Kunst-Stafette #24: Raoul Ris

von Magdalena Schindler 4. November 2014

Seit rund zehn Jahren ist der Berner Stadtraum Motiv in der Malerei von Raoul Ris. Ein grauer Unort wie die Schützenmatte offenbart im Bild von Ris seine versteckte Poesie und sein Potential an Farben und Reflexen. 

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Raoul Ris:

Die Brache. Was, wenn alles gepflästert, die Brunnen renoviert und mit Geranium bestückt sind? Wo entdecken nicht nur kleine Kinder Geschichten von sich und anderen in den Pfützen und in den Löchern im Asphalt? Alle Räume werden zugedeckt und ersticken in unserem Bestreben, sie besser und schöner zu machen als sie sind. Besser und schöner heisst effizienter für Wirtschaft, Verkehr, Kultur oder Kinder, weil wir magnetisch angezogen werden vom Möglichen, vom Machbaren. Aber mit der so sehr angestrebten Umsetzung in welche Richtung auch immer verschwindet nicht nur der wirkliche Raum, sondern auch seine Möglichkeit, Möglichkeit zu bleiben.

Die Schützenmatte, oft als Unort bezeichnet, Brachland in den meisten Köpfen, ist mir gerne Motiv, immer wieder. Sie ist Ankunft- oder Abreiseort in andere Länder für Cars und Autos, ist Chilbi und Schaustellerei mit Bahnen, Lichtern und Düften in die Nacht, launischer Treffpunkt, wetteroffenes Spielfeld, ist energiegeladen und Oase in einer fast zu Ende gedachten Stadt. Sie ist Brachland, innerstädtische Elfenau mit den farbigen, spiegelnden Blechen in der Herbstsonne, den vielen Sprachen, den alten Bäumen, eingekreist von breiten Strassen: Ein Ort, wo es langsam wird, und so der Kopf wieder fähig ist, Geschichten zu erfinden.

Kann man deine Fokussierung auf den Stadtraum als eine Art Aneignung mit den Mitteln der Malerei verstehen? 

Unbedingt, als Spiegelfläche meines Innenraums – oder als Spielart davon. Die Malerei versucht ja, vermeintlich Objektives zu subjektivieren und so mit Erzählung aufzuladen, wobei es nicht um Verständlichkeit geht, sondern eher um emotionale Klänge. Die Auseinandersetzung mit der Stadt als Erzählraum, sei es mit Bildern oder Worten, ist übrigens auch in den Büchern «bernsehen» 1 und 2 dokumentiert.
 

Ist die Schönheit, die du Orten wie der Schütz verleihst, nicht auch eine Verklärung oder Projektion?

Immer. klar. Das ist ja aus meiner Sicht die Eigenheit der Malerei, ihr Sinn. Sie meint nicht Wahrheit und Verbindlichkeit wie die Fotografie, sondern Taumel und Erzählweise, Klang, Lebendigkeit in allen Facetten. 
 

Welchen Raum brauchst du für deine Kunst?

Es gibt einen bestimmten Zustand in der Malerei, in welchem das Motiv nebensächlich, eher ein Vorwand wird. Dann ist die Malerei fast nur noch physisch, ein Hin auf die Leinwand mit der Farbe, Schicht um Schicht auf farbigem Grund. Dies gelingt, oder besser ereignet sich eher selten, doch ist es der Raum, in dem ich mich dann wirklich als Maler fühle.

Kunst ist das nicht und Kunst gibt es auch nicht. Wobei sie ähnlich ist dem lieben Gott. In aller Munde und viele leben davon, all die Sachverständigen und Priester, all die Literatur und die Gebäude, die etwas huldigen, das noch nie gesehen wurde. Ich meine nicht die Bilder und Skulpturen, nicht die Musiker und Schriftsteller, weder die Filmemacher noch die Tanzenden. Ich meine lediglich das Wort Kunst; es macht uns blind für das tatsächlich Vorhandene.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Ja, oft einfach durch die Titelgebung eines Bildes. 

Suchst du die Öffentlichkeit?

Eher ungern eigentlich und wenn, dann als Beobachtender.

Wo siehst du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Ich sehe kein spezielles Potential. Der öffentliche Raum ist unser Lebensraum und so immer wieder Anlass, sich ein Bild von ihm zu machen.

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Wie schon erwähnt die Schützenmatte und ein ganz kleiner Platz am Niederried-Stausee.