Kunst-Stafette #26: Nick Röllin

von Magdalena Schindler 2. Dezember 2014

Mit seiner Arbeit «Grössenwahn» spielt der Bildhauer Nick Röllin auf den kommerziellen Gigantismus in der Gegenwartskunst an. Als verletzliche Kleinskulpturen scheuten seine Figuren bisher eher den öffentlichen Raum.

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Nick Röllin:

Bis anhin habe ich vorwiegend Kleinskulpturen in thematischen Werkgruppen kreiert. Hier nun schwebt mir eine Monumentalskulptur vor. Von berühmten Künstlern, wie beispielsweise Jeff Koons, Ugo Rondinone oder kürzlich Enver Hoxha, habe ich gelernt, dass man mit Grössenwahn in Form von Monumentalskulpturen erfolgreich sein kann. Deshalb beschäftige ich mich beim Werk «Grössenwahn» intensiv mit der Grösse. Ich habe das Werk bereits in vier Grössen hergestellt, passend je nach Platzverhältnissen und Budgets. Nun suche ich eine Investorin (öffentliche, private oder unsichtbare Hand), die mir die Herstellung als mindestens 3 Meter hohe Skulptur finanziert. Bereits in dieser kleinen Serie zeigt sich, dass Grössenwahn im Kleinen weniger schwerwiegend ist als Grössenwahn im Grossen.

Welchen Raum brauchst Du für deine Kunst? 

Für die Kunstproduktion benötige ich ein Atelier als Ort der Konzentration und des kreativen Rückzugs. Ich tummle mich gern in meinem Werkzeug und meinem Material und bearbeite meine Gedanken und Skizzen. Dieser Ort lag in den letzten zwanzig Jahren in «Brachen», Abbruchgebäuden, Zwischennutzungen. Gewerblichen Raum könnte ich nur schwerlich finanzieren. Leider werden diese «Brachen» – zumindest in Stadtnähe – zunehmend rarer.

Auf der Präsentationsseite suche ich halböffentlichen Raum. Im öffentlichen Raum haben meine meist filigranen Skulpturen einen schweren Stand. Sie sind verletzlich und bedürfen einer gewissen Sorgfalt und Rücksicht. Dies ist nicht immer gegeben. Aber ich mag keine vandalensichere Kunst machen. Deshalb bin ich auch gar nicht so erpicht auf einen 4 Meter hohen «Grössenwahn». Die Welt ist verletzlich, ich selber bin verletzlich und deshalb verstehe ich meine Kunstobjekte auch als Übungsstücke für Sensibilität im Umgang mit der Umwelt.

Natürlich landen meine Werke letztlich häufig in privaten Räumen. Aber ich gehe davon aus, dass sie auch dort einem breiten Publikum zugänglich sind.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Klar. Gesellschaftliche Fragen sind Thema des Lebens. Die Kunst ist ein Kommunikationsmittel, mit dem ich Gedanken und Ideen formulieren und in Debatten einbringen kann. Dabei bin ich weniger an klugen, abschliessenden Antworten als an widersprüchlichen Thesen, provokativen Einwürfen, ironischen Übertreibungen oder absurden Gedankenspielen interessiert. Also müsste doch der „Grössenwahn“ mindestens 5 Meter gross sein.

Suchst du die Öffentlichkeit?

Ja. Nicht im Sinn meiner öffentlichen Präsenz, sondern im Sinn einer öffentlichen Debatte.

Wo siehst du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Der verbliebene öffentliche Raum ist enorm unter Druck. Nicht durch zu viele Menschen, sondern durch kommerzielle Verwertungsansprüche und zunehmenden Individualismus. Da ist es sicher sinnvoll, ihn möglichst vielfältig, temporär und offen zu nutzen. Und ihn nicht vollzustellen mit Kunst oder Autos. Das spricht natürlich komplett gegen einen 6 Meter hohen, tonnenschweren «Grössenwahn». 

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Bern ist schon eine sehr enge Stadt, aber zum Glück mit phantastischen Brücken. Ich liebe diese Momente auf den hohen Brücken, beim Wechsel von einem Quartier ins andere. Der Blick weitet sich, schweift in die Ferne, Höhen und Abgründe tun sich auf, die Augen entspannen sich, Kopf und Körper werden durchlüftet. Ich fühle mich kurze Zeit erhaben und jeglicher Grössenwahn verfliegt…