Was hat euch zu dieser Arbeit veranlasst?
Latinlover (Daniela Ruocco & Aldir Polymeris):
Wir planen gerade eine Try-Out-Serie zusammen mit dem Schlachthaus Theater Bern. Diese Try-Outs werden im Laufe des nächsten Jahres stattfinden und sind Teil unserer Recherchearbeit für die Performance Der Grosse Mediator. Einer unserer Hauptrecherchepunkte ist Wellness. In der Welt des Wellness kann man ganz interessante Räume, Maschinen, Atmosphären, Musik und Düfte finden. Sozusagen eine «Entspannungsästhetik», mit der wir gerne arbeiten möchten. Aber woher kommt Wellness überhaupt? Und wofür steht dieser Trend? In diesem Zusammenhang versuchen wir das Verhältnis zu ergründen zwischen einem scheinbar unaufhörlichen Bedürfnis nach Wohlbefinden und Ruhe und der Sehnsucht, die in jedem steckt, sich einer relevanten Aufgabe zu widmen, etwas zu tun, eine Lösung zu haben für Probleme wie: Krisen, Kriege, Ungerechtigkeit. Also: Wie verhält sich die Suche nach Entspannung zur allgemeinen Weltlage? Vielleicht können wir durch Schönheit siegen und Wellness für die Augen machen. Wir wollen Gedanken-Mediation betreiben, die Ambivalenz der Dinge begrüssen und die Zwischenbereiche beleuchten.
Welchen Raum braucht ihr für deine Kunst?
Einen Raum, den sich die Kunst (oder das Werk) mit dem Rezipienten teilt und in dem ein Kontakt stattfindet. Das mag offensichtlich oder banal klingen, jedoch haben wir im Gespräch mit anderen Kunstschaffenden oft erlebt, dass sich die Sorge, die eigene Arbeit würde niemanden erreichen, sehr schwer vertreiben lässt, wenn sie sich einmal breit gemacht hat. Wahrscheinlich entwickelt man gewisse Strategien, um sich davon zu überzeugen, dass das, was man macht, eine gewisse Relevanz hat – und man vermeidet es, sich in Sinnfragen reinzusteigern. Obwohl letzteres tatsächlich etwas ist, was uns, Latinlover, auch sehr liegt – ein Risiko, das wir oft und gerne eingehen.
Wie auch immer und zurück zum Raum: Medien, die ein hohes Potenzial haben, immersiv zu wirken, sind die Medien unserer Wahl und die Räume, die eine solche Erfahrung ermöglichen, somit unsere bevorzugten Kunsträume. Wir haben den Eindruck, dass der Theaterraum (ähnliches könnte man von einem Kinosaal oder einer Lesung behaupten) ein dankbarer Raum ist, weil die Besucher in der Regel eine hohe Bereitschaft mitbringen, sich auf – oder besser in – etwas einzulassen. Das würde der «Immersion» entsprechen.
Es gibt aber noch die andere Seite, die der «Illusionsmaschine Theater» misstraut und diesen geschützten Raum verlassen möchte, sozusagen eine realness sucht und auch braucht. Deswegen ist es uns ein Anliegen, unsere Try-Out-Serie nicht allein im Schlachthaus Theater Bern geschehen zu lassen. Damit sind sowohl die Recherche als auch die eigentlichen Anlässe gemeint. Schlussendlich kann man es vermutlich darauf runterbrechen, dass wir den Drang haben, in der Stadt, in der wir leben und mit den Menschen, die diesen Raum ausmachen, zu arbeiten, zu interagieren, in Kontakt zu treten.
Sind gesellschaftliche Fragen Thema eurer Kunst?
Unsere Arbeit beschäftigt sich stark mit kultureller Identität und diese Fragestellung beinhaltet auch, wie man sich im sozialen Raum verhält und wie man den überhaupt versteht. Uns geht es vielleicht auch um gesellschaftliche Sehnsüchte – um Fragen wie: «Wer sind die Schweizer (wenn es sie gibt) und was wollen sie wirklich?» oder «Was ist unsere Rolle als Eingewanderte in diesem Land? Warum sind wir gekommen und geblieben?» Ausserdem fragen wir uns immer noch ernsthaft, ob es möglich ist, Politik und Kunst zu verbinden, ohne gleich den Holzhammer auszupacken. In dieser Hinsicht interessiert uns besonders, wie die Medien mit den Nachrichten umgehen, die uns von der Welt erzählen. Welche Bilder werden da geschaffen? Welche Rethorik angewendet? Man fühlt sich zuweilen kolonisiert im Kopf. Brauchen wir nicht mal neue Bilder, von einer anderen Art?
Wo seht ihr Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?
Überall, eigentlich. Die Frage ist eher eine andere… Also, wenn man vom Rosengarten auf die Stadt runterschaut, dann sieht das aus wie auf einer Postkarte. Das ist wohl die beste Sicht auf Bern und deswegen die verhängnisvollste. Niemand wird sich jemals trauen, diese Postkarte zu verhunzen. Wie wäre es also, wenn wir die Altstadt etwas umgestalten würden? Wenn die Aare pink wäre und ein paar von diesen alten Sandsteinbauten abgerissen? Mani-Matter-Style irgendwas sprengen. Nicht der Zerstörung wegen, sondern um die Dinge ein bisschen aufzulockern. So wie wenn man in der Erde rumstochert, um dann neu anzupflanzen. Wie heisst das schon wieder?
Interessant in diesem Kontext ist, dass wir immer noch in der Dichotomie öffentlich/privat operieren. Privat bedeutet eigentlich so was wie «das ist meins!», hat also mit Besitz zu tun. Aber auch der öffentliche Boden, die öffentlichen Plätze gehören jemanden. Der Stadt, dem Kanton. Und da beginnen die Schwierigkeiten. Da musst du hin und um Erlaubnis fragen anstatt frei eingreifen zu können.
Ein anderes gutes Beispiel ist der Bahnhof. Da können die Leute sich jetzt auch mal hinsetzen, wenn sie wollen, dort beim Treffpunkt. Schade nur, dass man so lieblose Bahnhof-Shopping-Plastikdinger hingemacht hat. Aber das bringt’s ganz gut auf den Punkt: Ohne Konsum kein Draussen. Wofür soll ich mich im öffentlichen Raum aufhalten, wenn ich mir nicht was kaufen kann?
Welches ist euer persönlicher Hotspot in Bern?
Aus aktuellem Anlass ist es ganz klar der Glasbrunnen im Bremgartenwald, der uns auch als Vorlage für die Fotocollage diente.