Kein Zurück zum guten Vorher (Teil II)

von Christoph Reichenau 23. März 2021

Ein Jahr schon gelten Corona-Massnahmen auch in der Kultur. Zwar gab es schon früh besondere Unterstützung, doch wirklich zufrieden sind wenig Kulturschaffende. Wie geht es weiter? Teil 2 und Schluss der Überlegungen.

Die Städte fordern in einer Resolution, von nun an systematisch in die Kulturförderung während der Pandemie einbezogen zu werden. Sie wollen auch die Förderung nach Corona mitgestalten. Schliesslich tragen sie zusammen mehr als die Hälfte der öffentlichen Lasten.

Doch einige Städte schlagen sich mit Sparpaketen herum. Auch Bern, wo auf 2024 hin die Kulturkredite 1,34 Millionen zum Sparziel von 50 Millionen beitragen sollen. Das ist etwa ein Drittel des Kulturanteils am Gesamtbudget der Stadt und erscheint nicht übermässig. Doch zählt gerade in einer Zeit des kulturellen Wiederaufbaus jeder Franken. Und wenn dem Sparanteil der Kultur die Stadtgalerie zum Opfer fallen soll, trifft es ein Förderinstrument junger visueller Künstlerinnen und Künstler, deren Einstieg in den Beruf in Zeiten von Corona ohnehin schwierig ist. Das ist die eine Sicht. Die andere: Für Kultur bleiben trotz geplanten Sparens 2024 mehr Mittel im Budget als 2019. Kein realer Abbau also, jedenfalls bei nahezu 0% Zinsen und ohne Inflation. Aber natürlich schmerzhaft, da derzeit – grundsätzlich antizyklisch – gar nicht gespart werden dürfte.

Die Resolution der Städte zeigt die Schwierigkeit, zwischen Hammer und Amboss eine gute Politik und eine in die Zukunft wirksame Kulturförderpolitik zu machen. Eine Politik, die nicht einfach, wie man oft hört, möglichst rasch und nahtlos zu dem zurückführt, das Anfang 2020 «normal» war. Denn dieses sogenannt «Normale» empfanden damals, vor 13 Monaten fast alle Kulturschaffende, Kulturorganisationen und Kultureinrichtungen nicht als gut, bestenfalls als genügend. Nur fünf Stichwörter: (1) Die Gelder der öffentlichen Kulturförderung gingen zu 85-90% an die grössten Einrichtungen (Theater, Orchester, Opernhäuser, grosse Museen), die sich übrigens in der Krise nicht innovativ und solidarisch zeigten, ja sogar Überschüsse erzielten. (2) Diese Häuser bemühten sich vor der Krise auch nicht genügend um Diversität und klar zu wenig um die Teilhabe junger und zugewanderter Menschen an ihrer Kunst.  (3) Für das Problem, dass eine finanziell limitierte Förderung sowohl für stets älter werdende Kulturschaffende zugänglich bleiben, aber auch für immer neue Junge offenstehen soll, gibt es keine Lösungsansätze. (4) Wie Kulturschaffende in sozialer Sicherheit alt werden können, ist leider kein grosses Thema; das hat Corona jetzt wohl geändert. (5) Kunst und Kultur sind überwiegend «unsere» Kunst und Kultur, seit langem tradiert und nur in engem Verständnis weiterentwickelt. Die Kulturen der Migrantinnen und Migranten fallen praktisch aus jedem Raster.

Vorwärts, nicht zurück

Die Herausforderungen, besser: die Probleme für «eine nachhaltige Wiederaufnahme des Kulturlebens», wie die Städtekonferenz Kultur schreibt, verlangen folglich nicht die Rückkehr zum Alten. Sie fordern eine Förderung, die nach vorne blickt und ernst macht mit der Einsicht, dass in ihrem Fokus zuerst die Leute stehen, dann die Kulturschaffenden. Und dass die Kunst-Institutionen – je mehr unterstützt, desto stärker – ihrerseits alle Kräfte mobilisieren müssen, um die Leute, die ganze Bevölkerung zu erreichen.

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Vielleicht können wir aus dem bisherigen Jahr mit Corona dies als Aktivposten mitnehmen: Vieles, was vorher nicht denkbar erschien, ist über Nacht Realität geworden, im Guten und im Schlechten. Und speziell bezogen auf Kunst und Kultur: Es gibt sie auch ohne live-Darbietungen (Lesen, Vorlesen lassen, Filme schauen am Bildschirm, Musik hören, über Streamings diskutieren). Wer künstlerisch wieder Fuss fassen will, muss neu überzeugen.

Gibt es Lehren?

Lässt sich daraus etwas lernen? Ich sehe ich ein paar Punkte, bei denen sich ansetzen liesse:

– Sinnvolle Förderung geht nur mit denen, die man fördern will. Die in der Krise gestärkten Kulturorganisationen und ihre Taskforce sollten auch bei der Wiederaufnahme des Kulturlebens und der Neuorientierung der Förderung einbezogen werden. Sie sind unentbehrlich.

– Die Kulturschaffenden, Einzelpersonen, Ensembles dürfen nicht noch einmal ohne genügenden Schutz dastehen. Rasche Abfederungsmassnahmen sind gut, präventiver Schutz ist besser. Es stärkt den Betroffenen den Rücken, wenn sie im Schutzsystem Beteiligte sind. Ob es ein Sondersystem der Sozialversicherung braucht oder ob gezielte Verstärkungen da und dort besser sind, ist zu eruieren. Auszugehen ist von den Besonderheiten der Arbeit im Kulturbereich – und von dessen Breite und Vielfalt.

– Zwischen Bund und Kantonen funktioniert die Umsetzung der wirtschaftlichen Abfederung. Jetzt gehören, spät, auch die Städte ins Boot; sie tragen die finanzielle Hauptlast und sind am nächsten bei den Kulturleuten. Einen Platz haben müssen auch die grossen Vergabestiftungen.

– Mehr Geld reicht nicht. Mehr Geld ist möglicherweise gar nicht verfügbar. Es braucht einen übergreifenden Plan. Die Förderstellen müssen sich mit Zukunftsszenarien befassen, wie dies jene der Stadt und der Burgergemeinde Bern tun. Es braucht nicht gerade ein neuer Clottu-Bericht zu sein. Doch die Förderung nach der Krise darf – unabhängig von den Mitteln – nicht die Förderung vor der Krise sein, wie oben skizziert. Wer übernimmt dabei die Initiative und die Moderation, ohne die anderen dominieren zu wollen? Ideal positioniert sind die Stiftungen: Sie stehen zwischen «der Kultur» und dem Staat und können daher vermitteln; sie fördern meistens auch andere Bereiche (Soziales, Umwelt usw.) und sehen über den Tellerrand hinaus; sie sind flexibel.

– «Die Kultur», «die Kunst» gibt es nur mit Publikum, mit unterschiedlichen Publika. Auf diese zuzugehen, mit ihnen zu reden, auf sie zu hören, von ihnen zu lernen – das ist wichtig gerade nach einer langen Zeit fast ohne Kontakte. Und gerade im Hinblick darauf, dass niemand derzeit sicher weiss, ob die angestammten Publika, die ohnehin verbreitert und verjüngt werden müssen, kommen werden wie vor der Krise.

– Nützlich ist ein Observatorium des wirtschaftlichen Funktionierens «der Kultur». Das «Zurich Centre für Creative Economies» an der Züricher Hochschule der Künste gibt seit Beginn der Krise Research Notes heraus. Es hat alles, was es braucht, um Zahlen und Fakten zu erheben und nutzenbringend darzustellen; ein wissenschaftlicher Beirat für Krisenbewältigung und die Zeit danach.

Mehrzweckhalle

Eines ist mir wichtig: In der Vorbereitung auf die «Zeit danach» werden seit kurzem sogenannte Transformationsprojekte unterstützt mit beträchtlichen Summen. Die Transformation dürfte nicht primär und schon gar nicht ausschliesslich der Digitalisierung in irgendeiner Form dienen, ausser diese sei aus einem künstlerischen Ansatz heraus zwingend. Es geht darum, Netzwerke und Kulturorganisationen sowie ihre Mitglieder so zu stärken, dass sie sich gut gerüstet in der Nach-Corona-Zeit behaupten können. Dazu gehören digitale Techniken der Vermittlung, aber mehr noch die Ermöglichung physischer Begegnungen. Denn das, was uns an Kultur und Kunst unentbehrlich erscheint, ist real, ist Begegnung, wirkliches Erleben, miteinander reden. Das fehlt und darauf kommt es an.

Der Basler Kulturwissenschafter Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Migrationskommission, hat einmal gesagt, der Kulturort der Migrantinnen und Migranten sei die örtliche Mehrzweckhalle. Es wäre interessant, diesen Aspekt der Vorläufigkeit und Gemeinsamkeit auch für die Kultur der Nicht-Migrantinnen und -migranten zu diskutieren. Hat die Stadt Bern nicht auch dafür einen finanziellen Beitrag an die neue Festhalle beschlossen?