Kunst und Kultur sind in Bern keine Selbstverständlichkeit schrieb Christian Pauli 2011 im Klartext der Berner Kulturagenda. Knapp zwei Jahre später scheint die Situation in der Berner Kunstlandschaft unverändert.
Ihr seid alle im Kreativ- oder Gestaltungsbereich und als Ausstellungsmacher tätig. Wie steht es eurer Meinung um die Berner Kunst-Szene?
Vinzenz Meyner (V.M.):
Es gibt meiner Meinung nach eine Kunst-Szene in Bern, aber eine sehr verschachtelte.
Wie ist das gemeint?
V. M.:
In Bern trifft man nie oder nur selten immer die gleichen Leute an verschiedenen Kunstevents. Hingegen in Zürich, kann man sich sicher sein, dass die Kunstszene bei so ziemlich jeder Kunstveranstaltung geschlossen auftritt. Ich als Kunstinteressierter und Ausstellungsveranstalter gehe zum Beispiel auch nicht an jede Vernissage, an jedes Podium oder Werkgespräch, das in Bern statt findet.
Es gibt also nicht die Berner Kulturszene, sondern mehrere Szenen?
V. M.:
Ich stelle mir die Frage selbst auch: kann man von einer ganzen Kunst-Szene oder von vielen kleinen Szenen reden. Wie siehst du das Ramon?
Ramon Feller (R. F.):
Meiner Meinung nach kann man definitiv von einer ganzen Szene reden. Aber es gibt halt verschiedene Anknüpfungspunkte für verschiedene Positionen. Die Berner Kunst-Szene ist ziemlich atomisiert. Genau dort setzen Projekte wie das Kollektiv-Bern an, welches versucht, die Off-Events der Kunstszene mehr zu verknüpfen, eine gemeinsame Szene zu generieren.
Das wäre dann aber eine ganze Off-Szene.
R. F.:
Natürlich wünscht sich die Off-Szene eine stärkere Kooperation mit grösseren Kulturinstitutionen. Aber die Kunsthalle Bern etwa, die ist für uns ein Ufo. Dort treffen sich viele Leute, die in der Off-Szene gar nicht verortbar sind. An den Veranstaltungen von Kollektiv-Bern aber sind überweigend Kulturschaffende anwesend. Die allein schon dadurch ein Gesicht in Bern haben.
Kunst in Bern spielt sich also zum einen in der institutionalisierten und zum anderen in der Off-Szene ab?
R. F.:
Genau. Mit Überschneidungen natürlich.
Rémy Pia (R. P.):
Und da setzen wir mit dem Milieu Galerie/Artspace an. Eine Kunst-Szene bildet sich grundsätzlich mal dadurch, dass Menschen, die an Kunst interessiert sind, zusammen kommen.
«Bei uns soll sich nicht die HKB treffen. Das hätte ja keine gesellschaftliche Relevanz.»
Rémy Pia, Galeriebetreiber
Sie müssen aber überhaupt nicht einen Kreativ-Hintergrund haben. Bei uns soll sich nicht die HKB treffen. Das hätte ja keine gesellschaftliche Relevanz. In der Off-Szene ist es meiner Meinung nach aber so, dass sie mehrheitlich oder hauptsächlich von Künstlern frequentiert wird. Wir wollen einen Zugang für alle schaffen, für alle Kulturschaffenden und darüber hinaus.
Das steht aber im Widerspruch mit dem, was ihr kommuniziert, nämlich dass «sich das Programm an bildende Künstler und Kunsthistoriker richtet».
V. M.:
Das stimmt so nicht ganz. Wir schreiben, dass es «… zum Einen wichtig ist, dass sich das Programm an bildende Künstler und Kunsthistoriker richtet.» Das ist einer unserer Ansprüche. Unser Publikum soll nicht aus nur kreativ Schaffenden bestehen. Wir wollen Kunst vermitteln, auch für Diejenigen, die sich im Alltag nur selten mit Kunst auseinandersetzen, durchaus aber offen dafür sind.
Euer Programm unterscheidet sich dennoch stark von anderen Einrichtungen, wie eben der Berner Kunsthalle? Was also ist euer Publikum?
R. P.:
Wir versuchen verschiedene Disziplinen unter ein Dach zu bringen, etwa Lesungen oder Musikperformances. So gelingt uns die Durchmischung unserer Besucher auch leichter und besser. Aber auch unsere Vernissagen sind immer gut besucht, während im Rahmen der normalen Öffnungszeiten am Samstagnachmittag werden wir eher punktuell Besucht.
R. F.:
Das entspricht meiner Ansicht nach sowieso dem aktuellen Trend in der Kunst: man kann es auch ganz plump den Vernissagen-Tourismus nennen. Das liegt wohl ein wenig daran, dass es in Bern keinen permanenten Ort gibt, an dem sich Kunstschaffende und Kunstinteressierte auch spontan begegnen und austauschen können, und zwar dann, wann sie wollen. Das schwächt die sogenannte Szene oder lässt sie erst gar nicht entstehen.
Es wird immer über den fehlenden Freiraum in Bern geklagt, die Frage nach dem interessierten Publikum aber stellt niemand. Gibt es überhaupt genügend Interessierte für zeitgenössische Kunst?
R. P.:
Also ich kenne in unserer Generation nicht viele Leute, bei denen ein permanentes Interesse an der Kunst herrscht und ich spreche da nicht von denen, die im Kreativbereich arbeiten. Zeitgenössische Kunst scheint mir nichts für Berner Büro-Jobber zu sein.
Eine kreativer Job ist also Bedingung dafür, ein Kunstinteresse überhaupt erst entwickeln zu können.
R. P.:
Da liegt das Problem. Die Kunst-Szene ist grundsätzlich offen für alle, unabhängig vom beruflichen Hintergrund. Aber andersherum funktioniert es noch nicht. Ich finde die zeitgenössische Kunst sollte genau der Ort sein, wo sich Menschen mit verschiedenem Hintergrund begegnen und austauschen können.
V. M.:
Solche Leute hat es doch in Bern.
R. P.:
Nicht in unserer Generation. Und auch die Alteingesessenen nostalgieren von den gloriosen alten Zeiten, die 40 Jahre her sind, ich aber fokussiere auf das Jetzt und die Zukunft. Kunst lebt nicht in der Vergangenheit.
«Die Alteingesessenen nostalgieren von den gloriosen alten Zeiten, die 40 Jahre her sind»
Rémy Pia, Galeriebetreiber
R. F.:
Und dort ist es eben an Institutionen wie der Kunsthalle, eine Brücke zu schlagen – das Kunstmuseum hingegen brauchen wir hier gar nicht erst zu erwähnen.
R. P.:
Das Kunstmuseum hat keine Relevanz für uns. Es interessiert uns programmatisch einfach nicht.
R. F.:
Immerhin kriegt Die Kunsthalle mit Fabrice Stroun endlich frischen Wind. Er probiert den Kontakt zu jungen Berner Künstlern wieder stärker zu knüpfen. Genau das hat bis dato gefehlt, dass sich die Kunsthalle wieder vermehrt in Bern positioniert und das Kunsthallen-Publikum dadurch auch wieder stärker einen Einblick in das Berner Kunstschaffen bekommt. Das schafft man nicht mit einer Cantonale Bern. Das ist eine schöne Idee, aber ich sehne mich nach thematischen Ausstellungen mit explizit Berner Künstlern. Und Ich bin der catchy names wie Tobias Madison ein bisschen müde.
Ihr fordert mehr Mut der institutionalisierten Einrichtungen, auch mal das kleine Bern in den Ausstellungsmittelpunkt zu rücken.
R. F.:
Der Übergang von Berner Kunstinstitutionen zur Off-Szene muss fliessender werden, um das Berner Kunstschaffen geballter präsentieren zu können und uns Künstlern eine Plattform zu schaffen. Im Off kann man sich ausprobieren, experimentieren. Und dann sollte man einen Schritt weitergehen dürfen, seine Kunst einer grösseren Relevanz und konzentrierteren Ausstellungssituation aussetzen. Das Milieu oder Galerie Beatrice Brunner bieten bereits jetzt als eine der wenigen in Bern, Raum für diesen Schritt. Die Kunsthalle sollte unbedingt nachziehen.
Das Milieu positioniert sich als unabhängigen Kunstraum, unabhängig aber nicht im Sinne von «Off»?
V. M.:
Ich wehre mich gegen diesen Definitionsdruck. Off-Space, Galerie – der Fakt, dass man die im Milieu ausgestellte Kunst kaufen kann, positioniert unsere Tätigkeit natürlich sehr in die Nähe einer Galerie. Ansonsten sind wir aber einfach ein Raum, den wir nach unserem Credo bespielen. Unabhängig sind wir deshalb, weil niemand ausser uns und unseren Künstlern Einfluss auf diesen Raum hat. Weder der Kunstmarkt, noch Geldgeber oder Publikum.
R. F.:
Grundsätzlich geht es ja um eine Idee, die man realisiert. Die Etiketten werden aber dann notwendig, wenn es darum geht potenzielle Geldgeber für sich und seine Idee zu gewinnen.
Hand aufs Herz, wenn wir schon von potenziellen Geldgebern und Kunsträumen sprechen. Wie ist die Lage in Bern für Kunstschaffende und Veranstaltende?
R. F.:
Ich empfand die Situation direkt nach meinem Abschluss als sehr deprimierend. Für mich ist von Anfang an ganz klar gewesen, dass Bern nicht das Pflaster ist, wo man als Künstler Fuss fassen kann, Zürich oder Basel bieten sich da eher an. Das ist auch einer der Gründe, warum viele junge Kulturschaffende – wie auch ich – selber hier aktiv werden.
Man nehme das Transform, das Rast oder die Waschküche – einige junge Projekte, die von sich Reden gemacht haben.
R. F.:
Das ist definitiv eine Qualität von Bern und hat auch über die Stadtgrenzen ziemlich Wellen geschlagen. Wenn ich mit Künstlern aus Zürich oder Basel über Bern spreche, dann heisst es immer: ah ja, die Berner mit den vielen Off-Räumen und den Nomaden-Projekten. Das muss man noch weiter ausbauen. Es darf aber nicht vergessen gehen, dass es ganz klar auch die festen Kulturräume in Bern braucht.
V. M.:
Das Problem ist tatsächlich der Support.
Der politische?
V. M.:
Ich spreche da eher von anderen Einflussnehmern, vielleicht zieht die Politik dann mit.
Die da wären.
V. M.:
Zum Beispiel die Presse. Die Berner Presse versäumt es ganz klar, der Kunst mehr Platz in ihrer Berichterstattung einzuräumen. In Zürich wird viel mehr über Ausstellungen geschrieben.
«Die Berner Presse versäumt es, der Kunst mehr Platz in ihrer Berichterstattung einzuräumen.»
Vinzenz Meyner, Galeriebetreiber
Und ich finde, wenn es schon derart viele junge Projekte in Bern gibt, sollte man denen doch auch eine Stimme geben oder zumindest darüber informieren. Ich habe manchmal richtig Angst vor dem Frustpotenzial.
Frustpotenzial?
V. M.:
Ja. Man macht und macht und macht, aber die Wahrnehmung ist nicht da. Das Norient Festival (Link: http://norient.com) oder das Shnit Festival (Link: http://ch.shnit.org/de/) – vieles wird gepusht, die zeitgenössische Kunst nicht. Das nervt. Wenn sich das nicht ändert, bleibt Bern, wie Bern ist.
R. F.:
Das Problem greift schweizweit: So etwas wie Kunstjournalismus existiert in der Schweiz praktisch nicht. In seltenen Fällen wird in der Neuen Zürcher Zeitung über eine Ausstellung berichtet. Dann gibt es noch einige wenige Fachzeitschriften, aber auch die interessieren sich meist doch nur für die grossen Kunstinstitutionen.
R. P.:
Ich habe mal mit Journalisten über das Problem gesprochen und vernommen dass es Weisungen gibt keine Ausstellungsbesprechungen zu machen.
Mit welchem Argument?
R. P.:
Weil es kein Budget gibt.
V. M.:
Das sagen sie im Bereich der Pop-Musik auch. Andere Dinge sind immer wichtiger.
R. P.:
Da vergeht mir echt die Lust, zu diskutieren.
Es sind ja oft die Interessen der Leserschaft, die die Positionierung und damit die Berichterstattung mitgestalten. Das zumindest sagt die Medienwissenschaft.
V. M.:
Wenn du damit recht hast, dann ist das ziemlich deprimierend.
R. P.:
Es kommt ja darauf an, wie man sich als Zeitung definiert. Wenn man über Hochkultur schreiben will, dann muss man auch mal Nischen berücksichtigen. Und das wird von der Berner Presse ganz klar nicht gemacht.
Ist Bern zu bünzlig für zeitgenössische Kunst?
R. P.:
Es ist die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Wenn die Zeitungen in ihrer Berichterstattung mehr Nischen abdeckten, dann würden es diese Nischen vielleicht auch aus dem Schatten heraus schaffen. Und das könnte helfen, das Interesse für Zeitgenössische Kunst auch bei einem breiteren Publikum zu wecken und die Kulturszene beleben.
Kommen wir mal auf die Politik zu sprechen. Es wird viel über den Mangel von Kultur-Geldern geklagt. Wie nehmt ihr das wahr?
R. P.:
Wir sind da gar nicht so schlecht dran. Das Problem ist, dass es für uns einfacher wäre ein Jahresprogramm zu erstellen und ein Jahresbudget zu beantragen und weniger projektspezifisch einzugeben. Schliesslich gibt es uns ja auch schon seit 2007. Wir verkaufen zwar Ausstellungsstücke, verdienen aber nicht daran, weil die Einnahmen direkt wieder in laufende Ausgaben fliesst.
V. M.:
Wir sind dennoch froh, dass es die einzelnen Kultur-Batzen gibt und wir unsere Projekte dadurch einfacher realisieren können.
Wie sieht da die Situation im Off-Bereich aus?
R. F.:
Recht ähnlich. Es ist meistens ein Giesskannen-Prinzip, bei dem sie jedem einfach ein bisschen geben. Die Kulturgeldkürzung ist besonders für die Off-Szene ein ziemlicher Schock: 20’000 Franken fehlen in diesem Bereich – und zwar schweizweit. Das trifft besonders die festen Off-Projekte, wie Corner Collage oder Les Complices, Transform oder Kollektiv-Bern sind da weniger betroffen. Die Stadt Bern bietet zwar eine Ausschreibung, die sich besonders an Off-Räume richtet. Aber wenn man bedenkt, dass es sicherlich sieben oder acht Off-Projekte in Bern gibt, langen die dotierten 20’000 Franken wieder nur knapp. Die geplante Onlineplattform der Stadt, die Räume zur Zwischennutzung anbieten soll, hingegen ist eine sehr positive Entwicklung.
Ein Schritt in Richtung florierender Kulturvielfalt oder nur ein Tropfen auf dem heissen Stein?
R. P.:
Also ich finde, es läuft recht viel in Bern, wenn man bedenkt, wie klein die Stadt ist.
V. M.:
Da muss ich etwas widersprechen. Kulturvielfalt in Bern ist gegeben, wenn man von Massenkultur sprechen will. Beispiele sind die Museumsnacht und das Buskers. Es mangelt aber ganz klar am subkulturellen Angebot. Kein Wunder, gehen alle Studenten nach dem Abschluss nach Anderswo.
Du, Ramon, bist Zürcher und in Bern geblieben. Warum?
R. F.:
Was höchst wahrscheinlich daran liegt, dass ich finde, dass man ja in Bern leben und trotzdem den Austausch mit Basel und Zürich pflegen kann. Es ist ja nicht so, dass man ewig dafür fahren müsste.
V. M.:
Dann könnte man fast schon ketzerisch sagen, es braucht das alles, was wir fordern, in Bern doch nicht, wenn man dafür auch die kurze Strecke nach Zürich fahren kann.
R.F.:
In Bern aber ist der Flow ganz anders als in Zürich. Es ist viel familiärer, man kennt sich schneller, ist sich näher und es gibt weniger Konkurrenzdenken. Ich kann nicht ganz auf den Punkt bringen warum, aber ich empfinde Bern als einen extrem angenehmen Ort zum Kunst-Machen und zum Über-Kunst-Reden.