Kein «08/15» Wohnungsbau

von Yannic Schmezer 26. Januar 2018

Das Gaswerkareal blickt in Bezug auf seine schon lange angedachte Überbauung auf eine unglückliche Vergangenheit zurück. Langsam wird die Zukunft des Areals indessen absehbar, das zeigte die Debatte, die gestern im Stadtrat geführt wurde. Eine kleine Geschichte des Gaswerkareals.

Beim Blick auf das Gaswerkareal dürfte jedem Investor und jeder Investorin das Wasser im Mund zusammenlaufen: Es liegt am Fuss der Stadt, sowie unmittelbar an der Aare und ist ausserdem praktisch unbebaut. Verständlich, dass Michael Daphinoff (CVP) das Areal in der gestrigen Debatte des Stadtrats als «Filetstück» bezeichnete. Klar ist: Ein Filet serviert man nicht ohne sorgfältige Zubereitung. Vielleicht verläuft deshalb die Planung des Gaswerkareals auch so kurvenreich.

Das Vertrauen wiederherstellen

Die Initiierung der Entwicklungsarbeiten auf dem Gaswerkareal ist zumindest zu wesentlichen Teilen ein Produkt der Umstände: 2011 wurde Energie Wasser Bern (ewb), welche den Grossteil des Areals besitzt (siehe Grafik), über den Umfang der Verseuchung des Bodens in Kenntnis gesetzt. Dieser ist von der Zeit, als das Areal noch industriell genutzt wurde unter anderem mit Chemikalien und Schwermetallen durchsetzt. Anstatt diese Altlasten lediglich zu sanieren, beschloss ewb die Bauunternehmerin Losinger Marazzi AG mit der Entwicklung eines Bauprojekts zu beauftragen, um die Altlastensanierung, sowie die Neuplanung des Areals zusammen anzugehen.

2014 wurde die Testplanung von Losinger Marazzi abgeschlossen und ewb, sowie der Stadt in einem umfangreichen Bericht zur Kenntnis gebracht. Vonseiten des Stadtrats gab man sich indessen nicht zufrieden, sondern zeigt sich skeptisch: Schon vor Abschluss der Testplanung wurden, vornehmlich von der Ratslinken und der GLP, reihenweise Vorstösse eingereicht, die das Gaswerkareal zum Gegenstand hatten. Befürchtungen wurden laut, dass sich die Planung der Stadt entziehen und intransparent werden könnte.

Der Gemeinderat folgte schliesslich der Mehrheit des Rates und beschloss 2016 das Areal von ewb zu kaufen um es anschliessend selber zu entwickeln. Die exklusive Zusammenarbeit mit einer externen Partnerin beinhalte zu viele politische Risiken und widerspreche dem Wettbewerbsgedanken im städtischen Planungs-und Bauwesen, schrieb der Gemeinderat im Bericht, der gestern im Stadtrat diskutiert wurde. Und weiter: «Mit der stadteigenen Arealentwicklung soll das Vertrauen in dieses wichtige Planungsgeschäft, das durch die ungewohnte Rollenverteilung im bisherigen Prozess gelitten hat, wiederhergestellt werden.». Die Kaufverhandlungen mit ewb sind noch nicht abgeschlossen, derzeit wird der Marktwert des Areals von einem unabhängigen Unternehmen ermittelt.

Vielfältiger Nutzungsmix

Derzeit ist das Gaswerkareal viergeteilt (siehe Grafik): Ein Grundstück gehört ewb. Es umfasst u.a. auch den Gaskessel, welcher aber im Baurecht an die Stadt übertragen wurde. Mit 56 499 m2 besitzt ewb den grössten Teil des Areals. Zwei weitere Grundstücke (insg. 53 782 m2) gehören der Stadt, eines dem Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik und eines dem Verwaltungsvermögen. Schliesslich ist auch noch die Brückenkopf Bern AG mit einem vergleichsweise kleinen Anteil von 5 168 m2 beteiligt. Sobald die Stadt den Anteil von ewb gekauft hat, besitzt sie die komplette politische Kontrolle über das Areal, zumal auch der kleine Anteil der Brückenkopf Bern AG zur Hälfte der Stadt gehört und lediglich im Baurecht abgegeben wurde.

Dann werden auf dem Areal Wohnungen gebaut. Angestrebt ist ein vielfältiger Nutzungsmix mit einem hohen Anteil an gemeinnützigem Wohnungsbau, attraktiven Freiräumen und sozialer Infrastruktur. «Wir wollen kein Bonzenghetto», sagte gestern Michael Sutter (SP) vor dem Rat. Eigentumswohnungen seien deshalb abzulehnen. Die Möglichkeit zur Errichtung von Stockwerkeigentum war im Bericht des Gemeinderats explizit vorgesehen. Barbara Freiburghaus, Sprecherin der Fraktion FDP/JF, sprach sich indessen für das Stockwerkeigentum aus, zumal es dem Mittelstand erlaube, überhaupt Wohnraum zu erwerben. Der Rat votierte dann mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen die Eigentumswohnungen, die neugewählte Ratspräsidentin Regula Bühlmann (GB) durfte gar erstmals einen Stichentscheid fällen.

Niemand will autonome Shuttles

Die Planung des neuen Wohnquartiers liest sich mithin recht progressiv: So ist z.B. die Rede von einem Krativ-Cluster beim Ryff-Areal. Auf «08/15»-Wohnungsbau sei zu verzichten, stattdessen ist die Rede von Co-Working-Spaces, Gemeinschaftsräumen, von Cluster-und Grosswohnungen. Mathias Egli (GLP) störte sich trotzdem daran, dass der Digitalisierung nicht Rechnung getragen werde. Nirgends im Bericht falle der Begriff «Smart-City». «Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt, um über innovative Technologien zu diskutieren.», sagte Egli. Konkret ging es der GLP um autonome Shuttles, diese sollten laut einem Antrag der Fraktion beim Mobilitätskonzept berücksichtigt werden. Noch seien diese zwar nicht marktreif, es sei aber davon auszugehen, dass bis zur Überbauung die Marktreife erreicht sein werde. Auch dieser Antrag wurde jedoch bachab geschickt.

In Sachen Mobilität gaben auch die geplanten 0.3 Parkplätze pro Wohnung zu reden. Für Alexander Feuz (SVP) klar zu wenig: «Punco Parkplätze sind wir der Meinung, dass es für alle genug haben muss.». Es sei deshalb ein Minimalwert von 0.5 bis 1.0 an Abstellplätzen pro Wohnung in die Planung aufzunehmen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Viele gebrochene Lanzen für den Gaskessel

Nur minimale Uneinigkeit bestand in Bezug auf die Rolle des Gaskessels. Zwar waren sich die SprecherInnen einig, dass eine allfällige Verschiebung des Gaskessels eine höhere Ausnutzung des Areals erlauben würde. Jedoch wurde anerkannt, dass der Gaskessel nicht zuletzt aufgrund seines gesellschaftlichen und kulturellen Werts eine Sonderstellung auf dem Areal einnimmt. Es müssten deshalb «Szenarien entwickelt werden für den Fall, dass der Gaskessel seinen bisherigen Standort beibehalten möchte», beantragte die Kommission für Planung, Verkehr und Stadtgrün (PVS). Der Antrag wurde mit deutlichem Mehr angenommen, womit erneut klargemacht wurde, dass der Gaskessel auch bei der weiteren Planung des Areals eine wichtige Rolle spielen wird. «Dann brauchen wir halt eine kreative Lösung, wie zum Beispiel eine Schule oder ein Dienstleistungsgebäude zwischen Gaskessel und Wohnungen», sagte Michael Sutter (SP). Die abschliessende Präferenz der BetreiberInnen des Gaskessels stehen indessen noch nicht fest. Bis Ende 2018 soll der partizipative Prozess zwischen BetreiberInnen und Stadt abgeschlossen sein.

Kein Baufeld für Losinger Marazzi

Schliesslich wurde die Abgeltung der bisherigen Arbeiten der Losinger Marazzi AG besprochen. Ewb werde beim Verkauf mindestens einen Teil der Kosten, die durch die Beauftragung der Bauunternehmung entstanden sind, auf den Kaufpreis aufschlagen. Der Gemeinderat empfahl deshalb zu prüfen, ob Losinger Marazzi ein Baufeld auf dem Areal zu Marktkonditionen überlassen werden sollte. Ein Vorschlag, der keine Chancen auf ein Mehr hatte. Entsprechend wurde ein Antrag der Kommission für Finanzen, Sicherheit und Umwelt (FSU) angenommen, der verlangte auf dieses Vorgehen zu verzichten. Losinger Marazzi wird demnach für ihren Aufwand, den Finanzdirektor Michael Aebersold mit 1.8 Millionen Franken bezifferte, geldwert entschädigt.

Mit der gestrigen Besprechung tut sich nun wieder etwas in der Causa Gaswerk. «Endlich hat die Stadt das Heft selber in die Hand genommen», freute sich Franziska Grossenbacher (GB/JA). Wenn alles nach Plan läuft, könnten die Bagger schon 2021 auffahren.