Vor dem Krieg hatte ich ein kleines Ritual. Zusammen mit drei Freundinnen trafen wir uns jeden Samstag um 10 Uhr in einem Café im Stadtzentrum von Rivne, wo es unglaublich leckere Croissants gab. Dieses Gebäck liess selbst die eitelste unter uns die Diät vergessen. Wir konnten bis zum Mittag bei Cappuccino und Croissants sitzen und plaudern. Diesen Ritus durfte man nur aus wirklich wichtigen Gründen verpassen.
Auch zu spät kommen war eigentlich tabu! Und doch kam es einmal vor, dass ich fast 40 Minuten auf meine Freundinnen warten musste. Verärgert sagte ich ihnen, dass dieses kollektive Zuspätkommen mir die Stimmung verdorben habe und ich beim nächsten Mal lieber gar nicht käme, als allein in einem voll besetzten, fröhlichen Café zu warten.
Diese Geschichte taucht immer wieder in meinen Erinnerungen auf – besonders dann, wenn ich mein «früheres Leben» vermisse. Gleichzeitig bringt sie mich zum Nachdenken, wie Ukrainer*innen eigentlich mit der Zeit umgehen. Denn nach drei Jahren in der Schweiz ist mir völlig klar: nicht so wie die Schweizer*innen.
In ihrer Strukturiertheit ähneln die Schweizer*innen ihren Uhren, die Ukrainer*innen hingegen Sanduhren.
Heute spielen gleich zwei Kalender eine wichtige Rolle in meinem Leben. Einer befindet sich auf meinem Handy, in den ich spontan alle Pläne eintrage, der andere liegt auf meinem Nachttisch, damit ich nach dem Aufstehen sofort weiss, was mich heute erwartet. Insgesamt würde ich mich selbst als pünktlich und strukturiert bezeichnen.
Gelernt habe ich das durch meine Arbeit im ukrainischen Fernsehen. Um ein Interview aufzuzeichnen, musste man mindestens zehn Minuten vor Drehbeginn am Treffpunkt sein. Denn gemeinsam mit dem Kameramann suchte man zuerst den geeigneten Aufnahmeort, richtete die Technik ein und stimmte sich selbst auf das Gespräch ein.
Auf den Gesprächspartner zu warten – das war in Ordnung. Umgekehrt – unvorstellbar! In der professionellen Gemeinschaft galt das als Respektlosigkeit gegenüber der Person, die man um das Interview gebeten hatte. Ausserdem konnte man durch Zuspätkommen die entscheidenden Bilder verpassen. Wer hingegen rechtzeitig am richtigen Ort war, konnte «das journalistische Glück beim Schopf packen».
In über drei Jahren Schweiz habe ich verstanden: Für Ukrainer*innen wirke ich übermässig strukturiert, für Schweizer*innen hingegen zu emotional und spontan. Allgemein – und das ist offensichtlich – sind Ukrainer*innen spontaner als Schweizer*innen. «Ein bisschen zu spät kommen» gilt als normal, vor allem in informellen Situationen. Bei uns gibt es sogar den Spruch: «Ukrainische Zeit ist wie Gummi – sie dehnt sich je nach Umständen.»
In der heutigen Realität hat die Zeit für Ukrainer*innen ohnehin eine besondere Bedeutung.
In gewisser Weise ist an dieser Haltung die sowjetische Kultur schuld. Früher funktionierten öffentlicher Verkehr und staatliche Dienste wie Polizei, Feuerwehr oder Notärzte unzuverlässig, sodass strikte Pünktlichkeit wenig Sinn hatte. Deshalb betrachten viele postsowjetische Kulturen Zeit flexibler: nicht die Minuten zählen, sondern die Tatsache, dass man sich trifft.
In ihrer Strukturiertheit ähneln die Schweizer*innen … ihren Schweizer Uhren. Die Ukrainer*innen hingegen – Sanduhren: das Rieseln verläuft gleichmässig, doch wenn man ein wenig schüttelt, rieselt es schneller. In der heutigen Realität hat die Zeit für Ukrainer*innen ohnehin eine besondere Bedeutung.
Wir planen nichts ein halbes Jahr im Voraus. Diejenigen, die in der Schweiz leben, wegen der Unsicherheit ihres Schutzstatus. Diejenigen, die in der Ukraine bleiben, wegen der ständigen Bombardierungen. So viele Menschen sind in ihren Betten durch den Einschlag russischer Raketen ums Leben gekommen, dass sich die Lebensplanung der Ukrainer*innen oft auf die biblische Idee reduziert: «Gibt Gott den Tag – gibt er auch das Brot.»
«Ein strukturiertes Leben bedeutet für mich zum Beispiel, den Urlaub ein Jahr im Voraus zu planen», sagt Elisabeth Knutti. Sie arbeitete ihr Leben lang als Lehrerin – zunächst in der Primarschule, später in der Sekundarstufe und zuletzt in Integrationsklassen. «Die Schüler*innen kamen, egal wie alt, ab und zu zu spät, aber ich selbst war immer um 8 Uhr in der Schule. Zu spät kommen kam für mich gar nicht in Frage!»
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Und das präge unsere Gewohnheiten und unser Image – nicht nur bei Arbeitgebern oder Kunden, sondern auch bei Freunden und Angehörigen, sagt die Psychotherapeutin Katharina Sahli. Insbesondere im professionellen Kontext: «Wenn meine Patienten beispielsweise zu spät kommen, bleibt ihnen weniger Zeit für das Gespräch mit mir, denn ich muss pünktlich beginnen und auch pünktlich aufhören.»
In Freundschaften sei das etwas anders. Fünf Minuten Verspätung – eine Kleinigkeit. Zehn Minuten – und sie beginnt sich zu sorgen. Doch ein Treffen, das eine Freundin kommentarlos einfach vergisst, beeinträchtigt ihr Vertrauen nachhaltig. Pünktlichkeit und Strukturiertheit sind also nicht nur eine Frage des Images, sondern auch der engen zwischenmenschlichen Beziehungen.
In der ukrainischen Kultur beginnen Hochzeiten, Geburtstage oder Familientreffen mit Verspätung, doch zu einer Beerdigung zu spät zu kommen, wäre ein grober Verstoss gegen den Anstand.
Dank genau dieser Eigenschaften funktioniert in der Schweiz seit 77 Jahren auch der «Club Zonta Bern», dem beide Frauen angehören. Zonta ist eine internationale Organisation, die sich weltweit und lokal für die Stellung der Frau einsetzt. Dort gibt es Strukturen, Statuten und Regeln, die mitgeholfen haben, dass der Verein schon so lange besteht. «Gleichzeitig ist Flexibilität wichtig, denn alles basiert auf Freiwilligkeit – und die ist nur möglich, wenn sie Freude macht. Unser Ziel ist unsere Inspiration: die Welt für Frauen und Mädchen besser zu machen. Denn wäre sie gerecht und gleichberechtigt, bräuchte es solche Organisationen gar nicht», sagen beide.
Übrigens: In der ukrainischen Kultur beginnen Hochzeiten, Geburtstage oder Familientreffen «mit Verspätung» – und das gilt als normal. Doch zu einer Beerdigung oder zu offiziellen Anlässen zu spät zu kommen, wäre ein grober Verstoss gegen den Anstand. Letztlich ist Zuspätkommen für Ukrainer*innen oft weniger Ausdruck von Verantwortungslosigkeit, sondern eher die Hoffnung, dass man auf uns wartet.
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Між кавою, круасанами та точністю: час очима українців і швейцарців
До війни у мене була маленька традиція. Разом із трьома подругами щосуботи о 10 ранку ми зустрічались в кав’ярні в центрі міста, де продавали дуже смачні круасани. Ця випічка змушувала забувати про дієту навіть найвимогливішу з нас. Смакувати капучіно та круассанами ми могли до обіду. Пропускати цей ритуал можна було лише за вагомих обставин. Запізнюватися теж! Втім, одного разу я чекала на подруг майже 40 хвилин. Розсердившись, я повідомила їм, що це колективне запізнення зіпсувало мені настрій і наступного разу я краще не прийду, аніж самотньо очікуватиму подружок у переповненому щасливими людьми закладі. Ця історія час від часу виринає у моїх спогадах, особливо коли я сумую за своїм “минулим життям”. Але водночас вона спонукає задуматись, як до часу відносяться українці. Бо за три роки в Швейцарії мені абсолютно очевидно: не зовсім так, як швейцарці.
Зараз у моєму житті вагоме місце займає календар. Один у телефоні, куди я спонтанно записую усі плани, інший – на тумбочці біля ліжка, щоб, вже прокинувшись, можна було пригадати, що чекає на мене сьогодні. Загалом, я відзначаю себе як пунктуальну та структуровану особистість. А навчила цього робота на українському телебаченні. Щоб записати інтерв’ю, на місце зустрічі треба приїхати хоча б за десять хвилин до початку зйомки. Адже разом із оператором журналіст повинен визначити локацію для зйомки, налаштувати техніку та себе на спілкування. Очікувати на співрозмовника можливо. Навпаки – неприпустимо. У професійній спільноті це вважається неповагою до людини, яку ти просив про інтерв’ю. Зрештою, запізнившись на зустріч, можна прогавити найважливіші кадри. І навпаки: опинившись вчасно у потрібному місці, спіймати “журналістську удачу за хвоста”.
За структурованістю швейцарці схожі… на свої швейцарські годинники.
За понад три роки життя у Швейцарії я зрозуміла: для українців я надмірно структурована, для швейцарців – занадто емоційна і спонтанна. Загалом, і це вже очевидно: українці більш спонтанні, ніж швейцарці. “Трохи запізнитись” вважається нормою, особливо в неформальних ситуаціях. У нас навіть жарт є: “український час — як гума: він розтягується залежно від обставин.” Якоюсь мірою у такому сприйнятті часу винна радянська культура. Згідно історичного досвіду, колись громадський транспорт і служби поліції, рятувальників чи медиків працювали непередбачувано, відтак жорстка пунктуальність не мала сенсу. Мабуть, тому у багатьох пострадянських культурах час розглядають більш гнучко: не хвилини вирішують, а сам факт зустрічі.
За структурованістю швейцарці схожі… на свої швейцарські годинники. Натомість українці – на пісочні: сиплеться рівно, але якщо трохи струснути, може піде швидше. У нинішніх реаліях час для українців загалом окреме поняття. Ми не плануємо нічого на півроку вперед. Ті, що живуть у Швейцарії, через непевність статусу захисту. Ті, що залишилися в Україні, через постійні бомбардування. Стільки людей загинуло у своїх ліжках від прильотів російських ракет, що планування завтрашнього дня українців зводиться до біблійної фрази: “Дасть Бог день – дасть і їжу”!
У нинішніх реаліях час для українців загалом окреме поняття.
“Структуроване життя для мене означає, до прикладу, планувати відпустку за рік наперед”, – зізнається Elisabeht Knutti. Elisabeht усе життя працювала вчителькою. Спочатку навчала дітей у початкових, потім – у старших, і наприкінці кар’єри – в інтеграційних класах. “Учні часто спізнювались, незалежно від віку, а я приходила на роботу о 8:00. Про запізнення не могло й бути мови!”, – додає Knutti.
І це формує наші звички та імідж в очах не лише роботодавців, клієнтів, а й рідних та близьких. “У професійному контексті — дуже сильно, – каже психотерапевтка Katharina Sahli. – Якщо мої пацієнти, до прикладу, запізнюються, то мають менше часу на спілкування зі мною, адже я мушу вчасно почати й вчасно закінчити”. У дружбі трохи інакше. 5-хвилинне запізнення для Sahli— це дрібниця. 10-хвилинне призводить до хвилювання за людину, на яку чекаєш. А одна зустріч, про яку подруга просто забула, взагалі вплинула на довіру до неї. Тож пунктуальність та структурованість важливі не лише з точки зору іміджу, а й тісних людських стосунків.
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Саме завдяки цим якостям у Швейцарії вже 77 років успішно працює клуб Zonta Bern, до якого належать обидві жінки. У ньому існують структури, статути та правила, які допомогли асоціації проіснувати так довго… «Водночас важливою є гнучкість, адже все базується на добровільності – а це можливо лише тоді, якщо це приносить радість. Наша мета є нашим натхненням: зробити світ кращим для жінок і дівчат. Адже якби він був справедливим і рівноправним, такі організації взагалі не були б потрібні», – кажуть обидві.
До речі, в українській культурі весілля, дні народження чи родинні зустрічі починають “із запізненням” і це сприймається як норма. Але на похорон чи на офіційні заходи прийти пізніше вважається грубим порушенням етикету. Зрештою, запізнення для українців дуже часто не про безвідповідальність, а про надію, що нас почекають.