussballer-Bildchen. Das Umschlagbild, die Szene eines Matchs YB-GC im Wankdorf, stammt daraus. Zuvor bereits waren in Italien Panini-Bände erschienen, in der Schweiz gab es in den dreissiger Jahren Bücher der Zigarettenmarke Laurens. Seit 1957 erschienen 26 weitere Alben zum Schweizer Fussball. Sie sind schwer zu finden. Es brauchte Hingabe, Glück und eine Portion Dreistigkeit, Sammler anzurufen und sie um Scans zu bitten, nachdem die Abfrage der Nationalbibliothek sowie der Verbandsarchive nichts erbracht hatte. So kamen tausend Bildchen zusammen, aus denen Bernard Schlup nach eigener Überzeugung die Wahl traf. Sie fiel zuerst auf ehemalige YB-Spieler, die jetzt hinter den Kulissen entscheidend Anteil am Erfolg hatten, etwa Stéphane Chapuisat oder Christoph Spycher. Nächtelang mussten – das erforderte der Berufsstolz – schräg aufgeklebte Bildchen elektronisch begradigt und gerichtet werden. Nun steht eine Galerie der wichtigsten YB-Altvorderen und der jetztigen Meistermannschaft, bereit für das Museum. Bereit für die Aufstellung in der Saison 2018/2019 und der Verteidigung des Titels.

Thomas Knapp, enthusiastischer Kleinverleger aus Olten, war von Bänz Friedlis Idee zum Buch angetan und half, das Vorhaben wider alle Vernunft umzusetzen.

«Der FC Basel gratuliert dem BSC YB zum Meistertitel», hat der FCB inseriert, «bitte tragt dem Pokal Sorge, wir wollen ihn in guten Zustand zurückholen.» Hoffentlich verhindert YB die Rückeroberung. Ganz sicher behält YB eine singuläre Trophäe: Das meisterliche Meisterbuch, das fünf Freaks dem Klub zum Geschenk machen.

 

18 Franken 98 kostet das Buch in Erinnerung an das Gründungsjahr des Klubs.
Buchvernissage am 31. Mai in der Buchhandlung Orell Füssli Bern.