Kunst, die nützt

von Yannic Schmezer 4. Juni 2018

Mit einer Motion will die SVP die vom Kanton zur Verfügung gestellten Mittel für sogenannte «Kunst am Bau», also Kunstwerke, die im Rahmen öffentlicher Bauwerke entstehen, plafonieren. Dabei liefert die Wissenschaft gute Gründe, in diesem Bereich nicht zu sparen.

Gemäss einer Binsenweisheit bewegen sich Fussgängerinnen und Fussgänger mit einer Geschwindigkeit von 5 km/h fort. Das wusste auch der kanadische Neurowissenschaftler Colin Ellard, als er eine Studentin beauftragte, FussgängerInnen beim Passieren zweier Baustellen in Toronto zu beobachten und ihr Verhalten zu protokollieren. Bei einer der beiden Baustellen waren in die Umzäunung schattenhafte Figuren eingearbeitet, die andere wies keine Besonderheiten auf. Ellard stellte fest, dass die künstlerisch aufbereitete Baustellenumzäunung die Gehgeschwindigkeit der FussgängerInnen um rund die Hälfte verringerte und dass die Menschen deutlich mehr Pausen einlegten, um den Zaun zu untersuchen.

Maximal 120’000 Franken

Das Experiment von Ellard ist simpel, aber doch zeigt es anschaulich den beachtlichen (und messbaren) Einfluss von Kunst im öffentlichen Raum. Wenn heute Nachmittag die Junisession des Grossen Rates startet, werden sich die KantonspolitikerInnen mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Wert öffentliche Kunst auseinandersetzen müssen. Eine Motion der beiden SVP-Grossräte Lars Guggisberg und Mathias Müller verlangt, dass die Ausgaben des Kantons für sogenannte «Kunst am Bau» bei kantonalen Neu-und Umbauprojekten noch höchstens 0.25% der Gesamtkosten und nicht mehr als 120’000 Franken betragen dürfen. Die der Motion zugrundeliegende Überzeugung: Kunst im öffentlichen Raum ist supplementär. Und wenn die Finanzen knapp sind, muss das Sahnehäubchen weg. Bereits 2013 war die gesetzliche Verpflichtung, kantonale Gebäude und Anlagen angemessen künstlerisch auszuschmücken, vom Grossen Rat im Rahmen der Totalrevision des kantonalen Kulturförderungsgesetzes aufgehoben worden. Seither sind die Ausgaben für Kunst am Bau um rund die Hälfte gesunken.

Ein Beitrag zur öffentlichen Gesundheit

In einer weiteren Studie untersuchte Ellard, wie sich verschiedene Umgebungen einer Stadt auf die Gemütslagen von Menschen auswirkten. Dazu mussten Versuchspersonen an zwei verschiedenen Standorten per App Fragen beantworten. Ausserdem trugen sie ein Armband, das die Leitfähigkeit der Haut mass. Aus dem Messwert schloss Ellard auf die emotionale Aufgeregtheit der ProbandInnen. Das Ergebnis – vorhersehbar: Personen, die vor einer nackten Wand ohne Schnörkel, Bilder, Schaufenster oder ähnlichem standen, gaben an, gelangweilt und unglücklich zu sein, während Personen, die sich nur einen Block entfernt auf einer belebten Strasse mit Restaurants, Geschäften und vielen Türen und Fenstern befanden, enthusiastisch waren.

Klar ist, dass nicht nur öffentliche Kunst zur Erklärung der Diskrepanz in den Gemütslagen der beiden ProbandInnengruppen herangezogen werden kann, schliesslich befanden sich in jener Strasse, in der die ProbandInnen glücklich und aufgeregt waren, auch Geschäfte und viele Menschen. Das Experiment zeigt jedoch, dass gute Stadtplanung, im Sinne ästhetischer Stadtplanung, Einfluss auf die öffentliche Gesundheit hat. Nicht nur würden Menschen in ansprechenden Umgebungen öfters umherlaufen, sondern sie passten auch ihr Verhalten an, schreibt Ellard: «They pause, look around and absorb their surroundings while in a pleasant state of positive affect and with a lively, attentive nervous system.»

Mehr soziale und optionale Tätigkeiten

Im Ergebnis entspricht Ellars Studie den Erkenntnissen des bekannten dänischen Architekten und Stadtplaner Jan Gehl. Dieser gelangte wiederholt zu der Auffassung, dass die Stadtplanung einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten der Menschen hat. Gehl unterscheidet zwischen notwendigem, optionalen und sozialen Verhalten in der Öffentlichkeit. Notwendige Handlungen sind solche, die rein funktional sind und unabhängig von der Umgebung durchgeführt werden, wie etwa Einkaufen oder die Benutzung des öffentlichen Verkehrs. Optionale und soziale Handlungen hingegen, zum Beispiel das Zeitungslesen auf einer Parkbank oder das Schachspielen auf dem Bärenplatz, werden von Gehl als Indikatoren einer gelungenen Stadtplanung angesehen, weil sie nur dann stattfinden, wenn die Umstände dazu einladen. Hier reiht sich sodann die öffentliche Kunst bzw. die Kunst am Bau ein. Sie fördert laut Gehl optionale und soziale Tätigkeiten und beflügelt so das Stadtleben.

Diese Funktion der Kunst am Bau darf nicht unterschätzt werden. Natürlich erschöpft sich ihr Wert nicht darin, gleichzeitig verhilft ihr aber diese Funktion zu mehr Wertschätzung. Jedenfalls kann es im 21. Jahrhundert nicht verkehrt sein, einen messbaren Nutzen zu haben. Und den hat die öffentliche Kunst definitiv, denn ein Ort ohne Kunst nicht selten ein langweiliger Ort, weil er im engen Gehege des Alltäglichen eingepfercht ist.

Natürlich ist es vermessen, den Teufel an die Wand zu malen. Selbst wenn der Kanton die Gelder für Kunst am Bau kürzen würde, käme deshalb das Stadtleben nicht zum Erliegen. Jedoch geriete die Kunst am Bau dadurch unter ökonomischen Druck. Dieses Risiko ist insbesondere mit Blick auf das kleine Sparpotential im niedrigen einstelligen Millionenbereich nicht hinnehmbar.