Auf einmal stand er auf der Bühne im Hof des PROGR am KunstStadtFest der vielen Künstlerinnen und Künstler, der Organisationen und Institutionen, die gegen die vom Gemeinderat beantragten Sparmassnahmen protestierten. Er ergriff das Mikrophon und solidarisierte sich in wenigen warmen Worten mit den Kolleginnen und Kollegen. Florian Scholz, Intendant von «Bühnen Bern», Arbeitgeber von rund 550 künstlerischen, handwerklichen, technischen und kaufmännischen Mitarbeitenden, praktizierte das Miteinander. Er musste dazu nicht erst überzeugt werden, er wollte es so. Plötzlich war das Stadttheater, war das Berner Symphonieorchester Teil der vielfältigen Berner Kunstszene und in Tuchfühlung mit ihr.
Das ist an sich nichts Besonderes. Dass der Chef des bei weitem best-subventionierten Kulturbetriebs im Kanton Bern präsent ist, wenn es gilt, Kürzungen abzuwehren, erscheint normal. Neu ist aber, dass der Schein Realität ist. Die Vorgänger von Scholz, alles Männer, waren dafür nicht zu haben, pflegten ihre besondere Stellung. Der kurze Auftritt am 14. August ändert einiges. Er ist, pathetisch gesprochen, ein Versprechen. Ein Versprechen für Zugehörigkeit, Wirklichkeitsbezug, Neugier. Es wird natürlich gemessen werden im Theater, auf der Bühne. Doch diese steht nicht im luftleeren Raum, sondern inmitten der Gesellschaft, die sie will, braucht und trägt.
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Auch unter dem neuen Namen «Bühnen Bern» besteht das sogenannte Berner Modell weiter: die vier Sparten – Schauspiel, Tanz, Musiktheater und Orchester – sind weitestgehend autonom, der Intendant hat das Vetorecht, eine Notbremse aus künstlerischem oder finanziellem Grund zu ziehen. Soll die Reissleine wirklich ultima ratio sein, zwingt dies – sehr erwünscht – zum maximalen Miteinander der Bereichsleitenden und des bündelnden Intendanten.
Schade, dass die Programmhefte, früher eines, jetzt getrennt sind in Oper, Schauspiel, Tanz einerseits, Symphonik andererseits. Zumindest im praktischen Gebrauch ein Rückschritt vom Zusammenschluss vor einem Jahrzehnt.
Wirklichkeitsbezug
Das abwechslungsreiche Schauspielprogramm – es scheint gegenüber dem Tanz und der Oper am meisten zu ändern – beginnt mit Gerhart Hauptmanns «Rose Bernd», uraufgeführt 1903 in Berlin (im Eröffnungsjahr des Stadttheaters am Kornhausplatz). Man darf die Wahl dieses schweren Stücks sozialgeschichtlicher Anklage wohl als programmatisch verstehen: Wer gehört dazu? Wer fliegt durch das Netz? Wen zwingen die Verhältnisse zu schlimmen Taten? Wo liegt die Schuld? Florian Scholz sieht in «Rose Bernd» und in anderen Stücken – etwa «Kaspar» von Peter Handke oder «Ein Bericht für eine Akademie» von Franz Kafka – Beiträge des Theaters zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs, den er führen will. Das tönt nach dem Theater als moralischer Anstalt, als Ort, wo man Empathie lernen kann. Es tönt nach Relevanz, nach Neugier, nach Verantwortung.
Neugier
Die drei Hauptspielorte von «Bühnen Bern» – das Stadttheater, die Vidmarhallen, das Casino – sollen Schritt um Schritt ergänzt werden durch Auftritte ausserhalb, anderswo. Das Sprechtheater hat dafür das Vehikel «Schauspiel mobil» entwickelt, das mit minimaler Infrastruktur, kleiner Besetzung und eingängigen Stoffen (zu Beginn Patricia Highsmiths «Der talentierte Mr. Ripley») in der Landschaft umherkurvend zu den Leuten «auf die Stör» geht. Stiftungen machen es mit Zuschüssen möglich. Erste Stationen sind der Morillon-Park am Stadtrand, im Hotel Bellevue und im Quartierzentrum Tscharnergut. «Wir träumen den Traum von einer sehr leichten Art des Theaters auf hohem Niveau», sagt Scholz und hofft auf Interesse. Das Angebot besteht – an allen, es zu nutzen.
Neugier auch im symphonischen Bereich. Nach dem Abschied von Mario Venzago sucht das Berner Symphonieorchestern nicht auf Teufel komm raus einen neuen Maestro oder eine neue Maestra. Im Gegenteil. Die Musikerinnen und Musiker haben den Wunsch, Bekanntschaften zu schliessen. Eine feste Partnerschaft mit einer Dirigentin oder einem Dirigenten ist der Wunsch, doch der Weg dahin darf dauern. Einige Spielzeiten gibt man sich, in feste Hände zu gelangen. Für Konstanz sorgen in dieser Zeit der Chefdirigent des Musiktheaters, Nicholas Carter, und der Kapellmeister Sebastian Schwab. «Star ist das Orchester», konstatiert Florian Scholz, und verweist darauf, dass etwa die Wiener Philharmoniker bewusst keinen Chef, keine Chefin wollen. Die Zeit der Erfahrungssammlung ist angebrochen. Auch für das Publikum, dem einiges zugetraut und zugemutet wird.
Miteinander
Aufbruch, Neuerung ist das übergreifende Motto. Florian Scholz ist daran, Bekanntschaften zu schliessen in der Berner Kulturlandschaft: mit dem PROGR, der Dampfzentrale, dem Schlachthaus, La Cappella. Er geht auf die anderen Kunstorte zu und nimmt sich Zeit dafür. Er will aber auch das eigene Haus, die eigenen Häuser, systematisch öffnen für alle Kreise der Bevölkerung. Dafür gibt es kein Patentrezept, das ist eine ständige Anstrengung, ein steter Versuch, auf den man sich einlassen muss. Die Bereitschaft scheint da. Dazu gehört auch der neue Ansatz, die Verantwortlichen für die Vermittlung des Tanzes, des Schauspiels, der Oper an die Seite der Spartenleiterinnen zu rücken, sie bei der Gestaltung der Programme einzubeziehen und Teil haben zu lassen an der künstlerischen Arbeit.
Offenheit ist kein Kopfkonzept, keine ausschliesslich auf die Leitenden bezogene Idee. Sie muss in allen Teilen des Vier-Sparten-Betriebs gelebt werden. «Bühnen Bern» führt deshalb einen internen Workshop zum Thema des eigenen Rassismus durch und – unterstützt durch Pro Helvetia – zur Diversität und zur sozialen Transformation. Was in der Gesellschaft wichtig ist, soll auch im Theater stattfinden. Was unter den Leuten im Alltag diskutiert wird, soll aus der Kunst Anstösse erhalten. So werden das Ballett, das Schauspiel, die Oper, das Symphonieorchester Orte, an denen, mit den Mitteln der Kunst, Themen be- und verhandelt werden, die alle angehen.
Der Wille ist da, «Bühnen Bern» mit gewöhnungsbedürftigem, nichtssagendem neuem Logo wiederum gesellschaftlich relevant und künstlerisch anspruchsvoll zu machen. Das verdient Vertrauen und Offenheit in der Kritik. Eine Entwicklung funktioniert nur, wenn beide Seiten zusammenwirken: die Künstlerinnen und Künstler und das Publikum.