«Eigentlich kann es mir ziemlich egal sein, was in der Politik geschieht», sagt Jascha Ludin. Doch den Entscheidungen tatenlos zuzusehen und deren Folgen unkommentiert geschehen zu lassen, das will ihm sein Gewissen nicht durchgehen lassen. Mit 15 Jahren ist Jascha Ludin einer der jüngsten Teilnehmer der diesjährigen Jugendsession. Doch Politik ist für den Stadtberner alles andere als Neuland.
Bereits in der 3. Klasse wurde sein Interesse für Politik geweckt, ein ungewöhnlich junges Alter, wie er selbst zugeben muss. «Ich habe da oft die ‚Arena‘ geschaut, mittlerweile tue ich das aber nicht mehr», sagt Ludin. Zu langweilig erscheinen ihm die Diskussionen, die dort geführt werden.
Es ist seine Vorliebe für gute Diskussionen, die ihn an die Jugendsession gebracht hat: «Hier findet man viele verschiedene Leute, darunter auch motivierte Gegner, mit denen sich schnell eine interessante Diskussion anstossen lässt», sagt Ludin. Und genau daran mangle es ihm zurzeit etwas in seinem Umfeld.
Mehrheit ist anderer Meinung
Auch am Gymnasium Köniz-Lerbermatt, wo Jascha Ludin die Tertia besucht, besteht nicht allzu viel Interesse an politischen Auseinandersetzungen. Und so ist er guter Dinge, neue Kollegen, aber auch Gegner zu treffen und sich seiner Leidenschaft des verbalen Schlagabtauschs hinzugeben.
Interesse zeigt der Jungpolitiker an der Chancengleichheit, aber auch an wirtschaftlichen Themen. An der Jugendsession war er Teil der Gruppe, die sich mit der Dienst- und Wehrpflicht auseinandergesetzt hatten. «Bei diesem Thema besteht grosser Handlungsbedarf», sagt Ludin. Es fehle der breite öffentliche Dialog.
Selber hat er sich bereits für die Dienstpflicht entschieden. Eigentlich sähe er diese lieber abgeschafft, doch die Mehrheit sei bekanntlich anderer Meinung gewesen. Darüber befinden durften diesen Herbst die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger, jedoch nicht die später davon betroffenen Jugendlichen. Dieser Umstand wurde während der Gruppenarbeitsphase oft angesprochen. Ludin bleibt somit einzig der Zivildienst übrig, welchen er anstelle des Militärs absolvieren werde.
Dienstpflicht auch für Frauen
Heftig wurde darüber debattiert, ob die Armeewaffe nach Hause oder ins Zeughaus gehört. Auch Jascha Ludin meldete sich hierzu zu Wort: «Die Schweiz hat eine im weltweiten Vergleich äusserst hohe Suizidrate.» Es sei daher fahrlässig, wenn viele die Waffe griffbereit hätten und nicht genügend vor Missbrauch geschützt würde. Schliesslich sei es auch ein Risiko für die Familie, da der Vater in einer Krise zur Waffe greifen und diese damit bedrohen könne.
Im Rahmen der Gruppenarbeitsphase, die zur Ausarbeitung eines konkreten Vorschlags für das Plenum im Nationalratssaal dient, wurden auch noch andere Aspekte der Dienst- und Wehrpflicht diskutiert. Vor allem die Gleichstellung stand dabei im Fokus: Sollen Frauen ebenso zu einem Dienst verpflichtet werden und unter welchen Umständen? Oder soll die Dienstpflicht für beide Geschlechter gleichermassen locker gehandhabt werden, wie dies heute nur die Frauen kennen? Die Meinungen hierzu gingen weit auseinander.
Forderungen der Jugendsession haben es schwer
Jascha Ludin ist der Meinung, dass alle einen sinnvollen gemeinnützigen Dienst machen sollten, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben: «Alle sollen sich für ein, zwei Monate in den Dienst der Allgemeinheit stellen, auch Frauen.» Dabei solle der Einsatzort und die Tätigkeit frei gewählt werden können. Die Forderung von Jascha Ludin stiess in der Arbeitsgruppe jedoch auf wenig Gegenliebe.
Gerade für Minderjährige stellt die Jugendsession ein wichtiges Mittel zur Mitsprache dar und wird auch als solches wahrgenommen und genutzt. Jascha Ludin: «Als 15-Jähriger kann ich über die Jugendsession am meisten verändern.» Auch wenn während des letzten Jahres die Forderungen dieser Sessionen bei Politikern bislang auf wenig Gehör gestossen sind, der mediale Erfolg und die engagierte Arbeit des Jugendsessionforums nach dem eigentlichen Anlass lassen aufhorchen.
Konsens vertreten
Nach ermahnenden Worten von Ueli Maurer am Samstag bot sich Jascha Ludin und seiner Gruppe die Gelegenheit, sich auf das Sonntagsplenum vorzubereiten und Änderungsanträge einzugeben. Dieser Möglichkeit haben sich die Mitglieder der Gruppe Dienst- und Wehrpflicht bedient und einen Änderungsantrag zur Petition der Gruppe «Répartition des richesses» eingegeben. Damit forderten Ludin und seine Kameraden, dass nicht nur schweizerische, sondern auch ausländische Unternehmen Gesamtarbeitsverträge einführen müssen, wenn sie in der Schweiz Leistungen erbringen.
Nach einem langen Vormittag kam es dann zu der entscheidenden Vorlage am späteren Nachmittag des Sonntags. Es musste die gemeinsam erarbeitete Petition vertreten werden. Hinter einem gefundenen Konsens zu stehen, das ist eine Kompetenz, die Jascha Ludin dazugelernt hat: «Bislang hatte ich jeweils für oder gegen eine Angelegenheit argumentiert.» Dieses Denkmuster habe er an der Jugendsession überwinden müssen.
Antrag schafft Hürde bei Abstimmung
Scheinbar ist ihm dies gelungen, wie man der für seine Gruppe erfolgreichen Abstimmung entnehmen kann. Drei Viertel des Saals stimmten der Petition zu, die die Gleichstellung des Militär- und des Zivildienstes fordert. Durch eine gleiche Dienstzeit, der freien Wahlmöglichkeit und dem so entstehenden Wettbewerb zwischen den beiden Diensten soll das Militär attraktiver werden und der Zivildienst als nunmehr gleichwertige Alternative auch für Frauen zu einer Möglichkeit avancieren, einen freiwilligen Dienst zu leisten.
Um einige Erfahrungen reicher hat Jascha Ludin viele Gleichgesinnte kennengelernt. Unter anderem durch sein Engagement in der Arbeitsgruppe ist eine Petition entstanden, die im Plenum als mehrheitsfähige Idee bestätigt wurde. Dies sei jedoch nicht nur allein sein Verdienst: «Alle haben dazu beigetragen, dass unser Vorschlag am Ende so deutlich durchgekommen ist.» Mit seiner Arbeit habe er aber durchaus «einiges in Gang gesetzt». Dass er dabei auch seine Meinung kundtun und diverse spannende Diskussionen führen durfte, rundet sein Erlebnis an der diesjährigen Jugendsession ab.