Marco Ryter ist pensionierter Architekt. Susanne Aeberhard hat als kantonale Steuerexpertin bis zu ihrer Pensionierung Steuererklärungen geprüft. Heute präsidieren der Rentner und die Rentnerin die Kirchgemeinderäte Johannes im Breitenrain und Markus im Wyler. Ryter und Aeberhard sind die treibenden Kräfte hinter einer Fusion, die für sie eine Riesenchance mit Potenzial ist – für einige andere aber ein Identitätsverlust. Am 8. März fällt die Entscheidung.
Gesamtstädtisch wird seit Jahren an einer Fusion aller dreizehn reformierten Kirchgemeinden gearbeitet. Innerhalb dieses Endlosprozesses preschen jetzt Ryter und Aeberhard vor. An zwei ausserordentlichen Versammlungen legen sie ihren Kirchgemeinden zwei entscheidende Fragen vor: Soll die angedachte Fusion Johannes und Markus weiterverfolgt werden? Und soll die Johanneskirche zugunsten der Markuskirche aufgegeben werden? Nur ein Ja zu beiden Fragen würde den Weg freimachen zum 10 Millionen teuren Umbau der Markuskirche in ein multifunktionales Haus.
Falls beide Versammlungen den Anträgen ihrer Kirchgemeinderäte zustimmen, würden ab 2025 alle Aktivitäten der Reformierten aus dem Breitenrain- und dem Wankdorf-/Wylerquartier nur noch in der Markuskirche stattfinden. Und die Johanneskirche ginge in die Immobilien AG der Gesamtkirchgemeinde über.
Die Vorgeschichte
Die heutigen Kirchgemeinden Johannes und Markus gehörten schon einmal zusammen. Nach dem 2. Weltkrieg wuchs die Stadt im Wankdorf und im Wyler. Im Jahr 1951 wurde die Markuskirche gebaut und es entstanden zwei Gemeinden. In den letzten Jahren sind diese aber wieder näher zusammengerückt. Einzelne Aktivitäten wie Gottesdienste, Altersnachmittage und Kinderanlässe werden gemeinsam durchgeführt. Ökumenische Gottesdienste und der kirchliche Unterricht der Jugendlichen (KUW) sogar zusammen mit der katholischen Mariengemeinde. Ein wenig beachtetes Novum in der Stadt!
Soll dereinst die schöne alte Kirche mit der wunderbaren Akustik an den Meistbietenden verkauft werden?
Nun also ein noch engeres Zusammengehen. Die Initiative kam aus der grösseren Johannesgemeinde. Ratspräsident Marco Ryter erkannte als Architekt bei Amtsantritt vor vier Jahren, dass die kleinere Johanneskirche nicht das Potential für eine multifunktionale Quartierkirche hat. Ryter hatte als Quartierneuling keine nostalgischen Bindungen an das kleine Kirchlein aus dem 19. Jahrhundert. Er sah als Architekt vielmehr die «einmalige Chance» eines Zusammengehens und das «Erweiterungspotential» einer gemeinsamen Kirche im Wyler und suchte deshalb den Kontakt zum dortigen Kirchgemeinderat.
Die Zukunftspläne
«Gemeinsam mit Elan in die Zukunft», so priesen Ryter und seine Kollegin von der Nachbargemeinde Susanne Aeberhard vor zweieinhalb Jahren ihre Idee eines Zusammenschlusses an. Und sie gewannen damit schnell die Ratskollegen und die Pfarrerschaft. Unterdessen hat die Idee konkrete Formen angenommen.
Ein teurer Kirchenraum, der praktisch nur für Gottesdienste genutzt wird, ist heutzutage einfach nicht mehr vertretbar.
Ryter und Aeberhard und beide Kirchenteams sind überzeugt: sie wollen Kirche neu denken. Mit einem Umbauplan, der aus der Markuskirche ein Quartierzentrum mit Bistro und multifunktionalen Räumen vorsieht.
Die beiden Teams haben sich unterdessen den Luzerner Maihof angesehen, eine der ersten umgenutzten Kirchen der Schweiz. Der Besuch in Luzern hat alle überzeugt, dass ein ähnliches Projekt auch in Bern Erfolg haben könnte. Ryter sagt: «Ein teurer Kirchenraum, der praktisch nur für Gottesdienste genutzt wird, ist heutzutage einfach nicht mehr vertretbar. In unserer Kirche sollen künftig auch ganz andere Aktivitäten möglich sein: Konzerte, Chorproben, Familienfeste, Quartierversammlungen, Firmenanlässe …». Möglichkeiten gebe es dank der Bistrotküche und vielfältig nutzbaren Nebenräumen viele. Ein Reglement und ein Veranstaltungsmanager sollen verhindern, dass Unangebrachtes in die Kirche kommt.
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Die Bedenken
Und was passiert mit der Johanneskirche und ihrem Kirchgemeindehaus? Das ganze Ensemble ginge mit dem Bezug der neuen Markuskirche 2025 in die Immobiliengesellschaft der Gesamtkirchgemeinde Bern (RBI) über. In dieser RBI ist die Gesamtkirchgemeinde Alleinaktionärin. Sie hat laut Statuten den Auftrag, die Immobilien nachhaltig und verantwortungsvoll zu bewirtschaften. Mit anderen Worten: ethisch, aber zu marktüblichen Preisen.
Das Wörtchen «marktüblich» stösst bei einigen QuartierbewohnerInnen aus der Johannesgemeinde auf Skepsis. Der pensionierte Pfarrer Walter Stäuber fragt: «Soll dereinst die schöne alte Kirche mit der wunderbaren Akustik an den Meistbietenden verkauft werden?». Und seine Frau, ehemalige Ratspräsidentin der Kirchgemeinde, ergänzt: «Massgebend dürfen doch nicht bloss wirtschaftliche Kriterien sein. Auch die Interessen des Quartiers zählen.» Sie seien «keine Fusionsgegner», sie möchten einfach wissen, was dereinst mit «ihrer Kirche» passiert. Vorher könnten sie und einige andere aktive Mitglieder einem Verzicht auf die Johanneskirche nicht zustimmen.
Ein Richtungsentscheid steht an. Am 8. März entscheidet das Stimmvolk.