Oh, du holde Jugend, du entschwindest. Oh, du satte Lebensmitte, du enteilst. Es naht das Alter. Vorerst in seiner milden Form. AHV-Frischlinge erklimmen die Berge. Rentner-Neulinge durchschwimmen die Flüsse. Jung-Seniorinnen pedalen die Pässe hoch.
Die Zeit wird kommen, die da heisst Hochalter, mit 80 oder mit 85. Ihr werdet das Morgenberghorn nur noch von unten anschauen. Ihr werdet in der Aare nicht mehr schwimmen, sondern dem Fluss entlang nur noch spazierengehen. Ihr werdet den Gurnigel nur noch mit dem Poschi bezwingen. Das Alter ist nichts für Feiglinge, das Hochalter ist nur für Helden. Vernehmt, welche Widerwärtigkeiten der Autor erlebt.
Bern ist eine Bergsteigerstadt. Wenn der Autor von der Aare zur Tramhaltestelle Kursaal hinaufsteigt, muss er 250 Treppenstufen überwinden. Gemessen sind das 45 Höhenmeter, gefühlt sind es Höhenkilometer. Alle reden vom Everest, niemand spricht von der Rabbentaltreppe.
Bern ist eine Sprinterinnenstadt. Von wegen langsame Bernerinnen und Berner. Äuä. Wenn der Autor vom Hauptbahnhof zur Neuengasse will, gibt ihm eine Lichtsignalanlage den Takt vor. Die Grünphase für Fussgänger und -gängerinnen dauert 8 Sekunden, die Strasse ist 14 Meter breit. Setzt man nicht pünktlich mit dem Grünstart zum Überqueren an, erfordert das ein Tempo von 7 Stundenkilometern. Kein Problem für Mujinga Kambundji, eine Hetzerei für den Autor.
Beipackzettel von Medikamenten. Der Autor nimmt als unverfängliches Beispiel Viagra. Früher, als es das Medikament noch nicht gab, konnte er die Informationen mit blossem Auge lesen. Jetzt braucht er eine Lupe. Schriftgrösse 3.5 Punkt. Journal B hat je nach Computer 10 bis 12 Punkt grosse Buchstaben. Das Medikament beeinflusst einen männlichen Körperteil. Die Mini-Schrumpf-Schrift spiegelt dessen altersbedingte Rückentwicklung. Und die Wirkung von Viagra? Bitte schön, das hier ist eine Kolumne über das Hochalter.
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Weitere Hürden für Hochaltrige: Bargeld ist immer seltener willkommen. Autoleasing, Konsumkredite, höhere Hypotheken sind nichts mehr für uns. Auch die Werbung übersieht uns. Anders die Jüngeren: AHV-Küken dürfen uns auf Plakaten, Inseraten und im Fernsehen anlächeln. Attraktive Jungseniorinnen negieren per Anti-Falten-Creme ihre Runzeln und präsentieren Golden-Age-Mode. Juniorrentner tschutten mit ihren Enkeln und schauen auf ihren Segeljachten verträumt in den Sonnenuntergang. Wir Älteren, die Generation Senior 2.0, wird bloss noch eingesetzt als Models für Inkontinenz-Schutzhosen und Haftcremen für Zahnprothesen.
So, jammern tut gut. Allerdings nicht als Monothema. Hört ja eh niemand zu, liest ja eh kein Schwein. Hallo, ist noch jemand auf der Seite?
P.S. Nachdem ich den Text von Kolumnistin Svitlana Prokopchuk übers Altern in der Ukraine gelesen habe, frage ich mich, ob ich hier nicht aufgeblasene Schweizer Beschwerden verkaufe. Dass ich Kleinstschrift nicht mehr lesen kann – was ist das schon gegen die ukrainischen Ängste, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben? Ich hab zum Glück nur meine Hier-und-Jetzt-Sörgeli.