Ich erinnere mich an eine Begegnung vor einigen Jahren. Ich übersetzte für einen Dokumentarfilm des BAG. Ein Journalist fragte einen Patienten aus Kosovo, was für ihn «verstehen» heisse. Der Befragte antwortete spontan: «Verstehen kann heilen»! Unter diesem kurzen, einfachen Satz vertreibt das BAG heute den Film zur Information für Lernende und Studenten.
Ich denke an diesen Mann, wenn ich von der Impfskepsis unter meinen Landsleuten höre. Nicht jeder Kosovoalbaner, jede Kosovoalbanerin in der Schweiz versteht perfekt Deutsch. Wo es an Information mangelt, werden Menschen unsicher und misstrauisch. Und sie handeln vielleicht irrational. Und werden deshalb möglicherweise krank.
Es fehlt vielen vor allem älteren kosovoalbanischen Menschen hier am Selbstbewusstsein. Sie fühlen sich minderwertig und fürchten vielleicht sogar wirtschaftliche Nachteile, wenn sie z.B. wegen der Impfung oder möglicher Nachwirkungen dem Arbeitsplatz fernbleiben müssen. Sich informieren und nachfragen, wenn man etwas nicht verstanden hat, setzt voraus, dass man sich sicher und akzeptiert fühlt. Die meisten älteren Kosovaren und Kosovarinnen, fühlen sich hier immer noch fremd und leben isoliert, sie lesen Medien in ihrer Muttersprache und schauen die Nachrichten auf den kosovarischen TV-Kanälen. Diese Nachrichtensender übermitteln nicht dieselben Nachrichten wie die hiesigen. Dazu kommt, dass Migrant*Innen ganz andere Sorgen haben als Schweizer*Innen. Der Kummer um die Liebsten im Herkunftsland beschäftigen viele sehr. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum das Virus sie nicht so beunruhigt. Die meisten haben weit Schlimmeres gesehen: Krieg, Existenzängste, Überlebenskämpfe.
Die Geschichte hat die Menschen aus dem Kosovo geprägt. Die Kosovoalbaner mussten über Jahrhunderte kämpfen: Für sie ist die Familie das Wichtigste. Deshalb – so denke ich – war im Sommer die Sehnsucht nach der Heimat und den Liebsten grösser als die Vernunft. Vielleicht haben sich deshalb viele nicht an die Massnahmen gehalten, sind ungeimpft nach Hause gefahren, haben das Virus ignoriert. Und es dann hierher importiert. Im Kosovo war man ja der Meinung, man hätte die Sache im Griff. Bis im Juli und August die Diaspora aus dem Ausland anreiste.
Ich denke, es gibt noch einen anderen Grund für den (für hiesige Begriffe) relativ sorglosen Umgang mit der Pandemie: Kranksein hat(te) in der albanischen Gesellschaft einen ganz anderen Stellenwert. Ich erinnere mich, dass noch in den 90er-Jahren kaum jemand zum Arzt ging, nicht einmal bei schweren Krankheiten, geschweige denn bei einer Grippe. Es fehlte nicht nur an finanziellen Mitteln, sondern auch an Medikamenten. Das ganze Gesundheitssystem war in serbischen Händen. Die kosovarischen Ärzte und Krankenpfleger waren vertrieben worden. Die Bevölkerung war deshalb skeptisch und kurierte sich lieber selber – meist mit irgendwelchen Hausmitteln. Das wirkt wohl heute noch bei vielen nach. Vor allem bei der älteren Generation.
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Bei der jungen Generation, welche in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, geht es wohl um anderes. Sie lehnen die Impfung hauptsächlich im Namen der persönlichen Freiheit ab. Sie pochen auf ihr Recht auf Selbstbestimmung – und argumentieren damit nicht anders als viele Schweizer Altersgenoss*innen.
Fazit: die ältere Generation ist etwas unsicher und die Jungen sind generell nicht immer einfach zu überzeugen.
Etwas ist mir noch wichtig: Ich bin geimpft, meine Familie auch. Am Arbeitsplatz, wo ich die einzige bin mit Wurzeln im Balkan, gibt es jedoch einige Ungeimpfte. Und dies obwohl alle bestens informiert sind. Und die Folgen von Corona kennen.