Es ist ein Eindruck, der allen Studierenden der hinteren Reihen bestens bekannt sein dürfte: Zwischen ihnen und der dozierenden Person liegt ein Ozean weissleuchtender, glasglatter Retina-, TN- oder IPS-Displays auf deren Oberflächen – begleitet vom Gemurmel der Tastaturen – Buchstaben erscheinen und wieder verschwinden, Dokumente aufgerufen und wieder in die Taskleiste herabgedrückt und ja, manchmal auch die Mails gecheckt oder Zalando-Bestellungen abgeschlossen werden. Für die Dozierenden bietet sich der umgekehrte Anblick: lauter Laptops, auf deren Rücken ein Apfelsymbol schimmert oder von Stickern verdeckt liegt, darüber, oder manchmal auch versteckt dahinter, die Gesichter der Studierenden.
Kein Fokus auf den Sachverhalt
In den «Übungen im Strafrecht I», eine Veranstaltung die parallel zur gleichnamigen Vorlesung für Jura-Studierende der ersten Semester angeboten wird, gehört obiges fortan der Vergangenheit an. Seit diesem Semester gilt für die besagte Übung ein Laptopverbot. Das verkündet ein uniinternes Dokument, unterzeichnet von den Berner StrafrechtsprofessorInnen Marianne Hilf und Martino Mona.
Den Versuch, juristische Falllösungsübungen ohne Laptops abzuhalten, habe man bereits im Frühlingssemester 2018 mit höchst erfreulichen Resultaten durchgeführt, erklärt Marianne Hilf. Es gehe bei diesen Übungen darum, die relevanten Problemstellungen in Sachverhalten erkennen zu lernen und die juristische Argumentation zu schulen. Dazu sei es erforderlich, dass jede(r) einzelne Studierende versucht, zu analysieren und zu argumentieren. «Das kann man aber nicht, wenn man sich nebenher anderweitig beschäftigt oder nur Vorgekautes abschreibt.», so Hilf.
Klare Worte findet auch Martino Mona. Mit Laptops im Unterricht habe es kein Fokussieren auf den Sachverhalt, keine vertiefte Analyse und gemeinsame Erarbeitung des Falles, dafür ständige Ablenkung und zwanghafter Fokus auf irgendwelche Theorien, Abschreiben von Lösungen und Schlussresultaten gegeben. «Das führte mithin sehr oft zu Prüfungen, in denen einfach relativ willkürlich irgendwo ein paar Fetzen Theorie abgeliefert wurden, ohne dass der Fall tatsächlich gelöst wurde.»
Selbstverantwortung statt Verbote
Aber ist ein Verbot wirklich der richtige Weg? «Grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass Studierende und Professor*innen sich auf Augenhöhe begegnen sollten – weshalb wir es als bessere Lösung erachten, solche Regelungen zu Semesterbeginn gemeinsam mit den Studierenden auszuhandeln anstatt Top-Down-Verbote auszusprechen», erkläre Noémie Lanz, Vorständin der Studierendenschaft der Uni Bern (SUB).
Rafael Zünd von den kritischen Jurist*innen Fribourg/Bern, einer Studierendenorganisation, die sich kritisch mit dem Rechtssystem und dem Rechtsstudium auseinandersetzt, ist ähnlicher Meinung. Es könne zwar durchaus Sinn machen, während Übungen auf elektronische Mittel zu verzichten. «Dennoch hat ein Verbot meiner Meinung nach an der Universität nichts zu suchen, denn die Uni soll nicht nur Fachkenntnisse, sondern auch Selbstverantwortung lehren.»
Im Interesse der Studierenden
Bei einigen Studierenden stösst das Verbot jedoch auch auf Gegenliebe, bei Gina zum Beispiel. Die Zwanzigjährige studiert Jus im ersten Jahr und besucht die besagte Strafrechtsübung. Sie zieht eine durch und durch positive Bilanz: «Man wird gezwungen, wieder mehr von Hand zu schreiben. Das ist eine super Prüfungsvorbereitung.» Sie persönlich fühle sich durch das Verbot nicht bevormundet, könne aber verstehen, wenn sich andere übergangen fühlten. «Es hat sich aber noch niemand wirklich beschwert», sagt Gina.
«Bereits in der Prüfung vom letzten Sommer konnten wir grosse Fortschritte erkennen», freut sich Martino Mona. Das Verbot scheint Wirkung zu zeigen, obschon seine Nichteinhaltung nicht mit Sanktion bedroht ist. «Das Verbot setzt sich von selbst durch, weil es vernünftig ist. Die Studierenden merken, dass es in ihrem Interesse ist», lautet Monas Erklärung. Gleichzeitig betont er, dass das Konzept revidiert würde, wenn von den direkt betroffenen Studierenden deutlich negative Rückmeldungen kämen. «Das war aber schlicht nicht der Fall.»