«Kein Platz für neue Literatur in Bern»

von Jessica Allemann 10. Dezember 2012

Die Stadt Bern erteilt dem Literatur-Forum «Absolut zentral» von Hans Ruprecht eine Abfuhr. Der Kulturvermittler und Organisator kehrt der Stadt den Rücken und stösst dafür in Zürich auf offene Ohren.

Der Kanton verlieh ihm 2008 den Kulturvermittlungspreis, die Stadt will von seinem Engagement nichts wissen: Die Veranstaltungsreihe «Absolut zentral» von Hans Ruprecht findet in ihrer zweiten Auflage keine Unterstützung von der Stadt Bern. Der Literaturvermittler und Festivalveranstalter drückt sein Bedauern in einem offenen Brief aus und verlegt seine Aktivitäten fortan auf andere Orte. «Dort, wo meine Arbeit schon bisher geschätzt wird und auch weiter gedeihen kann», wie er in seinem Brief an die Öffentlichkeit schreibt. In diesem verleiht er seinem Bedauern über die Ablehnung des beantragten Förderbeitrags durch die Abteilung für Kulturelles deutlich Ausdruck. «Eine ‘Kulturpolitik’, die den Namen kaum mehr verdient, verunmöglicht ein national und international ausgerichtetes Projekt, das in seiner ersten Ausgabe (2011, mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa) auch im Ausland Beachtung fand», schreibt er. Ihm sei unverständlich, dass ein solches Projekt, das sich nicht im Mainstream bewege, in der Bundeshauptstadt Bern keinen Platz mehr findet. «Gerade in einer Stadt wie Bern, die eine hohe Autorendichte aufweist, wäre das Projekt eine Chance gewesen, diese über die Landesgrenzen hinweg bekannt zu machen», sagt er auf Nachfrage.

Stadt Bern will kein zweites «Absolut zentral»

Die zweite Ausgabe der literarischen Veranstaltungsreihe hätte im Herbst 2013 stattfinden sollen und den Fokus auf den Balkan und die Türkei gelegt.

«Von meiner Seite aus wird es kein Engagement mehr für die Stadt Bern geben. Nicht, solange die Abteilung Kul- turelles in dieser Zusammensetz- ung besteht.»

Hans Ruprecht, Kulturvermittler und Festivalorganisator

Auch das Thema «Der Islam in Europa» hätte aufgegriffen werden sollen. «Gerade die Literatur birgt die Chance, zu diesem Thema neue Perspektiven aufzuzeigen», ist sich Ruprecht sicher. Die Stadt hätte jedoch kein Interesse am Projekt gezeigt. Ruprecht äussert Zweifel, ob die Projekteingabe überhaupt gelesen worden sei, «es kamen keinerlei inhaltliche Rückfragen, sondern nur die Äusserung, dass die Stadt kein Geld habe, ein solches Projekt zu finanzieren».

Zwar seien in der Stadt national bedeutende Institutionen wie das Schweizerische Literaturarchiv, die Nationalbibliothek und das Robert Walser Zentrum (Berns einzige subventionierte Literatur-Institution) zu Hause. «Bern hat aber keinen Platz für neue Literatur», bedauert Ruprecht. Die Literatur habe vielerorts einen leichteren Stand: Zürich, Basel und Genf bieten in Literaturhäusern Plattformen für literarische Schwerpunkte, Bern verpasse die Chance, «die Literaturstadt der Schweiz zu sein».

«Kein Abo für wiederkehrende Veranstaltungen»

Kultursekretärin Veronica Schaller sieht die «Literaturstadt Bern» nicht bedroht. «Das Literaturfest wird bereits alle zwei Jahre mit 50’000 Franken unterstützt und stösst in der Bevölkerung auf grosse Resonanz.» Als man der Veranstaltung «Absolut zentral» einen Förderbeitrag zusprach, sei man nicht darüber informiert worden, dass diese als Reihe konzipiert sei. Für die Unterstützung ausserordentlicher Anlässe stehen der Abteilung Kulturelles jedes Jahr 300’000 Franken zur Verfügung, «wir können Herrn Ruprecht, der bereits die Unterstützung für das regelmässig stattfindende Literaturfest erhält, kein Abo für eine weitere Veranstaltungsreihe geben.»

Zur Ablehnung des Antrags haben auch «das vage Konzept der Veranstaltung» und das «Nicht Beantworten von kritischen Nachfragen» geführt. So habe man es beispielsweise unterlassen anzugeben, mit welchen Bestrebungen man ein grösseres Publikum anzusprechen gedenke, oder unter welchen Vorzeichen die «Islamfrage» thematisiert werden soll, erklärt Peter Schranz, stellvertretender Leiter der Abteilung Kulturelles. «Uns war unklar, welche Autorinnen und Autoren in welcher Richtung zu Wort kommen», so Schranz. «Das Dossier zeigte ein Namedropping von sicherlich auch bedeutenden Referentinnen und Referenten, jedoch fehlten Kurzbiografien, welche ein konkretes Bild der Referierenden möglich gemacht hätte.» Auch die zu Rate gezogene Literaturkommission hätte das Dossier als «vage» und «in dieser Form nicht beitragsberechtigt» beurteilt.

Zürich zeigt Interesse an Übernahme

Das Programm für die zweite Ausgabe von «Absolut zentral» stehe und werde trotz des Negativentscheids der Stadt nicht fallen gelassen, sagt Ruprecht. Man schaue sich nun nach einem anderen Durchführungsort um. Denkbar sei Zürich, aber auch in Aarau wurde im Umfeld von Schriftsteller und Musiker Michel Mettler bereits Interesse bekundet. «Derzeit sind wir im Gespräch mit dem Schauspielhaus Zürich», bestätigt Ruprecht, «dort sind sie vom Projekt hell begeistert.» Doch auch hier stellt sich die Frage der Finanzierung, aber da sei man unter Hochdruck dran und guter Dinge.

Für Ruprecht ist klar: «Das Projekt wird unter keinen Umständen in Bern stattfinden. Von meiner Seite aus wird es kein Engagement mehr für die Stadt Bern geben, weder für ‘Absolut zentral’ noch für eine weitere Durchführung des Berner Literaturfests. Nicht, solange die Abteilung Kulturelles in dieser Zusammensetzung besteht.»

«Wir lassen uns nicht erpressen»

Auf der Abteilung Kulturelles bedauere man diesen Entscheid.

«Wir lassen uns nicht erpressen, indem man sagt, ich mache das eine nur, wenn das andere auch subventioniert wird.»

Veronica Schaller, Kultursekretärin

«Die Bedeutung des Literaturfests steht ausser Zweifel», sagt Schaller, «es wäre schade, wenn es nicht mehr zustande käme». Es sei unschön, dass die etablierte Veranstaltung als Druckmittel herhalten müsse. «Wir lassen uns nicht erpressen, indem man sagt, ich mache das eine nur, wenn das andere auch subventioniert wird.» Man sei indes um eine Aussprache bemüht und habe Angebote, unter Mediation der Präsidentin der Literaturkommission, Corinne Jäger-Trees, den abgebrochenen Kontakt wieder herzustellen und die Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten: «Wir haben Herrn Ruprecht bereits gesagt, dass einer anderen, einmalig angelegten Literaturveranstaltung nichts im Wege stehe.»