Kunst für Entdeckungsfreudige in der Altstadt

von Peter Schranz 17. April 2019

Anfangs Mai findet in der unteren Altstadt zum vierten Mal das Festival ArtStadtBern statt. Wir haben im Vorfeld mit dem Initiator Adrien Rihs über den zweitägigen Kulturanlass gesprochen.

Wer gerne entdeckungsfreudig durch die Lauben der Altstadt streift, ir­gendwo über eine verborgene Treppe in einen Gewölbekeller, einen Dachstock oder ein schönes privates Wohnzimmer gelangt, wo ihm eine Kunstinstallation, eine Dichterlesung oder ein Klavierrezital an­geboten wird, der kommt am ersten Mai-Wochenende 2019 voll auf sei­ne Kosten. Dann wird nämlich die Altstadt wieder zur ArtStadt: am Frei­tag, 3. Mai (17.00 bis 22.00 Uhr) und Samstag, 4. Mai (14.00 bis 22.00 Uhr) findet zwischen Zytglogge und Nydeggkirche bereits zum 4. Mal das bien­nale Festival ArtStadtBern statt.

Präsentiert werden künstlerische Projekte aller Art, realisiert durch Kunstschaffende aus Bern und der Westschweiz. Sie lassen sich zu ih­ren Ak­ti­onen etwa von baulichen Gegebenheiten, historischen oder le­gen­dären Geschichten inspirieren. Ihre Interventionen sollen die Alt­stadt für das kunstinteressierte Publikum neu und anders erlebbar machen. Die Künstlerinnen und Künstler werden, und das ist auch eine Spezialität von ArtStadtBern, selbst vor Ort sein und den Besucherinnen und Be­suchern ihre Ideen erläutern. Als «Gast-Sparte» ist 2019 die Litera­tur mit dabei: Berner Autorinnen und Autoren lesen an verschiedenen Orten aus ihren Werken. Das komplette Programm findet sich hier.

Initiator und Veranstalter von ArtStadtBern ist der aus Moutier stam­mende, in Bern lebende und wirkende Künstler, Kurator und Kulturver­mittler Adrien Rihs. Er hat schon mit diversen früheren Projekten, unter dem Label «Office goes Art», der Kunst in Bern neuen Raum erobert: in der IGKG Schweiz und Bern, der Schweizerischen Herzstiftung und im Inselspital.

Nach drei Ausgaben ist «ArtStadtBern» zum fes­ten Bestandteil des Berner Kulturangebots geworden. «Üsi Biennale» nannte Stadtprä­sident Alec von Graffenried das Event in seiner Eröff­nungsansprache zur letzten Ausgabe.

 

Adrien Rihs, das Konzept, für die Kunst an zwei Tagen neue, ungewohn­te Räume in der Altstadt be­reitzustellen, scheint sich bewährt zu haben. Gibt es bei ArtStadtBern 2019 Neuerungen?

Für die diesjährige Ausgabe wurde zum Beispiel das Amuse-Yeux aus­gebaut, eine Rahmenveranstaltung von ArtStadtBern. Am Amuse-Yeux stellen die beteiligten Kunstschaffenden ein Werk aus, das im Zusam­menhang mit dem steht, was sie während den beiden Tagen von Art­StadtBern präsentie­ren. Die Werke werden in der Galerie Brunner und neu in der Galerie DuflonRacz ausgestellt. Diese Ausstellung beginnt ei­ne Woche vor dem Festival, damit sich das Publikum auf ArtStadtBern einstimmen kann. Wie bei jeder Ausgabe werden neue KünstlerInnen eingeladen und es kommen neue Räume dazu. Wir sind aber auch stolz darauf, dass einige KünstlerInnen schon zum dritten oder gar zum vier­ten Mal mitmachen. Es zeigt, dass unser Festival bei den Kunstschaf­fenden sehr geschätzt wird.

Wird dann nicht kritisiert, dass im Programm immer die gleichen Kunst­schaffenden vertreten seien? Wie sieht das numerische Verhältnis zwi­schen «Neuen» und «Bisherigen» aus; stimmt es für Sie so wie es ist?

Ja voll und ganz. Wie schon erwähnt, ist es für ArtStadtBern ein positi­ves Zeichen, wenn KünstlerInnen gerne wiederkommen oder uns anfra­gen, ob sie wiederkommen dürfen. Es ist zwar so, dass in unserer heuti­gen Welt – und davon ist auch die Kunstwelt nicht ausgeschlossen – im­mer wieder nach Neuem verlangt wird: das heisst neue Räume müssen her, neue Konzepte, neue KünstlerInnen, usw. Ein gutes Beispiel, das gegen diesen Trend spricht, ist für mich «Art en plein air» in Môtiers. Der Anteil an Neuen liegt dort wie bei ArtStadt­Bern bei ca. 60%. Môtiers ist stolz, dass «Neulinge» und «alte Hasen» – wie sie es formulieren – sich dort begegnen. Und auch wir sind stolz auf unseren Mix!

Wie werden die Kunstschaffenden für ArtStadtBern ausgewählt: werden sie eingeladen oder gibt es eine Ausschreibung?

Unser Team hat sich grundsätzlich gegen eine Ausschreibung ausgesprochen. Es gibt zu viele davon und man sollte sich fragen, ob Ausschreibungen nicht eher kunsthemmend als kunstfördernd wirken. Manchmal scheint es, dass KünstlerInnen mehr Zeit damit verbringen, Konzepte zu entwerfen als ihre eigene persönliche Kunst zu entwickeln.
Ausserdem wäre es organisatorisch ein Ding der Unmöglichkeit. Den in­teressierten Kunstschaffenden müssten zuerst alle Räume gezeigt wer­den, bevor sie ein Konzept für einen Raum ihrer Wahl entwerfen können. Das wäre zu aufwändig bei mehr als zwanzig Orten mit ca. insgesamt 40 Räumen. Bei den bescheidenen finanziellen und personellen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, könnten wir ArtStadtBern nicht mehr alle zwei Jahre auf die Beine stellen. Last but not least bliebe noch die Enttäu­schung all jener KünstlerInnen, die nach der Projektbeurteilung eine Ab­sage erhielten.

Nach welchen Kriterien werden die Künstlerinnen und Künstler eingeladen?

Unser Organisationsteam, in dem sich drei Kunsthistorikerinnen und -historiker befinden, trifft die Auswahl. Dabei schauen wir, ob und wie sich die Kunstschaffenden auf unser Konzept einlassen. Nicht alle sind bereit oder in der Lage, sich mit einem Raum, der alles andere als neutral ist, auseinanderzusetzen und dafür ein Werk zu konzipieren. Selbstver­ständlich spielen auch persönliche Präferenzen eine Rolle. Da wir aber mehrere sind und einen Konsens suchen, ist das Resultat ausgewogen.

Ist es schwierig, Kunstschaffende für das aussergewöhnliche Konzept zu gewinnen?

Unser Konzept ist sicher nicht einfach, da wir den Künstlerinnen und Künstlern keinen «white cube» anbieten, sondern historische oder be­wohnte Räume, in denen nicht alles möglich ist. Ausserdem geht es auch darum, mit dem Raum in Dialog zu treten, also ein Kunstwerk zu schaffen, das in den Raum passt oder für ihn bestimmt ist. Solche Kunstwerke lassen sich dann auch nicht un­bedingt verkaufen. Es han­delt sich deswegen meist um ephemere Kunst, was auch die Ein­maligkeit von ArtStadtBern ausmacht. Alle diese Bedingungen stellen hohe Herausforderungen an die Kunstschaffenden und nicht jeder ist be­reit, sich darauf einzulassen. Nichtdestotrotz hatten wir bis jetzt keine grossen Schwierigkeiten, Kunstschaffende für das Projekt zu gewinnen. 

Neben Kunstschaffenden aus Bern sind vor allem solche aus der West­schweiz dabei. Ist die Überbrückung des Röschtigrabens Teil des Kon­zepts? Wie steht es mit anderen Landesteilen?       

Nicht nur aus der Westschweiz. In unserer ersten Ausgabe gab es den  Schwerpunkt Tessin. Wir wollen zum kulturellen Austausch zwischen den verschiedenen Sprachregionen beitragen. Ich selbst komme ja ur­sprünglich auch aus einer anderen Sprachregion und betrachte die Mehrsprachigkeit der Schweiz als eine Chance. Die Mehrsprachigkeit kann im Übrigen während ArtStadtBern konkret erlebt werden: Da die Künstlerinnen und Künstler vor Ort sind, finden oft rege Gespräche in verschiedenen Sprachen statt. Es würde uns freuen, wenn ArtStadtBern jenseits der Sprachgrenze expandieren könnte. Wer weiss, vielleicht lässt sich eine Partnerstadt in der Suisse romande finden, die bereit wä­re unser Festival in ihrer Altstadt aufzunehmen.

Wie kommt ArtStadtBern bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Altstadt an?

Wir freuen uns jeweils sehr, wenn wir Räume mehrere Male bespielen dürfen. Das ist nicht selbstverständlich, da ArtStadtBern auch einige Um­triebe mit sich bringt und es – gerade wenn eine Privatperson uns seine Wohnung zur Verfügung stellt – ein Eindrin­gen in die Privatsphäre be­deutet. Wir haben den Vorteil, dass ArtStadtBern ein ruhiges Festival ist. Des­wegen stehen die Bewohnerinnen und Bewohnern der Altstadt dem Festival generell sehr positiv gegenüber. Wir wollen die untere Altstadt, das heisst vom Zytglogge bis zum Nydeggstalden, beleben, während sich heutzutage – ausser dem Buskers Festival und der Fasnacht – fast alles im oberen Teil abspielt. So profitieren natür­lich auch die Geschäfte in der Altstadt von ArtStadtBern.

Welches sind die grössten Schwierigkeiten, mit denen man als Veran­stalter eines solchen Festivals in öffentlichen und privaten Räumen kämpft?

ArtStadtBern bedeutet vor allem einen riesigen organisatorischen Auf­wand. Schliesslich geht es darum rund 50 KünstlerInnen und über 20 Or­te zu betreuen. Darüber hinaus ist es nicht immer einfach, Orte zu fin­den. Enttäuschend ist dabei, dass öffentliche Institutionen uns oft eine Absage erteilen, weil ArtStadtBern zu viel Aufwand für sie bedeutet, oder sie verlangen gar eine Miete für Ihre Räume, die wir nicht bezahlen kön­nen. Wir sind deshalb äusserst dankbar, dass es verschiedene Institutio­nen in Bern gibt, die kunstaffin sind und uns willkommen heissen. Darun­ter seien der Erlacherhof, der Zytglogge, der Lenbrunnen, der Nydegg­pfeiler und die Antonierkirche erwähnt, die uns in diesem Jahr wieder zur Verfü­gung stehen.

Wie wird ArtStadtBern finanziert? Kommt das Festival ohne Hauptsponsor aus?

Trotz intensiver Bemühungen haben wir es noch nicht geschafft, einen Hauptsponsor zu finden. So sind wir immer noch nicht über die Start-Up-Phase hinausgekommen, d.h. KünstlerInnen bekommen einen Unkostenbeitrag nur ausbezahlt, falls wir genügend finanzielle Beiträge erhalten.
Bei jeder neuen Ausgabe von ArtStadtBern beginnt der Hürdenlauf der Finanzbeschaffung von vorne. Wir schreiben unzählige öffentliche Insti­tutionen, Stiftungen wie Private an – diesmal waren es über 80 Gesuche –, um am Ende gerade über eine Minimalsumme zu verfügen. Dass das Interesse, Hauptsponsor eines erwiesenen Festivals wie ArtStadtBern zu werden, so gering ist, ist nicht nur bedauerlich, sondern verwundert uns auch sehr. Liegt es an der heutigen wirtschaftlichen Situation? Oder scheint sich wieder einmal mehr Berns Ruf, kaum offen für moderne Kunst bzw. Experimente oder Innovatives zu sein, zu bestätigen? Mit dem Damoklesschwert der Finanzierung erweist es sich als besonders schwierig, ein solches Festival zu organisieren. Man ist immer im Unge­wissen, ob die finanziellen Mittel reichen oder nicht. Das ursprüngliche Projekt muss dauernd überdacht und an die finanzielle Situation ange­passt werden. Der Aufwand und der Druck sind dabei riesengross und wir geraten oft an unser Limit. Unser Organisationskomitee ist ehrenamt­lich tätig und es braucht sehr viel Idealismus, Einfallsreichtum und Durchhaltewillen von uns allen, damit das Festival über die Bühne gehen kann.  Umso mehr sind wir der Stadt und dem Kanton Bern sowie all je­nen Institutionen dankbar, die uns entgegenkommen und uns finanziell oder auf eine andere Art unterstützen. Auch sind wir stolz, dass wir jedes Mal ein gutes Festival auf die Beine stellen können, das sich – auch im Vergleich zu weit besser dotierten Projekten – sehen lassen kann.

Was ist die Idee hinter den neu eingeführten «Gastsparten»?

Es geht uns darum, den Dialog zwischen den Sparten zu fördern, und das weit verbreitete Spartendenken zu hinterfragen. Wir offerieren den Kunstschaffenden der beiden Sparten Plattformen, damit Begegnungen stattfinden können. 2019 haben wir Autorinnen und Autoren eingeladen. Einige werden in Räumen auftreten, die auch von Künstlerinnen und Künstlern bespielt werden. Dadurch können auch gemeinsame Projekte entstehen. Die Gastsparte für die nächste Ausgabe steht schon fest: es wird die Musik sein.