Kunst-Stafette #09: Livio Baumgartner

von Magdalena Schindler 25. Februar 2014

Livio Baumgartner lädt mit seinen Kunstaktionen zum Mitdenken ein. Vergänglich wie Eis und präsentiert an alternativen Orten, sind seine Arbeiten auch Statements gegen den institutionalisierten Kunstkonsum.

Was hat dich zu dieser Arbeit veranlasst?

Livio Baumgartner:

Das Werk wurde für die Ausstellung «Do Something Good» erdacht. Ich organisierte diese Ausstellung in einem leerstehenden Abbruchgebäude an der Stauffacherstrasse in Bern. Sie dauerte nur eine Nacht und wurde in einer okkupatorischen Art durchgeführt. Die Besucher mussten mit den mitgebrachten Taschenlampen die Werke selbst aufspüren und sich den Weg durch die dunklen Räume leuchten. Traf ein Taschenlampenstrahl die Skulptur « I’ll Never Get Out of This World Alive» bildete sich ein Lichtspiel in den Brechungen des Eises. Der ungebrannte Ton fiel von der Skulptur und verformte sich, das Eis löste sich auf und hinterliess eine Pfütze. Der Abend war eine Mischung aus Aktion, Performance und Ausstellung. Das Thema war das Flüchtige, das Zeitliche und das Ambivalente. 

Welchen Raum brauchst du für deine Kunst?

Meine Arbeiten kreisen um die Räume des Ateliers, der Ausstellungsituationen und des Kopfes. Mein Tun ist eine stetige Spirale des Denkens, des Handelns und des Entscheidens. Ausstellungssituationen sind immer eine Konkretisierung dieses Kreislaufes.

Sind gesellschaftliche Fragen Thema deiner Kunst?

Kunst ist ja eigentlich immer eine individualisierte Frage nach der Zeit und der Gesellschaft. Oft stolpere ich beim Arbeiten über die Frage nach der Dringlichkeit der Kunst. In einer Wohlstandesgesellschaft wie derjenigen der Schweiz liegen die Probleme nicht sichtlich auf der Strasse. Die Probleme entstehen und befinden sich in den Köpfen, also den engsten und doch auch in den weitesten Räumen des Menschen.

Kunst kann hier eine gewisse Erweiterungsmöglichkeit bieten, doch dominiert in der Schweiz eine marktorientierte Kunst-für-die-Kunst-Kunst. So verengt sich der Blick und wird in eine «falsche», also eigentlich wieder in eine kapitalistische Richtung geleitet. In gewisser Weise sehe ich in der Mystifizierung der Kunst ein Problem, welches eine falsche Orientierung bietet. Kunst wird oft über Erfolg – etwa in Form von Preisen oder Stipendien – definiert. Das setzt seitens der Kunstschaffenden einen gewissen Egoismus voraus, der dann unter dem Deckmantel des Individualismus daherkommt. Egoismus schliesslich ist die Keimzelle des Kapitalismus. In einer suggestiven, persönlichen Art beschäftigen mich diese Themen. 

Suchst du die Öffentlichkeit?

Kunst ohne Öffentlichkeit ist sinnlos, tut aber gut!

Wo siehst Du Potential zur Nutzung des öffentlichen Raums?

Kunst hat schöne Räume, um sich zu präsentieren. Vielleicht sollte man versuchen, die Öffentlichkeit zuerst in diese Kunsträume zu bringen, bevor man die Kunst zur Öffentlichkeit bringt. Das heisst: Die Förderung von Institutionen sollte erhöht oder umverteilt werden, damit Leute nicht nur an einer Museumsnacht eine Kunstinstitution besuchen. Kunst im öffentlichen Raum wird auch nur als solche wahrgenommen, wenn der Betrachter aufmerksam und geschult ist. Künstler und Vermittler arbeiten hart für das Werk, doch der Betrachter will es, in Begleitung von Cüpplis, gratis und verständlich haben. Kunst ist in jeder Hinsicht viel Arbeit, kann aber die Wahrnehmung schärfen und so die Betrachtung der Welt – des Öffentlichen – in einer vertieften Reflexion erlebbar machen.

Welches ist dein persönlicher Hotspot in Bern?

Die Lorrainenbrücke, deren Aussicht und der darunterliegende Botanische Garten.