«Kunst allein kann uns heilen»

von Katja Zellweger 4. Mai 2022

Der jemenitische Journalist und Filmer Firas Shamsan erhielt 2019 bis 2021 das erste ICORN-Stipendium in Bern. Im Interview spricht er über Kunst, Krieg und Gewalt, Flucht und Ankommen – und den Audiowalk «A Walk to myself», den er für Bühnen Bern konzipierte.

Shiras Shamsan, sind Sie eher Journalist oder Aktivist?

Beides. Ich begann 2008, über Politik und Soziales zu schreiben. Auf der Plattform «Youth Media Forum» hielten ich und andere arabische, unabhängige Journalisten gegen Waffen und Gewalt, sonst dominierten Berichte über Krieg und Piraterie. Spätestens mit dem arabischen Frühling 2011 und dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2013 wurde ich zum Aktivisten. Mir ging es auch darum, die Kultur nicht sterben zu lassen.

Sie gründeten Fantine.net, eine Stiftung für kulturelle Entwicklung.

Ich wollte kulturell tätige Menschen vorstellen, da in den konventionellen Medien nur Imame und Präsidenten gepriesen wurden. Die Finanzierung war allerdings sehr schwierig, da fast zeitgleich Krieg ausbrach.

Fühlten Sie sich als Kulturschaffender unerwünscht?

Absolut. Im mittleren Osten haben Kunst und Kultur einen schweren Stand. Ein Kulturprojekt im Jemen kostet weniger als eine Kalashnikov. Radikale Gruppen haben Bazookas, Bomben und erhalten viel Medienaufmerksamkeit. Aber meine billige Website über Kunst soll die Kraft haben, ein Land zu zerstören? So ein Land ist doch schwach! Kommt hinzu, dass Künstlertum oft als «haram» bezeichnet wird – als Tabu. Eine Freundin von mir singt sehr schön, hat sich aber nie als Künstlerin bezeichnet und nur religiös gesungen. Das Label «Künstlerin» führt schnell zum Begriff «Prostituierte».

Ich will Kunst und Kultur kreieren, das allein kann uns heilen und Frieden schaffen.

Mussten Sie 2014 wegen ihrer Kulturnähe das Land verlassen?

Da noch nicht. Ich ging nach Ägypten, dem grössten Kulturproduzenten der Region. Bei der Berichterstattung über die Buchmesse wurde ich dann aber festgenommen. Man entzog mir Kamera und Filmmaterial – ich hatte noch Aufnahmen über eine Frau, die vor dem Isis geflohen war –, und man beschuldigte mich, die Polizei gefilmt zu haben. Im Gefängnis wurde ich gefoltert. Danach ging ich mehrere Jahre an einem Stock.

Sie kamen dank Protesten in den sozialen Medien frei.

Im Internet wiesen Leute auf meine unrechtmässige Verhaftung hin. Danach arbeitete ich wider Willen als Journalist im Jemen. Ich musste etwas tun, um meine Wunden zu heilen. Doch mit den Huthis wurde alles schlimmer. Eines Tages erhielt ich die Warnung, ich sei auf einer schwarzen Liste. Über Nacht bin ich nach Jordanien, dann Malaysia geflohen. Dort habe ich mich für das Stipendium in Bern beworben. Nach Ablauf des Stipendiums habe ich Asyl beantragt, ich musste ins Zieglerspital umziehen, habe mit dem B-Status eine fünfjährige Aufenthaltsbewilligung. Es war alles nicht ganz einfach. Nun suche ich eine Wohung in der Stadt.

2021 erschien Ihr Kurzfilm «A crime in a book fair», sie waren Teil der Kornhaus-Übernahme vom Amt für Ermöglichung. Im April startete «A walk to myself» bei Bühnen Bern. Kehren Sie dem Journalismus den Rücken?

Ich will Kunst und Kultur kreieren, das allein kann uns heilen und Frieden schaffen. Aber ich stelle mich jeweils als Autor, (Video-)Journalist und Künstler vor. Für «A Walk to myself» musste ich, der sonst immer über andere schrieb, plötzlich von mir erzählen. Das fiel mir anfangs schwer.

Der wichtigste Ort in einer Stadt ist der, an dem du einen guten Freund findest.

Wo stehen Sie als Künstler jetzt?

Ich habe eine Idee für einen neuen Film, habe viel vor, ich will für und mit der arabischsprachigen Community zusammenarbeiten. So habe ich etwa eine Gedichtsammlung jemenitischer Autor*innen publiziert. Zudem schrieb ich ein Buch «One way ticket», das bald im Verlag «Der gesunde Menschenversand» erscheint.

In «A Walk to myself» begleitet man Sie auf einem Spaziergang durch Bern, hört Ihre Stimme über Kopfhörer, unterlegt von sphärischer Musik. Was bedeuet Ihnen spazieren?

Im Jemen spazierte ich oft durch die Altstadt, was ich auch in Bern gerne tue und wo ich immer nach Abkürzungen Ausschau halte. Anfangs musste ich das noch mit einem Stock tun. Jetzt fahre ich auch Velo und gehe in der Aare schwimmen. Aber als Einwanderer bist du in Erinnerungen gefangen: Man empfindet Schuld, weil andere starben oder noch inhaftiert sind oder sieht Freunde in fremden Gesichtern. Der wichtigste Ort in einer Stadt ist aber der, an dem du einen guten Freund findest.

Im Audiowalk sprechen Sie davon, dass es hier schwierig sei, einfach an Türen zu klopfen. Klopfen Sie noch?

Anfangs habe ich es versucht, so wie im Jemen ohne Termin aufzukreuzen, da wird man immer empfangen. Seit mich Leute im Zieglerspital besucht haben, weiss ich, dass ich hier Freunde habe. Trotzdem spielt bei vielen Begegnungen noch Angst vor dem Unbekannten mit: Ist der bei Isis? Will er mein Telefon stehlen? Ich finde, es ist wichtig, sich auf Menschen einzulassen. Selbst wenn uns vieles unterscheidet, sollten wir versuchen, übereinander und voneinander zu lernen und etwa gemeinsam Musik hören oder ein Bier trinken. Da würde man merken, dass ich kein humanitäres Hilfsprodukt bin, sondern jemand mit Gefühlen, einer Meinung und einem Verständnis für Kultur.

 

 

Lesen Sie dazu das Gedicht «Erinnerungen zu verkaufen» von Firas Shamsan.