Krzysztof Urbański soll das BSO weiterführen

von Christoph Reichenau 15. September 2023

Klassik Nach zwei Jahren der Suche hat sich das Berner Symphonieorchester nun für einen neuen Chefdirigenten entschieden. Krzysztof Urbański soll das BSO musikalisch weiterführen. Das ist eine erhebliche Investition auch zu Gunsten der Bundesstadt Bern.

Er war Musikdirektor in Indianapolis, leitete das Trondheim Symphony Orchestra und war Erster Gastdirigent in Tokyo und Hamburg. Der Pole Krzysztof Urbański, 40 Jahre alt, ist jemand in der Welt der klassischen Musik. Nun kommt er als Chefdirigent des Berner Symphonieorchesters (BSO) nach Bern, auch wenn vorerst nur für drei Spielzeiten.

«Wir könnten es uns fantastischer nicht vorstellen», schwärmt Florian Scholz, Intendant von Bühnen Bern. «Es passt wirklich gut zusammen», bekräftigt Konzertmeister David Guerchovitch. Und Nadine Borter, Stiftungsratspräsidentin von Bühnen Bern, lässt sich in der Medienmitteilung zitieren: «Nun ist in Krzysztof Urbański der ideale Partner gefunden worden».

Urbański wiederum attestiert dem BSO «great potential and ambition» und hofft auf eine «wonderful relationship». Er wünscht, «to establish a bond with the audience». Bern empfindet er als «a beautiful and peaceful place where people are warm and kind». Auch Deutsch will er lernen.

Präsenz in Bern?

Nun sitzt der 40-Jährige im Salon Rose des Casinos, weisses T-Shirt, bubenhafte Frisur und scheu-neugieriges Lächeln. Er spricht leise, wägt seine Worte ab. Für Bern zugesagt habe er, weil er die Offenheit der Leute schätze, die ihm die Chef-Position angetragen hätten, aber auch weil er seinem Instinkt gefolgt sei. Überdies sei er seit einem halben Jahr Erster Gastdirigent des Orchestra della Svizzera Italiana in Lugano.

Ab der Spielzeit 2024/25 wird er jährlich sechs doppelt geführte Abonnementskonzerte dirigieren. Der Vertrag gilt für 3 Jahre. Danach ist alles offen, denn dann muss eine neue Leistungsvereinbarung von Bühnen Bern mit der Stadt, dem Kanton und der Regionalkonferenz abgeschlossen werden.

Die oft gewünschte Präsenz der Künstler*innen in der Stadt ist schwer zu fassen und noch schwerer zu erfüllen.

Die Proben für ein Konzert beginnen jeweils Montagmorgen, die Aufführungen finden am Donnerstag- und Freitagabend statt – eine minimale Präsenz dauert folglich von Sonntagabend bis Samstag. Sechsmal im Jahr. Die Vorarbeiten dafür erfordern keine Anwesenheit in Bern.

Krzysztof Urbański wird in Bern nicht so präsent sein, wie Mario Venzago mit dem roten Schal es war. Die beiden, der eine fast doppelt so alt wie der andere, stehen an unterschiedlichen Punkten ihrer Karriere. Urbański wird auch nicht wie Opern-Chefdirigent Nicholas Carter fast täglich in der «Vierten Wand» anzutreffen sein, doch auch bei diesem wird ja geklagt, er halte sich sehr selten in Bern auf. Die oft gewünschte Präsenz der Künstler*innen in der Stadt ist schwer zu fassen und noch schwerer zu erfüllen.

Hinterfragen alter Vorstellungen

In der letzten Spielzeit vor Corona besuchten rund 34‘000 Personen die Konzerte des BSO. In der Saison 2021/2022 waren es gut 28‘000. Man will ein neues Publikum gewinnen, ohne das angestammte zu verlieren. Das ist schwierig, wie überall. Es bedingt ein ständiges Engagement für das Orchester, Einsatz für die Überzeugung der potenziell Interessierten. Hier, so spürt man, scheint Bühnen Bern nicht alles auszuschöpfen, was es hat.

Urbański wird nach der Vorstellung von Bühnen Bern ausschliesslich Chefdirigent des BSO sein, so wie Nicholas Carter Dirigent für Opern ist und bleibt. Indem jede Sparte ihren Chef hat, der sich ihr voll widmen kann, stimmt die Balance und es entsteht kein «Stiefkind».

Bühnen Bern nicht alles auszuschöpfen, was es hat.

Wie ist es zu diesem rundum zufriedenstellenden Ergebnis gekommen? Erkundigungen bei der BSO-Cellistin Eva Simmen und dem Solo-Klarinettisten und Dozenten Bernhard Röthlisberger ergeben Folgendes:

Als 2018 klar wird, dass Chefdirigent Mario Venzago (seit 2011) bald aufhört, beginnt eine Findungskommission unter Beizug Externer mit der Suche der Nachfolge. In der letzten Phase wirkt auch der damals neue Intendant Florian Scholz mit. Mehrere Personen scheinen zuerst geeignet, doch bei keiner springt der Funken über. Der Prozess wird ohne Abschluss eingestellt.

2021 verlässt Venzago nach elf Jahren das BSO, das er zu bis dahin unerhörtem Klang und Bedeutung geführt hatte. Um eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu bestimmen, wollen Intendanz und Orchester nun in Gastspielen möglichst viele Personen – darunter bewusst junge Dirigentinnen – kennenlernen.

Die Zeit der autoritären Herrscher am Pult sei vorbei.

Für das Orchester sind es spannende Jahre, die auch die Frage entstehen lassen: Weshalb eigentlich brauchen wir einen Chef, genügen nicht wechselnde Dirigenten und Dirigentinnen? Nach jedem Konzert geben die Mitglieder des Orchesters Rückmeldungen an den Intendanten.

Dabei stellt sich ein hohes Interesse an Krzysztof Urbański heraus, der deshalb ein zweites Mal für ein Konzert in kleinerem Kreis eingeladen wird und auch dabei beeindruckt. Doch an Urbański ist man auch andernorts interessiert. Um nicht unter Druck zu geraten, wartet man in Bern ab und kontaktiert Urbański danach erneut mit einem konkreten Angebot. Nun mit Erfolg.

Urbański wird geschätzt

Für die befragten Mitglieder des BSO zeichnet sich Urbański dadurch aus, dass er die Musikerinnen und Musiker mit einer starken und sehr persönlichen musikalischen Sichtweise konfrontiert und herausfordert. Eindruck hinterliess er auch, indem er bereits in den Proben auswendig dirigierte.

Das BSO hat kein verbrieftes Mitentscheidungsrecht. Durch die Rückmeldungen hatte es jedoch erheblichen Einfluss. Intendant Florian Scholz nahm diese Stimmen ernst.

Weshalb ist es nun doch zu einem neuen Chefdirigenten gekommen? Eva Simmen und Bernhard Röthlisberger schätzen eine gewisse Konstanz in der Zusammenarbeit mit einem weitgehend unbestrittenen Konterpart, der in musikalischen Dingen Überzeugungskraft ausstrahlt. Sie wollen die Ideen des Dirigenten spüren, immer wieder. Und dies nicht nur während der Konzertwochen, auch wenn die Zusammenarbeit in den Probetagen entscheidend sei. Das BSO benötige keinen «Cheferzieher», wohl aber jemanden, der die Musikerinnen und Musiker zu einem Ganzen formt, Schwachstellen benennt und verbessert.

Das Konzertprogramm wird dementsprechend auch nicht allein Urbańskis Handschrift tragen.

Allerdings: Die Zeit der autoritären Herrscher am Pult sei vorbei. Dirigierende müssten mit dem Orchester auf Augenhöhe kommunizieren. Und dennoch sei von Zeit zu Zeit eine bestimmte Entschiedenheit gefragt, ein «Mir nach!», das Urbański in Massen auch eigen sei.

Das Konzertprogramm wird dementsprechend auch nicht allein Urbańskis Handschrift tragen. Das BSO entsendet die beiden Konzertmeister und drei Musikerinnen und Musiker in die Konzertkommission, in der der Chefdirigent sowie der Intendant sitzt. Diese Mitsprache des BSO ist nicht selbstverständlich; sie wird geschätzt.

Bühnen Bern engagiert einen international gefragten Chefdirigenten. Er soll das BSO musikalisch weiterführen. Das ist eine erhebliche Investition auch zu Gunsten der Bundesstadt Bern.