Erst fünf Jahre ist es her: Am 11. März 2011 erklärte die japanische Regierung den atomaren Notfall. Nach einem Tsunami setzte eine Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi grosse Mengen an radioaktivem Material frei. 170’000 Menschen mussten sofort ihre Wohnungen und Landwirtschaftsbetriebe verlassen. Tausende von ihnen können nicht mehr zurückkehren.
Ich erinnere mich, als ob es heute wäre. Zuerst der Schock, dann die Wut und dann die intensive politische Arbeit. Rund um die Uhr haben wir uns informiert, demonstriert und politische Allianzen geschmiedet. Eine Woche nach der Katastrophe, am 18. März 2011, habe ich im Nationalrat den Ausstieg aus der Atomenergie verlangt. Und das Wunder geschah: Erschüttert durch die Bilder von verstörten Menschen in Turnhallen, verhungerten Kühen, verseuchten Wasserfässern und hilflosen Technikern im Hightechland Japan hat das Parlament meinem Vorstoss zugestimmt. Er und zwei weitere Motionen haben die Arbeiten zur Energiestrategie 2050 ausgelöst.
Feldversuch mit Bevölkerung
Fünf Jahre später, in der Herbstsession, wurde die Energiestrategie endlich verabschiedet. Eigentlich könnte ich stolz sein – doch ich bin es nicht. Auf dem langen Weg durch die Institutionen musste die Energiestrategie viele Federn lassen. Zwar wurde nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein Neubauverbot für AKW beschlossen. Doch die Stilllegung der bestehenden Anlagen ist ins Stocken geraten. Das ist brandgefährlich, denn in der Schweiz stehen die ältesten Atomkraftwerke der Welt.
Die Alterung führt bei AKW immer wieder zu Stör- und Betriebsausfällen. Zentrale Elemente wie der Reaktordruckbehälter können nicht ersetzt werden und sind extremen Belastungen ausgesetzt. Im Durchschnitt werden Atomkraftwerke deshalb weltweit nach rund 26 Jahren stillgelegt. Nicht so in der Schweiz. Hier gibt es erst für das AKW Mühleberg (aktuell 44 Jahre alt) einen Ausstiegsplan. Die beiden Reaktoren des AKW Beznau dagegen sollen nach einer langen Pannenserie und 47 Betriebsjahren unbefristet weiterlaufen. 60 Jahre lang oder mehr. Solange die «Experten» behaupten, sie seien sicher. Niemand wird dies je wirkungsvoll kontrollieren können. Kein AKW der Welt war jemals so lange in Betrieb. Was die Axpo plant, ist ein Feldversuch mit der Bevölkerung. Solchen Blindflügen dürfen wir nicht vertrauen!
Maximale Laufzeit: 45 Jahre
Die aktuellen Ausfälle der AKWs Beznau 1, Leibstadt und Fessenheim zeigen, dass wir uns heute im atomaren Blindflug befunden. Trotzdem will Energieministerin Doris Leuthard die alten Kisten laufen lassen «solange sicher». Ich wage mir nicht vorzustellen, was passiert, wenn der Schalter von sicher auf unsicher kippt. Umso dankbarer bin ich, dass wir 2011 nicht nur auf das Parlament vertrauten, sondern die Volksinitiative für den geordneten Ausstieg lancierten. Sie ist heute das einzige Sicherheitsnetz gegen atomare Risiken. Nur sie kann das gefährliche Experiment mit immer älteren AKW in der Schweiz noch stoppen. Die Initiative legt eine maximale Laufzeit von 45 Jahren fest und bringt Schub für erneuerbaren Strom und die Energieeffizienz.
«Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt explodiert, wird die Stimme eines Experten sein, der sagt: «Das ist technisch unmöglich! »», prophezeite der britische Kulturschaffende Sir Peter Ustinov. Das darf nicht passieren. Nehmen wir das Heft selber in die Hand und setzen wir uns für die Atomausstiegsinitiative ein.