Landwirtin sein, aber ohne schlachten lassen zu müssen

von Sonja L. Bauer 12. August 2022

Sarah Heiligtag unterstützt Landwirtinnen und Landwirte bei der Umstellung von Milch- oder Fleischwirtschaft auf Gemüse- oder Getreideanbau oder einen Lebenshof. Es gehe ihnen nicht nur finanziell besser als vorher, so Heiligtag.

42000 Bauernbetriebe mit Fleischproduktion gibt es in der Schweiz zurzeit. Dies sind nur leicht weniger als noch vor sechs Jahren. Und obwohl es sich auch für Milchbauern kaum noch lohnt, Milchwirtschaft zu betreiben, zumal sie sehr aufwändig ist, halten viele Betriebe daran fest.

Auffallend ist, dass mehr und mehr Landwirtinnen und Landwirte umstellen wollen: Auf Gemüse- oder Getreideanbau, wie zum Beispiel Hafer, nach dem eine wachsende Nachfrage besteht. Auch, weil das Tierleid, trotz vordergründig «bestem Tierschutzgesetz der Welt» sichtbarer wird. «Nämlich dann, wenn Menschen mit ihren Tieren in Verbindung treten», sagt Landwirtin Sarah Heiligtag. Gemeinsam mit ihrem Mann entschied sie, einen Lebenshof zu gründen. Heiligtag ist Ethikerin. «Ich wollte die Theorie einer gerechten Welt in der Praxis anwenden und inmitten der Realität unterrichten.» Ihr Mann ist Landwirt. Beide wollten die Hoftiere behalten. «Deshalb stiegen wir auf einen Lebenshof um.»

Sarah Heiligtag, Sie helfen Landwirtinnen und Landwirten in der ganzen Schweiz, die ihre Tiere nicht mehr schlachten lassen wollen, umzustellen. Viele haben Sie bereits um Unterstützung gebeten. Sie nennen es TransFarmation? Was bedeutet dies?

Sarah Heiligtag: Dies bedeutet die Weiterentwicklung eines landwirtschaftlichen Betriebs in einen Betrieb, der nicht mehr auf das Töten der Tiere angewiesen ist, aber weiterhin Landwirtschaft betreibt.

Was bringt Landwirtinnen und Landwirte dazu, umzustellen?

Es kann sein, dass sie einen Schlüsselmoment erlebten, der ihnen die Türe dazu öffnete: ein Erlebnis mit dem Tier, mit dem sie sich auf eine Verbindung einliessen, und das sie danach schlachten lassen mussten. Andere halten es nicht mehr aus, in diesem Dauerschlachtprozess festzustecken. Viele suchen heute nach anderen Wegen, müssen dann aber feststellen, dass es innerhalb der Tierproduktion keinen gangbaren Weg gibt, den sie mit ihren Werten vereinbaren können. So öffnet sich die neue Möglichkeit, darüber hinwegzugehen und ganz aus dem Schlachtprozess auszusteigen.

Können Sie ein Beispiel eines solchen Veränderungsmoments nennen?

Bezeichnend ist, dass es Momente gibt, in denen Mensch und Tier in eine Beziehung treten, die diese Transformation herbeiführt. So meldete sich zum Beispiel ein Schweinemäster bei mir, der lange nicht mehr selbst in der Masthalle bei den Tieren gewesen war, da er dafür Angestellte hatte. Er beschrieb, wie ihn dabei ein so übles Gefühl befiel, dass er die Massentierhaltung nicht mehr verantworten konnte. Er sagte, in diesem Moment habe er sich gefragt, was er hier eigentlich tue. Er habe es von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr ausgehalten, gezwungen zu sein, die immer noch jungen Tiere in kurzen Abständen schlachten zu lassen, und suchte nach einem anderen Weg. Besonders schlimm fand er nicht allein die Schlachtung der Tiere, sondern auch, wie sie gehalten werden müssen, damit Massenware produziert werden kann. Ihm sei klar geworden, so sagte er mir, dass Muttersäue nicht ein einziges ihrer Bedürfnisse ausleben könnten…

Solche Bilder sind leider keine Ausnahme (Foto: TIF).

Was hat dieses Erkennungsmoment herbeigeführt?

Es ist immer die Begegnung von Mensch und Tier, die den Impuls für diesen
Wandel setzt. Es ist das Sich-Einlassen des Menschen auf das andere Individuum. Es kamen auch Milchbauern zu mir, welche die Kälbchen von den Müttern wegnehmen müssen, damit Milch produziert werden kann. Sie erlebten in kurzen Abständen immer wieder, wie Kälbchen nach der Mutter rufen und diese nach ihnen. Wie manche gar nicht trinken wollen und nicht selten gar sterben, weil sie nicht bei der Mutter sein können. Viele Landwirtinnen und Landwirte wollen dies nicht mehr in Kauf nehmen. Ich erlebe sehr oft, welch tiefe Emotionen solche Erlebnisse in ihnen auslösen können.

Hilft Ihr Vorleben anderen?

Davon bin ich überzeugt. Leider sprechen viele Landwirtinnen und Landwirte untereinander aber kaum über das, was sie diesbezüglich bedrückt. Sie fürchten sich davor, in ihren Kreisen nicht verstanden zu werden oder gar vor eventuellen Repressalien.

Warum ist die Umstellung auf den Gemüseanbau oder einen Lebenshof erst heute ein Thema?

Mir scheint, es sei eine neue Zeit angebrochen. «Alles» scheint nach Umstellung zu rufen. Sowohl aus ökologischen als auch aus ethischen Gründen. Klima und Gesundheit verlangen es. Es gibt noch viel mehr Gründe, umzustellen, als wie bisher weiterzumachen. Deshalb ist die Information wichtig, dass man auch ohne Tiere zu schlachten Bauer sein kann. Dies war vorher vielen nicht bewusst. Heute, wo so viele Betriebe umstellen, wird der Mut vieler Bäuerinnen und Bauern grösser, es auch zu tun. Information und Motivation müssen zusammenspielen. Denn man muss schliesslich wissen wie, sonst kann es ja nicht gehen.

Wie sieht es denn finanziell aus?

Rein das Finanzielle kann ein Anreiz sein. Denn der Anbau von Gemüse oder Getreide, wie zum Beispiel Hafer, rentiert gerade heute, wo Veganismus ausgeprägter ist, finanziell gut. Und könnte gar besser rentieren als Fleisch- und Milchwirtschaft. Der Knackpunkt: 80 Prozent der Subventionen gehen heute immer noch in die Tierproduktion, daher kann sie sich so gut halten. Somit kann man nicht sagen, was rentabler ist. Das Direktzahlungssystem müsste anders funktionieren. Trotzdem ist zu beachten: Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten verlangen sogenannt ethische Produkte. Somit steigt jemand, die oder der umstellt, in einen wachsenden Markt ein. Dies erfordert eine Budgetplanung.

Können Sie Interessierte auch bei der Budgetplanung unterstützen?

Ja, mein Kollege Florian Sisolefski begleitet Interessierte gern beim Aufstellen eines Budgets, auch damit es wirtschaftlich «verhet» bis zur nächsten Generation, an die man den Hof weitergeben will. Viele Landwirte hängen an ihren Tieren, können aber trotz Umstellung nicht alle retten. Hier gilt es, Kompromisse zu machen. Helfen kann ein sinnvoller Abschied von jenen, die nicht mit «hinübergenommen» werden können. Landwirtinnen, die auf das Schlachten verzichten und umstellen, wissen, dass da jemand daheim ist, im Tier.

Wie lange braucht ein Betrieb, um umzustellen?

Bei guten Bedingungen, wenn die verschiedenen Verträge ausgelaufen sind, kann ein Betrieb dies in zwei Monaten schaffen.

Dieser Text erschien zuerst in der Zeitung «Berner Landbote».