Kulturveranstalter*innen wehren sich gegen Sparmassnahmen

von Bernhard Giger 29. Juni 2021

Die finanzielle Lage der Stadt Bern ist angespannt, ein umfangreiches Sparpaket geschnürt. Auch die Kultur ist vom Aderlass betroffen und wehrt sich dagegen.

Angesichts der angespannten Finanzlage, die sich in der Corona-Zeit verschärft hat, beantragt der Gemeinderat der Stadt Bern dem Stadtrat ein Sparpaket von 50 Millionen Franken ab 2023. Darin betreffen 1,34 Millionen die Kultur, darunter 220’000 Franken die Stadtgalerie, die ganz aufgehoben werden soll. Dagegen wehren sich Kulturschaffende und Kulturorganisationen. Sie bereiten für den Samstag, 14. August, ein ganztägiges Fest im Hof des PROGR vor; dort wird die Kulturszene Präsenz markieren. Beteiligt ist auch bekult, der Zusammenschluss der Kulturveranstalterinnen und -veranstalter. Ihren Positionsbezug drucken wir hier ab.

 

Sorge tragen zum Tafelsilber – Die Stadt untergräbt ihre Kulturpolitik

Eine Kulturstadt, ob Metropole oder mittelgross wie Bern, zeichnet sich durch ihre Breite und Vielfalt aus. Das Zusammenspiel der Formen und Sparten, die Balance zwischen grosser Geste und feinem Strich, der Mehrklang von sehr unterschiedlichen Spielorten – ganz einfach, dass jede und jeder in der Kultur bekommt, wonach sie Lust haben und wohin es sie gerade zieht: Diese weite, bunte Bühne, das ist das Tafelsilber einer Kulturstadt.

So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. Das wächst, baut sich auf und kommt, oft erst über Jahre und Jahrzehnte, allmählich zueinander. Die Stadtgalerie, die jetzt geschlossen werden soll, reicht zurück bis in die 70er-Jahre, als es in Bern eine auch international beachtete Kunst-Avantgarde gab. Der Künstler und Bluesgitarrist George Steinmann hatte 1976 in der «Berner Galerie», der Vorläuferin der heutigen Stadtgalerie, eine vom damaligen Kunsthalle-Direktor Johannes Gachnang kuratierte Ausstellung – ein erster prominenter Auftritt für den jungen Kunstschaffenden. Sollte die Stadtgalerie Ende Jahr tatsächlich schliessen müssen, wäre Steinmann einer der letzten Künstler, die dort gezeigt würden – auf Mitte Oktober ist die Eröffnung einer Ausstellung von ihm geplant, unter dem Titel «Future now», ausgerechnet. Es wäre ein bitterer Kreis, der sich dieserart schliessen würde.

Eine bewegte und bewegende Kunstszene, Kellertheater und ein erstes internationales Festival kleiner Bühnen, und mit dem Kellerkino das erste alternative Kino der Schweiz: Damals, gut 50 Jahre ist es her, wurden Grundlagen für Vieles geschaffen, was unterdessen selbstverständlich zum Berner Kulturleben gehört. Erheblichen Anteil daran, dass so viel möglich wurde, kommt der Kulturförderung zu, welche in der Stadt Bern ab den Siebzigerjahren einsetzte, als ein Kultursekretariat eingerichtet und Fachkommissionen gebildet wurden.

Die ersten, noch zaghaften Fördermassnahmen stützten einerseits Kleintheater und Kunstorte wie die «Berner Galerie» ganz direkt in ihren Betriebskosten. Andererseits, und für die weitere Entwicklung zur Kulturstadt Bern noch wegweisender, bildeten sich dadurch auch erste Strukturen eines professionellen Kulturbetriebs, der mehr umfasst als nur das Stadttheater, das Symphonie-Orchester und die Museen – das damals übliche Kulturangebot einer europäischen Stadt von der Grösse Berns. Die Kulturförderung und die Perspektiven, die sich dadurch eröffneten, haben die Abwanderung junger Kulturschaffender aufgehalten, weil die sich vermehrt für Bern als ihren Arbeitsplatz entschieden. Für den Film trifft dies ganz explizit zu: Die Einführung eines städtischen Filmkredits in den 70er-Jahren trug massgeblich zur Entwicklung eines eigenständigen Berner Filmschaffens bei.

Beide sind gewachsen seither, der Kulturbetrieb und die öffentlichen Kulturausgaben. Es war, ganz ohne Ironie, ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Die Bevölkerung von Stadt und Region bekommt etwas fürs Geld, das sie jedes Jahr für die Kultur ausgibt, davon kann sie sich täglich an sehr vielen Orten selber überzeugen, und das macht sie ja auch. Es war zwar, als die städtischen Finanzen noch nicht im Schiefen lagen wie jetzt, immer wieder sarkastisch davon die Rede, dass die Kulturkredite in der Stadt Bern – und nicht nur hier – von Politik und Volk bloss durchgewinkt würden. Das lässt sich auch anders kommentieren: Als Bekenntnis zur Kultur überhaupt, aber ganz speziell zu der Kultur, die hier gemacht wird. Zur Kulturstadt Bern, die, auch wenn nicht alle in gleicher Weise daran teilnehmen, für die Mehrheit der Bernerinnen und Berner längst Teil des städtischen Lebens und damit ihres eigenen Alltags ist. Seit gut 20 Jahren liegt die Zustimmung zu Kulturkrediten in Bern bei 70 Prozent und mehr. Das ist kein Winken, das ist ein gewaltiger Vertrauensbeweis. Kulturstadt zu sein, nicht nur als Gefühl, sondern als Haltung, gehört zum Selbstverständnis Berns. Zu seiner Lebensqualität.

Jetzt droht Stagnation, Abbau. Der Gemeinderat will, dass Bern spart, massiv, 50 Millionen innert weniger Jahre, 1,34 Millionen Franken in der Kultur. Die Szenarien, die sonst drohen, sind düster: Tiefrote Budgets, vielleicht sogar Bevormundung durch den Kanton, Steuererhöhung.

Es ist der Kultur vorbehalten, unvernünftig zu sein, das macht sie, auf beiden Seiten des Vorhangs, auch so verführerisch. Deshalb sagen wir geradeheraus: Nein, keine Kürzungen und Schliessungen, nicht in der Kultur.

Es geht um das Tafelsilber. Um etwas lange Gewachsenes – die Stadtgalerie und ihre Geschichte stehen dafür beispielhaft. Die Stadt trägt seit vielen Jahren grosse Sorge zur Kultur. Bereits seit 2008 werden Kulturpolitik und Kulturförderung in einer Vierjahresplanung festgeschrieben, damals gleich verbunden mit einer 10-prozentigen Erhöhung der Kulturausgaben. 2019, zu Beginn der nun laufenden Vierjahresplanung und ausgehend von einer von der Stadt selber veranlassten Kulturstrategie 2017-2028, wurde der Kulturkredit um rund 7 Prozent erhöht. Als Gründe wurden unter anderem die Unterfinanzierung einiger Institutionen und der dadurch drohende Qualitätsverlust für die Berner Kultur genannt. In den Ausführungen der Stadt war vom gesellschaftlichen Nutzen der Kulturförderung die Rede, und dass «die städtische Kulturförderung bestrebt sein muss, in ihrer Tätigkeit das gesamte Bild und die gesamte Wirkung des kulturellen Lebens vor Augen zu haben.»

Zwei Jahre später ist alles anders. Die Stadt untergräbt ihre eigene Kulturpolitik. Der eine Kredit für Promotion und Distribution, der 2019 eingeführt wurde, soll bereits wieder gestrichen werden, bevor er richtig zur Anwendung kam. Die städtischen Kulturausgaben, wird uns erklärt, würden nach den vorgesehenen Kürzungen noch immer nicht tiefer liegen als vor der Erhöhung 2019 – und damals sei es der Kultur ja auch nicht wirklich schlecht gegangen. Aber offenbar doch so schlecht, dass die Politik es für nötig befand, teils problematische Unterfinanzierungen zu korrigieren. Was ist nun damit, wenn ab 2024 die Korrekturen nicht mehr spielen?

Die Kulturstadt, die wir geworden sind, droht ins Wanken zu geraten. Im letzten Jahr intervenierten wir erfolgreich bei den vom Gemeinderat eingebrachten Kürzungen, die vor allem die freien Kredite betroffen hätten, weil bei kurzfristigen Einsparungen nicht auf Gelder zurückgegriffen werden kann, die an Leistungsverträge gebunden sind. Die Sparvorschläge des Gemeinderats wurden vom Stadtrat mehrheitlich zurückgewiesen.

Diesmal trifft es die Andern, die Institutionen und Festivals mit Leistungsvereinbarungen und die von der Stadt selber geführte Stadtgalerie. Dort sind es 220’000 Franken, die eingespart würden. 500’000 sind es bei den tripartiten Verträgen, respektive rund 1 Million, wenn Kanton und Regionalkonferenz Bern-Mittelland mitziehen, und 269’000 Franken bei den städtischen Verträgen. Die Kürzungen würden Spuren hinterlassen, im Auftritt, im Programm, beim Personal. Ein Angebotsabbau würde sich auch auf das weitere Umfeld der Kulturveranstaltenden auswirken, auf die Gastronomie, Zulieferer oder Hotels – 1 Kulturfranken, sagt man, setzt weitere 5 Franken Umsatz in Bewegung.

Die Partnerinnen und Partner der Leistungsvereinbarungen könnten ihren Kulturauftrag, den öffentlichen und den eigenen, nicht mehr umfassend erfüllen. Die Schliessung der Stadtgalerie trifft empfindlich auch den Off-Space, die Galerien und die Kunsthalle (www.not-the-arts.ch). Sie können nicht übernehmen, was verloren geht – es ist dann einfach vorbei: 50 Jahre Förderung der jungen Kunst, eine kleine feine Berner Zukunftsplattform.

Die Kulturstadt Bern ist ein Gesamtprojekt. Selbstverständlich kann, wer will, darüber diskutieren, wem innerhalb dieses Gesamtprojekts – also rund 32 Millionen Franken in den vergangenen Jahren – künftig welche Mittel zukommen sollen. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Das Tafelsilber ist das Thema. Und was es uns wert ist. Die Kulturstadt Bern hat ihren Preis, die Stadt selber hat viel dazu beigetragen, ihn festzulegen. Das kann sie jetzt doch nicht plötzlich wieder rückgängig machen. Das ist ein Eigentor.