Betagte Menschen, die kaum mehr selbständig aus dem Haus gehen, sind auf weit mehr angewiesen als auf körperliche Pflege. Das Projekt «Kultur im Koffer» kümmert sich seit Neustem in der Stadt Bern darum, älteren Menschen über den gemeinsamen Nenner Kultur im weiteren Sinne neue Bekanntschaften zu ermöglichen. «Für mobile SeniorInnen gibt es bereits viele Angebote», erklärt Franziska Grogg, «wir wenden uns aber an eine Gruppe von Menschen, die diese Möglichkeiten nicht nutzen kann.» Bei dem Projekt Kultur im Koffer bereiten Freiwillige einen Koffer mit kulturellen Inhalten vor, mit dem sie anschliessend SeniorInnen in ihrem Zuhause besuchen und ihnen so ein Thema näherbringen. Das selbst gewählte Thema kann beispielsweise das Spielen eines Instruments sein, das Vorlesen und Besprechen von Texten oder, wie in einem konkreten Fall, das Einrichten einer Schmetterlingszucht auf dem Balkon der besuchten Person. Kern des Angebots ist auf jeden Fall die Begegnung über ein Thema. Koordiniert wird Kultur im Koffer von Franziska Grogg in der Kirchgemeinde Petrus in enger Zusammenarbeit mit Claudia Blacha und anderen Kolleginnen der Begleitgruppe. Mitarbeit und Unterstützung erhalten sie von den Kirchgemeinden Paulus, Markus, Bümpliz und Bethlehem. Finanziell unterstützt wird es weiter von der Stadt Bern, der reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn und der Stiftung fondia.
Über Schlüsselpersonen das Publikum ansprechen
Seit Anfang Jahr läuft das Angebot von Kultur im Koffer. Die Freiwilligen dazu wurden schnell gefunden, erklärt Claudia Blacha: «Bereits im Januar haben sich die ersten Interessierten als Freiwillige gemeldet. Darunter sind sowohl junge Menschen als auch SeniorInnen selbst.» Sie betont, dass sowohl die besuchten Personen als auch die Freiwilligen etwas davon haben, erhalten doch Letztere die Gelegenheit, bei den Besuchen ein selbst gewähltes Herzensthema präsentieren zu dürfen. Die aktuelle Schwierigkeit ist anderswo zu verorten, meint Franziska Grogg: «Der Knackpunkt ist es, die Leute zu erreichen, die sich solche Besuche wünschen. In diese Suche müssen wir momentan einen Grossteil unserer Energie reinstecken.» Um Menschen anzusprechen, die selbst nicht mehr mobil sind, greifen die Verantwortlichen von Kultur im Koffer auf Schlüsselpersonen zurück, denen sie ihr Angebot vorstellen. Dazu gehören unter anderem Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, PfarrerInnen und Apothekenpersonal.
Mehr Austausch gesucht
Auch die Musikvermittlung der Hochschule der Künste Bern (HKB) beteiligt sich an dem Projekt. Einige Studierende engagieren sich als Freiwillige, ausserdem bietet die Hochschule inhaltliche Unterstützung. «In Zukunft würden wir gerne die inhaltliche Zusammenarbeit noch ausbauen», sagt Claudia Blacha, «das Projekt könnte zum Beispiel Eingang in den Unterricht finden, etwa in Seminaren oder durch Praktika.» Ausserdem wolle man sich mehr über die eigenen Grenzen hinaus vernetzen, betont Franziska Grogg: «Durch meine Arbeit habe ich regelmässig Austausch mit anderen Sozialarbeitenden. Wir möchten uns aber längerfristig öffnen, damit wir auch Inputs erhalten von Menschen, die nicht aus dem sozialen Bereich kommen. Diese haben oft einen ganz anderen Zugang, was für uns sehr interessant sein kann.» Dabei helfe ihnen auch der Verein SIBA, ergänzt Claudia Blacha: «An den Vernetzungsanlässen haben wir neue Ideen aufgenommen und auch die Gelegenheit erhalten, unser Projekt bekannter zu machen.»
Zusammenarbeit mit der Stadt Bern?
Kultur im Koffer ist aktuell ein Pilotprojekt, das bis 2020 läuft. In diesen drei Jahren soll das Angebot aufgebaut und der Bedarf danach eruiert werden. «Wenn es während der Zeit gut läuft, hoffen wir, Kultur im Koffer anschliessend in ein längerfristigeres Angebot überführen zu können», meint Franziska Grogg. Dazu müsse Kultur im Koffer nicht ausschliesslich bei der Kirche als Trägerin bleiben, man sei offen für eine Erweiterung. Auch von der Stadt Bern erhoffe man sich in Zukunft eine Zusammenarbeit in der weiteren Projektentwicklung, erklärt Claudia Blacha: «Aktuell wurde die kulturelle Teilhabe als Schwerpunkt der Kulturförderung definiert. Diese Teilhabe ist aber weitgehend auf Personen ausgerichtet, die selbst noch rausgehen. Wir richten uns an alle anderen, denn da gibt es noch grosses Potential.»