«Klack! Fertig. Schluss. Aus. Sense»

von Eliane Oesch 31. Januar 2013

Szenische Nahtoderfahrung im Tojo Theater: Die junge Zürcher Theaterformation EberhardGalati versucht in ihrem 60-minütigen Stück «I SEE A DARKNESS – If God is a DJ, Death would be a Rockstar» dem Sterben auf den Grund zu gehen.

Wir wissen alle, dass wir eines Tages sterben. Doch die westliche moderne Gesellschaft ist ganz gut darin, diese Tatsache zu verdrängen. «I SEE A DARKNESS» ist eine theatrale Auseinandersetzung mit dem Sterben und rührt an der Unberührbarkeit dieses Themas. Mit dem Projekt wollen die Regisseurin Eveline Eberhard und der Schauspieler Mauro Galati dem Tod ein neues Gesicht geben und dadurch zum Dialog anregen: Mit dem Sterben soll man sich nicht erst im Alter auseinandersetzen.

Der Anfang vom Ende

Dunkelheit. Lärmige Motorengeräusche. Jemand wechselt den Radiosender. Vermutlich in einem Auto. Und dann: Ein lauter Knall, mit welchem sich die Sterbebühne erleuchtet. Mittendrin befindet sich ein junger Musiker (Mauro Galati), der nach einem Unfall plötzlich am Anfang von seinem Ende steht. Auge in Auge mit dem dem Tod (Stephan Filati) und «The Voice» Frank S. (für Sinatra) in Form einer ramponierten Pappfigur. Hiermit ist er eröffnet: sein Sterbeprozess.

Der in die Zwischenwelt geworfene Musiker will nicht glauben, dass ausgerechnet er sterben soll. Er versucht sich gegen den Tod in Persona eines gut aussehenden Mannes in rotem Anzug und mit Gitarre in der Hand aufzulehnen, indem er zunächst vergeblich probiert, sich selbst wiederzubeleben. Danach ruft er dem Tod in den unterschiedlichsten Sprachen «Tschüss» zu und will von der Abgangsbühne zurück ins Leben treten.

«Man ertappt sich als Zuschauerin dabei, wie man sich in Gedanken eine eigene ‹Bucket List› zusammenstellt.»

Eliane Oesch, Volontärin

Doch Frank S. hält ihn davon ab, indem er ihn immer wieder von Neuem mit einem «Hello» im Musikerhimmel begrüsst. Um dem verunfallten Musiker zu verdeutlichen, dass er tatsächlich stirbt, liest der sonst grundsätzlich schweigsame Tod ihm aus einer Fachzeitschrift vor, welches die drei sicheren Todeszeichen sind: Totenflecke, Totenstarre und Leichenfäulnis. Der Musiker will jedoch weder hören noch fühlen und schreit ihm nur ein «Hau ab!» zu.

Als er den unweigerlich näherrückenden Tod doch zu realisieren beginnt, versucht er, mit dem Tod zu verhandeln. Zunächst fragt er ihn, wie es denn sei zu sterben. Mit seinen Fragen vom Tod im Dunkeln gelassen, beschreibt er das Sterben schliesslich in seinen eigenen Worten als «Lichtschalter, den man ausknipst. Klack! Fertig. Schluss. Aus. Sense». Vom Gedanken dieser Endlichkeit erdrückt ist der Musiker bemüht, den Tod nochmals von einer Rückkehr ins Leben zu überzeugen. In ein paar Jahren werde man sowieso ewig leben. Bis dahin müsse der Einzelne nur den Alterungsprozess verlangsamen: «Vielleicht ein bisschen mehr Obst essen, joggen und mehr Wasser trinken.» Unbeeindruckt stimmt der Tod den «Sanitarium Blues» von Townes van Zandt an.

«Jeder muss etwas sein in dieser Welt»

Danach führt der Sterbende seinen Monolog weiter und sinniert über den wahren Sinn des Lebens. Er kommt zum Schluss, dass in dieser Welt einfach jeder etwas sein muss: Ein Zahnarzt etwa. Oder ein Pressesprecher. Oder ein Künstler. Und da tritt Mauro Galati für einen kurzen Moment aus seiner Rolle aus und richtet sich mit seinem persönlichen Gedanken dazu ans Publikum: «Wenn ich vor füf Jahr scho gwüsst het, dassi hüt sterbä müesst, hetti das Stück nie gmacht… Oder doch, i hetts trotzdem gmacht». Im Nu verwandelt er sich wieder in seine Musiker-Rolle. Frank S. singt dazu: «That’s life».

Mit der eintretenden Depressionsphase beginnt der sterbende Musiker sich eine Liste mit den Dingen zu machen, die er tun würde, wenn er nochmals leben könnte: Sex haben, Frieden schliessen mit sich selbst, sich mit den Ex-Freundinnen treffen, nochmal ans Meer fahren et cetera.

«Das Ende kommt eben oft überraschend.»

Eliane Oesch, Volontärin

Bei dieser beinahe nicht enden wollender Liste ertappt man sich als Zuschauerin dabei, wie man sich in Gedanken eine eigene Liste zusammenstellt. Während der Tod «How to disappear completely» von Radiohead spielt, tritt der Todgeweihte langsam von der Bühne ab und kehrt wieder zum Tod zurück. Er schlüpft in ein Skelettkostüm und ruft uns lauthals zu: «Let me entertain you!» Woraufhin ihm der Tod «Let you entertain me!» entgegnet. Ruhig bittet der Tod den Musiker, er solle sich an sein Skelett lehnen. «Is there a hope that somehow you can save me from this darkness?», fragt der Musiker den Tod immer noch etwas ängstlich. Angelehnt an einen Song von George Harrison antwortet dieser ihm: «All things must pass. All things must pass away.»

Memento mori

«Nach dem plötzlichen Tod von Frank S. wurde das Empire State Buildung in blaues Licht getaucht», erzählt uns eine Stimme aus dem Off.

In dem Moment fällt ein blaues Licht auf das Publikum. Davon geblendet und überrascht kneifen wir die Augen zusammen. Das Licht wandert zurück auf die Bühne. Das Stück ist zu Ende. Fertig. Schluss. Aus. Doch irgendwie hat der abrupte Schluss uns Zuschauer so überrumpelt, dass wir alle erst nach einer etwa zehnsekündigen Pause zögerlich zu klatschen beginnen. Das Ende kommt eben oft überraschend.