Kürzung der Kultursubventionen – geht es anders?

von Christoph Reichenau 25. August 2020

Die verschlechterte Finanzlage der Stadt Bern und die negativen Folgen der Corona-Krise führen den Gemeinderat zu Kürzungen im Budget 2021. Auch die Kulturförderung ist betroffen. Gekürzt werden soll bei den direkten Projektbeiträgen. Der einzusparende Betrag entspricht ziemlich genau einem Prozent der Gesamtsubvention an Kultur Theater Bern. Das sind Äpfel und Birnen – aber im Obstgarten der Kultur sollte man offen sein für das Gespräch.

Um 2% soll das Kulturbudget der Stadt Bern 2021 sinken gegenüber 2019. Um 372‘743 Franken. Bereits im laufenden Rechnungsjahr sind 200‘000 Franken gestrichen worden. 2021 werden es weitere 172‘743 Franken sein.

Ist das schlimm? Ja, das ist schlimm. Denn vom Kulturbudget stehen nur 4,5 Millionen für Kürzungen zur Verfügung. Der grösste Teil ist durch Leistungsvereinbarungen gebunden, welche die Stadt mit Kulturinstitutionen abgeschlossen hat, teilweise mit weiteren Subventionsgebenden. Da kann nicht gekürzt werden. Die «ungebundenen» 4,5 Millionen dienen wesentlich der direkten Förderung von Projekten freier Kulturschaffender, die entweder selbständig erwerbend sind oder freischaffend. Freischaffend bedeutet, dass sich jemand von befristeter Anstellung zu befristeter Anstellung durchhangelt. Bei diesen Künstlerinnen und Künstlern beläuft sich die Kürzung auf 8,3%. Das ist sehr viel.

Negativspirale

Und das ist erst der Anfang. Denn in der Regel zieht der Kanton nach. Weitere Förderstellen, Stiftungen etwa, nehmen einen Stadtbeitrag als Gütesiegel und steuern ihrerseits Geld bei. Fehlt nun wegen der verringerten Mittel der Beitrag der Stadt oder fällt dieser deutlich geringer aus, beginnt eine Negativspirale zu drehen.

Die Negativspirale zieht Kreise über den Kulturbereich im engeren Sinn hinaus. Sie zieht auch GrafikerInnen, Druckereien, ElektrikerInnen, Cateringfirmen, Licht- und Ton-InstallateurInnen und viele mehr in Mitleidenschaft, weit in das Gefüge der KMU hinein.

Geht es nach dem Gemeinderat, würde just jener Teil der Kulturförderung geschwächt, der seit langem notorisch unterdotiert ist und zu deren Besserstellung Vorstösse aus dem Stadtrat ein Minimum von 15% des gesamten Kulturbudgets verlangen. Käme die nun vom Gemeinderat beantragte Reduktion durch, würde der Auftrag des Stadtrats missachtet. Und die Schere zwischen den auf vier Jahre fest unterstützten Kulturorten (die ihrerseits Kulturschaffende beschäftigen) und der freien Szene in den verschiedenen Sparten würde sich noch mehr öffnen.

Kultur oder Sozialhilfe?

Die Kürzung fällt in die Zeit, da wegen Corona die Arbeitsmöglichkeiten der selbständig erwerbenden und der freischaffenden Kulturleute drastisch gesunken sind und wohl auf lange Zeit bestenfalls marginal und zufällig bleiben werden. Der Antrag läuft dem Ziel diametral entgegen, die Arbeitsbedingungen im Kulturbereich zu verbessern, zu verstetigen, sozial besser abzusichern. Kommt er durch, wird das Prekariat zunehmen. Und in der Folge die Abhängigkeit von der Sozialhilfe. Daran kann niemand interessiert sein: Weder die Stadt (die für die Sozialhilfe aufkommt), noch die gesicherteren Kulturorte mit Leistungsvereinbarung (denen Anstösse aus der freien Szene fehlen), noch die Hochschule der Künste (die Absolventinnen und Absolventen direkt in die Armut entlässt) – und schon gar nicht wir Steuerzahlenden (die bei der Kultur sparen würden, um mehr Sozialhilfe berappen zu müssen).

Das ist die Betrachtung ausschliesslich aus finanzieller Sicht. Schauen wir mit einem anderen Blick, erkennen wir schlicht ein Manko an «Kultur»: Es wird weniger Ideen, Anregungen, Versuche, Beschreibungen geben, weniger musikalische, literarische, theatralische, tänzerische, fotografische, filmische Auseinandersetzungen mit Leben, Zusammenleben, kleinen und grossen Fragen. Für Vieles von dem, was uns im Corona bedingten Lockdown geholfen und ermutigt hat, wird es keine Fortsetzung geben, keine Erneuerung. Eine Kultur aber, die stehen bleibt, gerinnt zum Kanon und schnürt uns bald ein wie ein Korsett.

Unweigerlich tauchen die mahnenden Worte zur Bedeutung der Kultur auf. Kultur sei die Kritik des Staats und der Religion, meinte Carl J. Burckhardt. Sie schaue zur Gesellschaft, ergänzte Karl Schmid. Sie bilde eine Voraussetzung des freiheitlich-säkularen Staats, die dieser selbst nicht gewährleisten könne (Ernst-Wolfgang Böckenförde). Alles bürgerliche Aussagen, die gerade in Zeiten des Notrechts ihre Bedeutung haben. Der ehemalige Basler Kulturjournalist Reinhardt Stumm hat es so gesagt: «Kultur bietet das einzige wirksame Training gegen Neid, Habgier, Eifersucht, Brutalität, Selbstsucht und Mordlust.»

Steuern, Schulden oder was?

In einer Medienmitteilung, die schon fast ein flammendes Plädoyer für die direkte Projektförderung ist, wendet sich «bekult», der Verband der Berner Kulturveranstalterinnen und -veranstalter, gegen die budgetierte Kürzung und schlägt – Zielhorizont 2022 – «eine grundsätzliche Neuorientierung in der städtischen Kulturförderung vor – wo nötig in Abstimmung mit Kanton und Region.» Der Verband findet Gehör bei Fraktionen des Stadtrats. Das ist erfreulich.

Gibt es Alternativen zu der beantragten Art des Sparens bei der Kulturförderung? Schwierige Frage, aber man darf sich nicht darum drücken. Denn die Steuereinnahmen der Stadt sind schon 2019 deutlich gesunken, die Corona-Krise wird dies auf eine Zeit verlängern, deren Ende niemand kennt. Was tun, anstatt zu sparen? Die Stichwörter sind leicht zur Hand: Man kann die Einnahmen steigern, etwa durch die Erhöhung der Steuern und der Gebühren, gerade eine Stadt mit vielen von der öffentlichen Hand besoldeter EinwohnerInnen könnte dies überlegen. Doch dies ausgerechnet in einer Periode allgemeiner wirtschaftlicher Schwäche und ungewisser Zukunft?

Man kann Schulden machen. Doch das ist bei den laufenden Ausgaben ein problematisches Rezept, man lebte schlicht über seine Verhältnisse – kann das auf die Länge gut gehen? Anders sähe es aus, sich für eine Investition zu verschulden. Doch ist Kulturförderung eine Investition, bringt sie auf die Dauer anhaltenden Mehrwert, ideell und auch wirtschaftlich? Gewiss, man redet von der «Umwegrentabilität» der Kulturförderung, weil jeder Kulturfranken in Buchhandlungen, Kinos, Theatern, Restaurants weitere Franken auslöst und in der Folge steigende Steuern der Betriebe. Doch das gilt für den Sport genauso wie für die Kultur. Und es ist letztlich ungewiss gerade in einer Zeit, wo viele Menschen vor «dem Ausgang» zurückschrecken.

Clausula rebus sic stantibus

Und sonst? Könnte man anders sparen an der Kultur? Das könnte man, aber dafür müssten die «gebundenen Ausgaben», die Verpflichtungen der Stadt aus den Leistungsvereinbarungen, neu angeschaut werden. Das ist grundsätzlich immer möglich, wenn die Partner einer Vereinbarung gegenseitig einwilligen, diese neu aufzudröseln. Es ist vielleicht auch einseitig möglich in dieser ausserordentlichen Zeit.

Wie das? Die Leistungsvereinbarung sind vor dem Einbruch von COVID19 abgeschlossen worden. Die allgemeinen Verhältnisse in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur sind wesentlich anders als bei Vertragsabschluss – und sie werden auf unabsehbare Zeit anders bleiben bzw. sich weiterhin nicht vorhersehbar entwickeln. Das ist Grund genug, dass die Vereinbarungsparteien aufeinander zugehen, die Lage neu beurteilen und allenfalls neue Verträge aushandeln – in Kenntnis und unter Berücksichtigung der gesamten Kulturszenen, auch der freien? Um eine ganzheitliche Betrachtung zu entwickeln, die nicht Gewinner und Verlierer bewirkt, sondern im besten Fall etwa gleichmässig Betroffene? Blickt man zurück auf die aus dem römischen Recht stammende clausula rebus sic stantibus (der gleichbleibenden Umstände) kann man darin einen Hebel sehen.

Den aktuellen Bedürfnissen anpassen

Die Stadt Bern will, so kündigt sie an, die im Frühjahr diskutierten Massnahmen der Kulturstrategie noch einmal betrachten und den aktuellen Bedürfnissen anpassen. Dies weil Corona die Bedingungen des Kulturlebens in Bern grundlegend verändert hätten und eine Rückkehr zur Normalität noch länger nicht möglich sei. Dafür sind Gespräche mit Kulturschaffenden und Veranstaltern vorgesehen. In einem Beitrag in der deutschen Tageszeitung «Die Welt» haben Pius Knüsel (ehemaliger Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia) und Dieter Haselbach dafür Ideen vorgelegt.

Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass das Budget 2021 noch angepasst wird. Dass vielleicht bei der Kultur weniger gespart wird oder weniger einseitig bei der direkten Förderung von Projekten. Dazu ein Hinweis, der nicht polemisch gemeint ist, sondern ernst angesichts der Lage: 1% der Gesamtsubvention von Konzert Theater Bern KTB (38,6 Millionen von Stadt, Kanton und Regionsgemeinden) entspricht fast exakt dem Kürzungsantrag im städtischen Kulturbudget 2021. Und 1% des Stadtbeitrags an KTB (18,6 Millionen) deckt die Hälfte der Kürzungen bei der direkten Förderung. Es geht nicht darum, KTB reich zu reden. Aber es darf über Proportionen bei der Förderung und bei ihrer Reduktion diskutiert werden. Es darf? Es muss.

In seinem Vorwort zum 8. Berner Literaturfest, das dieser Tage stattfindet, schreibt Stadtpräsident Alec von Graffenried: «Was kann ich dazu beitragen, dass Kultur als unser gemeinsamer Nährboden stark bleibt? In meiner Funktion als Stadtpräsident kann ich (…) mich im politischen Prozess dafür einsetzen, dass Kultur möglichst gute Rahmenbedingungen antrifft und dass das Kulturschaffen angemessen finanziert wird. Dafür engagiere ich mich mit voller Überzeugung.» Und daraus, das ist nur logisch, resultiert der Kürzungsantrag für 2021. Was Worte bewirken.