Kunst-Stafette #67: Micha Küchler

von Magdalena Schindler 27. Januar 2017

Mit seiner Emotion Map of Bern schlägt Micha Küchler eine Kartographierung unserer Stadt anhand von individuellen Stimmungen und Erinnerungen vor. Mit offenen Sinnen lässt sich das poetische Potenzial jedes Winkels entdecken. 

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Micha Küchler:

Ich bin ein Stadtmensch, habe immer in der Stadt gewohnt und stelle mir immer wieder die Frage, was eine Stadt eigentlich ist und in was für einer Wechselwirkung ich mich mit diesem Gebilde befinde. Wie funktioniert dieses Konstrukt «Stadt», innerhalb dessen sich mein Leben abspielt? Was tu ich hier? Was könnte ich sonst noch alles tun? Und was tut die Stadt mit mir?

Wer hat sich noch nie darüber beschwert, eine Stadt sei zu stressig, deprimierend oder zu gemütlich? Oder hat von der entspannenden, vitalisierenden oder inspirierenden Atmosphäre einer Stadt geschwärmt? Die Stadt wird oft als eine Gegebenheit angesehen, die uns prägt. Und meistens erleben wir uns dabei aber in einer passiven Rolle, sehen uns quasi der Wirkung einer Stadt ausgesetzt. Könnte das aber nicht auch anders sein, habe ich mich gefragt – und mich aktiv mit meiner Stadtnutzung auseinandergesetzt.

Dabei ist mir aufgefallen, dass auch ich mich oft als relativ passives Subjekt der Stadt fühle. Und noch mehr: Ich musste feststellen, dass mein Umgang mit der Stadt meist sehr simpel ist – selbst  wenn ich die Stadt «aktiv nutze». Ein grosser Anteil fällt auf die Nutzung diverser kommerzieller Angebote. Und selbst wenn es einmal nicht um den Tausch von Geld gegen Ware oder Dienstleistung geht, sind die Formen meiner Stadtnutzung nicht gerade divers. Will ich Entspannung, dann gehe ich in den Rosengarten oder an die Aare. Will ich Aufregung, dann gehe im Rössli tanzen. Et voilà.

Könnte die Wirkung der Stadt auf meine Stimmung, meine Wahrnehmung, meine Gefühle nicht viel feiner, diverser, komplexer sein? Das fragte ich mich. Und deshalb habe ich mich auf Erkundungstour durch die Stadt begeben, bei der ich etwas Faszinierendes festgestellt habe: Jeder noch so kleine Winkel der Stadt birgt das Potential, eine spezifische Wirkung auf meine Sinne und mein Gemüt zu haben! Es reicht, mit offenen Augen bzw. mit einem spezifisch  suchenden Blick durch die Stadt zu gehen. Da kam mir der Gedanke: Warum nicht damit beginnen, eine alternative Stadtkarte zu erstellen? Eine Stimmungsquellenkarte der Stadt, die uns den Weg zur nächsten Stimmungsquelle der Wahl zeigen kann? Wo kann mir die Stadt ein Feriengefühl schenken? Wo Aufregung? Wo Verwirrung? Ablenkung? Soziale Wärme? Wo hat es Orte, an denen man sich gut hinlegen kann? Düstere Orte? Anstrengende Orte? Orte der Vergänglichkeit? Widersprüchliche Orte?

Das Bild zeigt ein Beispiel eines solchen Ortes. In der Zeughauspassage befindet sich eine Glaswand, auf welcher die Namen der Geschäfte in der Passage angebracht sind. Was aber spannend ist: Die Beleuchtung der Wand ändert sich fliessend von weiss zu rot zu grün und so weiter. Als ich mich einige Minuten in geringem Abstand (max. 30 cm) vor diese Leuchtwand stellte und sie eingehend betrachtete, hatte ich bald einmal das Gefühl, ich flöge durch ein neonleuchtendes Paralleluniversum. Und landete nach einigen Minuten leicht beduselt wieder im hiesigen Bern. Ja, und nun arbeite ich an einer sich stetig weiterentwickelnden Emotion Map of Bern

Und eigentlich fände ich es wunderbar, die Idee weiter und weiter zu drehen – sodass schlussendlich eine «Universal Map of Bern» entstünde, eine App, von allen nutzbar, von allen erweiterbar, mit einer Vielzahl von Anzeige-Ebenen für alle vorstellbaren Realitätsschichten dieser Stadt: Für Erinnerungsorte, für windgeschützte Orte, für warme Orte im Winter oder kalte Orte im Sommer, für Orte mit faszinierender Bodenstruktur, Orte mit imaginärer Geschichte, Orte ohne Namen, die aber einen bräuchten, Orte die sich anfühlen wie in einer ganz anderen Stadt und und und und. Eine urdemokratische Meta-Map.

Welchen Raum brauchst du für deine Kunst?

Die ganze Welt ist unser aller Sandkasten.

Wo siehst du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Überall. Und wenn er privatisiert worden ist – dann erst recht überall. 

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Bei Hotspot fällt mir in der gegenwärtigen Jahreszeit der Türluftschleier vom Loeb ein, diese Warmluftschranke beim Eingang vieler Kaufhäuser, welche die kalte Luft draussen behält. Ich verabrede mich oft beim Loebegge. Meistens komme ich zwar zu spät. Wenn ich aber einmal als erster da bin, dann mache ich mir einen Spass daraus, während des Wartens mit wenigen Schritten immer wieder zwischen zwei Klimazonen hin und her zu pendeln.