«Ist es bescheiden, zu sagen, dass der Berner Film internationale Anerkennung gewinnen wird?»

von Maja Hornik 6. April 2013

Die Berner Filmbranche sei dynamischer denn je, lässt der Verein Bern für den Film in seiner Halbzeitbilanz verlauten und präzisiert: 150 bis 200 Personen sind hauptberuflich in der Filmbranche in Bern tätig. Der Berner Jan Mühlethaler ist einer davon. Im Kulturinterview wirft der Regisseur von «Graatzug» und «Hardnine» seinen kritischen Blick für einmal nicht auf das, was vor der Kamera geschieht, sondern auf das Dahinter.

Maja Hornik: Jan Mühlethaler, du bist seit 15 Jahren als Regisseur im Filmbusiness und feierst dieses Jahr Jubiläum. Wie hat sich die Berner Filmszene in den letzten 15 Jahren aus deiner Sicht verändert?
Jan Mühlethaler:

Nun ja, ich muss dazu sagen, dass mir die Szene nur langsam bewusst wurde. Ich war 16, als ich mit Skatevideos anfing, erst ein paar Jahre später, als mich die Filmfaszination bereits voll und ganz befallen hatte, an der Universität Basel Neue Medien studierte und bei Luki Frieden Abendkurse besuchte, begann ich mich für so etwas wie die Berner Filmszene zu interessieren.

Gibt es eine auffällige Entwicklung?

Soweit ich es beurteilen kann, ist die Berner Filmszene seit meiner Rückkehr aus Berlin 2008 gewachsen, erstarkt und zeichnet sich vor allem durch eine sehr ausgeprägte und gelebte Kultur aus. Das zeigen allein schon Organisationen wie der Verein Bern für den Film.

Der Verein Bern für den Film stellt in seinem Pressecommuniqué von Ende März fest, die Berner Filmszene sei dynamischer geworden, Aufbruchstimmung liege in der Luft.

Ja, definitiv!

Wie macht sich das für dich bemerkbar?

Ich merke es daran, dass ich die Berner Filmszene wirklich als solche wahrnehme. Es gibt einerseits den Verein, der sich für unsere Angelegenheiten einsetzt, man trifft sich und tauscht sich an den «Film am Dienstag»-Abenden allmonatlich aus und sieht sich auch immer wieder an Premieren. Und vor allem herrscht eine gute Stimmung, man ist interessiert am Schaffen der Anderen.

«Vor allem herrscht eine gute Stimmung»

Jan Mühlethaler

Einige Berner Filmwerke haben es gar auf internationale Filmfestivals geschafft (Link). Gibt es aktuell Berner Filmemacher oder Filme, die in Deinen Augen als Exempel für die Berner Aufbruchstimmung in Sachen Film stehen?

Ein Zeichen für die Aufbruchstimmung ist sicher die neue Generation von Filmschaffenden. Nehmen wir da etwa die Jungs von Volta («Buebe göz Tanz»), Hidden Frame («Salty Times», «Handschlag»), Lomotion («Work Hard, Play Hard», «Traumfrau»), Ton und Bild («Image Problem», «Zum Beispiel Suberg») und viele andere.

Lässt sich der Berner Film stilistisch abgrenzen?

Dagegen wehre ich mich. Denn solche Stilisierungen sind immer einengend und oberflächlich. Vielleicht kann man in zehn Jahren rückblickend von Tendenzen sprechen, geplant sollten sie aber sicher nicht sein.

Du hast dein Studium abgebrochen und einen Quereinstieg gewagt, zunächst in Berlin bei einer Filmproduktionsfirma, später dann in Bern, als Selbstständiger.

Für mich fühlte es sich nie wie einen Quereinstieg an, sondern eher so, als würde ich plötzlich Krücken ablegen und loslaufen. Ich habe ja bereits während dem Studium mehr Zeit mit meinen eigenen Projekten verbracht als in Hörsälen.

Dennoch, der Schritt, sich mehr oder weniger direkt und in jungen Jahren selbstständig zu machen, ist mutig. Hattest du keinerlei Angst?

Doch, aber daran dachte ich damals nicht. Rückblickend sind sowohl die Projekte, als auch der Schritt in die Selbstständigkeit aus einer inneren Anziehung zustande gekommen, die – einmal gezündet – von mir nicht mehr gross hinterfragt wurde. Wenn mich was packt, dann hopp!

«Wenn mich was packt, dann hopp!»

Jan Mühlethaler

Kannst du dich an den Moment erinnern, an dem es das erste Mal gezündet und hopp gemacht hat?

Ende 1997 sah ich bei einem Schulfreund ein Skatevideo. Danach wusste ich: ich will Skateboard fahren und ich will es auf Video festhalten. Spätestens 2000 träumte ich dann auch davon, irgend einmal einen Kino-Spielfilm zu realisieren.

Im ersten Moment denkt man sicherlich nicht ans Budget, irgendwann aber steht man vor der Geldfrage. Inwieweit wird einem in Bern da unter die Arme gegriffen?

Also die Kostenfrage schwingt besonders beim Film immer mit. Denn man braucht immer ein Team und Equipment. In Bern sind wir mit einer eigenen kantonalen und städtischen Filmförderung zum Glück gut bedient. Für grössere Projekte kommt noch das BAK als Möglichkeit dazu. Und die vielen Stiftungen.

Bern für den Film arbeitet seit 2010 an einer Optimierung der Fördermassnahmen, sprich Erhöhung der Förderkredite. Sind erste Veränderungen aus Sicht der Filmschaffenden bereits zu spüren?

Der Verein begleitet die verbesserte Filmförderung während der Pilotphase. Diese dauert noch bis Ende Jahr. Und da kommen wir natürlich direkt in den Genuss. Das Verhältnis des Kredits und der eingereichten Projekte scheint mir in einem vergleichsweise guten Verhältnis zu sein.

Kann man also sagen, die Subventionslage in Bern sei top?

Sie ist sicher besser als früher und besser als in anderen Städten. Optimierungspotenzial gibt es aber immer und überall.

«Optimierungs- potenzial gibt es aber immer und überall»

Jan Mühlethaler

Zum Beispiel?

Ach, es ist halt ein schwieriges Thema. Film ist irgendwo zwischen Kunst und Kommerz. Verglichen mit anderen, etablierteren Kunstsparten ist die Subventionierung beim Film ja marginal. Ich wünsche mir ein Umdenken. Dass man nicht bei jedem Spielfilm fragt, wie viel Steuergeld pro Eintritt ausgegeben wurde, sondern dass Filmschaffende als Teil unserer Kultur anerkannt werden. Da muss sich dann auch nicht alles auszahlen. Filme prägen schliesslich die Kultur und die Aussenansicht eines Landes.

Filme mit internationalem Ruf, gibt es das beim Schweizer Film?

Sicher. Vor allem gibt es Filme mit internationalem Format, etwa «Giochi d’estate», «Home» oder nun auch «Sister».

Nur wenige dieses Formats werden aber in Bern produziert. Was fehlt uns?

Schwierig zu sagen, aber ich denke, das wird sich in Zukunft ändern. Es gibt viele junge Talente in Bern, die hungrig sind. Die bereits genannten Werke der neuen Generation lassen meiner Meinung aufhorchen. Davon profitiert die ganze Berner Szene, damit dieser Berner Bann endlich gebrochen wird.

Der Berner Bann?

Der Berner Bär strotzt ja nicht unbedingt vor Selbstvertrauen und Risikofreude, seit ihn Napoleon entführte.

Da ist sie also wieder … die Berner Bescheidenheit.

Ist es bescheiden, zu sagen, dass der Berner Film in Zukunft international Anerkennung gewinnen wird?

Der Bann wird gebrochen. Kann man demnach also wirklich von einer Neu-Formierung der Berner Filmszene sprechen?

Ich zumindest erlebe es so. Und das nicht nur im Filmhaus. Auch an den vielen Outputs sowie an den Premieren wird das sichtbar.

Wie steht es denn sonst um den Film-Standort Bern? Wir haben zwar ein Filmhaus, aber keine Ausbildungsmöglichkeiten in Sachen Film.

Zürich, Luzern und Lausanne sind da ja bereits etabliert. An was es in den letzten Jahren aber definitiv in Bern fehlte, waren besonders Produktionsfirmen/Produzenten, welche Berner Spielfilme realisieren wollen und können. Aber auch dort tut sich was. Junge Berner trauen sich auch da immer mehr.

War es für dich nie eine Überlegung, den Standort Bern zu verlassen?

Damals, bevor ich aus Berlin zurück nach Bern kam, war es schon ein Abwägen: soll ich es in Bern oder Berlin versuchen? Ich erlebe Bern sehr selten als das oberflächliche, mittelalterliche Provinznest, wo die Menschen auf der Rolltreppe stehen anstatt zu gehen, wo jede kleine städtebauliche Erneuerung jahrelang diskutiert und verharmlost wird. Meist bewege ich mich in Bern in einer Art Subkultur, die reich an interessanten Menschen mit Tatendrang ist. Und mittlerweile gibt es sogar tolle Orte, wo man gut Essen oder in den Ausgang gehen kann. Bern und seine Subkultur inspirieren mich.

«Meist bewege ich mich in Bern in einer Art Subkultur, die reich an interessanten Menschen mit Tatendrang ist»

Jan Mühlethaler

Machen wir eine kurze Retrospektive: 15 Jahre roja. Fangen wir mit deinem besten Dreherlebnis an?

Ha, da gibt es sehr viele. Aber am eindrücklichsten war vielleicht der eine Drehtag von «Graatzug»: Wir drehten nachts im Marzili. Das Männerbädli war voll mit Lampen und anderem Equipment wie Kranen sowie Crewmitgliedern. Während einer Umbaupause lief ich ans andere Ende zum Catering, um mir einen Kaffee zu machen. Wie ich die Szenerie von da aus beobachtete, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wäre ich vor ein paar Jahren zufälligerweise hier vorbeigegangen, ich hätte mir gewünscht so etwas selber mal erleben zu dürfen. Mit einem Grinsen ging ich dann zurück aufs Set und gab Regieanweisungen.

Dein schlimmstes Dreherlebnis?

Als ich den ersten Kurzfilm mit Dialogen und richtigen Schauspielern realisierte ging ungefähr alles, was im Verlauf eines Drehs schief gehen kann, tatsächlich schief. Es war ein richtiger Test. Glücklicherweise nahm ich die Hürden und «Murphys Hotel» wurde fertig und feierte Premiere. Der Name des Films ist übrigens auch an die pannenlastige Entstehung angelehnt.

Das verrückteste, das dir jemals an einem Set passiert oder begegnet ist?

Der ganze Dreh zu Green Ethiopia mit Luki Frieden in Äthiopien für das Hilfswerk war verrückt und abenteuerlich. Anderes Land, andere Kultur.

Dein Repertoire ist vielseitig: «Hardnine» als Dokumentarfilm, insgesamt 20 Musikvideos, «Graatzug» als Tanzfilm, Werbefilme, künstlerische Interpretationen wie «Horse». Fehlt nur noch der Spielfilm. Es wird gemunkelt.

Es wird seit einem Jahr geschrieben, nicht gemunkelt!

Also raus mit der Sprache, gibt es schon mehr zu erzählen?

Ich schreibe seit gut einem Jahr am Drehbuch zu meinem ersten Kino-Spielfilm, einem Kammerspiel. Es geht um zwei Menschen, es geht um Schwierigkeit sich selbst zu finden, seinen Platz in der Gesellschaft auszuloten – und um viel Musik. Geplant ist, dass das Drehbuch bis Ende Jahr steht und ich zusammen mit dem Berner Produzenten Stefan Eichenberger (Hidden Frame) die Finanzierung und Realisierung in Angriff nehmen kann.

Wagen wir uns zum Schluss in die Zukunft. Was ist deine heimliche Zukunftsutopie als Berner Filmemacher?

Dass gute Schweizer Spielfilme in gleichem Masse im Kino geschaut werden, wie die ausländischen Produktionen. Und dass man die Synchronisation der Filme in hiesigen Kinos aufgibt. Ich habe aber auch eine Vision, Utopie klingt nämlich so nach Unerreichbarem.

Lass hören…

Dass ich eines Tages mein liebstes Stück Schweizer Literatur auf die grosse Leinwand bringe.