Jugendliche nehmen das Bundeshaus ein

von Lea Schütz 16. November 2022

Während vier Tagen durften rund 200 Jugendliche aus der ganzen Schweiz in Bern Parlamentsluft schnuppern. Die Forderungen, die sie während der Jugendsession erarbeiteten, geben sie in den Nationalrat weiter.

Die Hauptstadt liegt noch etwas verschlafen da an diesem klirrend kalten Sonntagmorgen, doch im Nationalratssaal herrscht schon reges Treiben. Die aufgeregten Gespräche verstummen sofort, als am Rednerpult um Punkt 9 Uhr die  Glocke geläutet wird, die den Start im Plenum anzeigt. Auf den Stühlen im Saal nehmen jedoch nicht wie gewohnt die Parlamentsmitglieder ihren Platz ein, es sind 200 Jugendliche, denen heute dieser Raum gehört.

Die Letzten sortieren noch kurz ihre Unterlagen oder flüstern dem Nachbarn oder der Nachbarin etwas zu, während der  erste Redner nach vorne gebeten wird. Nur eine Minute Zeit hat er, um die Forderung, die er mit seiner Arbeitsgruppe in den vergangenen drei Tagen erarbeitet hat, vorzustellen.

Er präsentiert den Vorschlag, das Recycling von Verpackungen im Onlinehandel auszubauen und erläutert forsch und prägnant die wichtigsten Punkte, welche die anderen überzeugensollen, bei der Schlussabstimmung die Forderung anzunehmen. Simultan wird sein Beitrag in die anderen Landessprachen übersetzt und zusätzlich von einer jungen Frau in Gebärdensprache gedolmetscht.

Jugendliche fühlen sich ernst genommen

Für den Co-Leiter der Arbeitsgruppe Migration, Gian-Luca Looser, ist es klar: Die Jugendsession sei ein unglaublich
wichtiges Instrument für die Jugend, die so die Möglichkeit erhalte, sich demokratisch zu engagieren. Viele
der Forderungen, die während der vergangenen Jugendsessionen erarbeitet und eingereicht worden seien, seien heute Realität.

«Die Eidgenössische Jugendsession hat somit einen effektiven und greifbaren Einfluss auf die nationale
Politik.» Giulia Ambach, die mit ihm die Arbeitsgruppe zum Thema Migration leitet, unterstreicht, wie wichtig es sei, dass sich die Jugendlichen ernst genommen fühlten. «Es ist, als würde die Jugendsession den Jugendlichen sagen: Wir wollen hören, was ihr zu sagen habt!»

Es ist toll zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Jugendlichen sich hier bemühen, einen Beitrag zu leisten.

«Es ist wichtig, zu ‹tüpflischisse›», erinnert Milena Keiser, Leiterin der Gruppe Biodiversität, die Jugendlichen im Sitzungszimmer. Ihr ist es wichtig, ihre Arbeitsgruppe zu ermutigen, gross zu denken und auch Anliegen in die Forderungen einzubauen, die auf Kritik stossen könnten. Um eine mehrheitsfähige Forderung auszuarbeiten, bedarf es nicht nur sprachlicher Geschicktheit, sondern auch Genauigkeit und Einbezug möglichst aller Perspektiven. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig die Arbeitsstrategien sind, die die Jugendlichen während dieser Tage erforschen.

Konsens finden will gelernt sein

Auch in den anderen Arbeitsgruppen geht es oft nicht nur um den Inhalt der Diskussionen, sondern auch um Gesprächskultur, Fairness und die Art, wie ein Konsens gefunden werden kann. Gerade vor dem Besuch der Parlamentsmitglieder werden die Jugendlichen noch einmal daran erinnert, dass während der Voten nicht gelacht werden darf und der gegenseitige Respekt essenziell ist.

Jede Gruppe erhält im Verlauf des Freitags Besuch von etablierten Politikerinnen und Politikern, welche die Fragen
der Jugendlichen beantworten und ihnen helfen, ihre Forderung auszuformulieren und zu verbessern. Nationalrätin
Maya Graf (Grüne), die die Gruppe Biodiversität besucht, ist begeistert von der Motivation, welche die Jugendlichen
mitbringen. «Es ist toll zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Jugendlichen sich hier bemühen, einen Beitrag zu leisten. Es macht Spass, ihnen zuzuhören », sagt sie.

Politisches Interesse wecken

Um 6 Uhr sonntagabends ist die 31. Eidgenössische Jugendsession auch schon wieder Geschichte: Die Jugendlichen
verlassen strahlend das Bundeshaus, umarmen einander, verabschieden sich und treten in verschiedene Regionen der
Schweiz ihren Heimweg an. Die Erschöpfung der vergangenen vier Tage steht ihnen ins Gesicht geschrieben, ebenso die
Erfüllung, welche diese intensive Zeit mit sich gebracht hat.

Von der konzentrierten Arbeit in den Gruppen über die Party am Freitagabend, das Politfestival am Samstag, an dem sie bei verschiedenen Workshops und Posten neue Möglichkeiten der politischen Partizipation kennenlernen durften, bis hin zum Plenum, dass sich über Samstag und Sonntag erstreckte: Das Programm war abwechslungsreich und spannend.

Für junge Menschen kann das Projekt idealerweise das Sprungbrett für ein vertieftes politisches Interesse sein.

Kaum eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer kann sich entscheiden, was wohl ihr oder sein persönliches Highlight war. «Einfach alles», meint Carla Anabel aus Zürich mit einem Lächeln auf den Lippen. So scheint es den meisten zu gehen, die Eidgenössische Jugendsession dieses Jahres zeigt sich als voller Erfolg: Von zwölf Forderungen wurden schliesslich neun angenommen und Nationalratspräsidentin Irène Kählin übergeben. Sie wird die Anliegen in das nationale Parlament einbringen.

Nicht alle Jugendlichen, die dieses Wochenende nationale Politikluft schnuppern durften, sind auch sonst politisch aktiv. Wenn auch einige schon politischen Jungparteien oder Vereinen angehören, sind die meisten doch das erste Mal in einer solchen Form aktiv dabei. Für junge Menschen könne so ein Projekt idealerweise das Sprungbrett für ein vertieftes politisches Interesse sein, stellt Giulia Ambach fest. Die Eidgenössische Jugendsession als ein einzigartiges
Projekt: Junge Politik, die an diesem Wochenende auf ganz grosser Bühne Platz finden darf.

Dieser Text erschien zuerst in der Zeitung «Berner Landbote».