«Inspiration für spätere Werke»

von Ann Schaerer 21. April 2013

In der Lehrmittelsammlung der Kantonspolizei Bern konnten sich die «Criminale 2013»-Autorinnen und -Autoren Inspirationen für weitere Kriminalromane holen. Ein Rundgang bot Einblick in das grausige und blutige Arbeitsfeld von Kriminaltechnikern.

«Es handelt sich hier nicht um Berufskunde», betont Walter Gerber. So eröffnet der Dienstchef des kriminaltechnischen Innendienstes bei der Kantonspolizei Bern einen Rundgang durch das «Kriminalmuseum» der Kantonspolizei Bern für 15 Autorinnen und -Autoren, welche anlässlich des grössten Krimifestivals Europas «Criminale 2013» in Bern gastiert sind. Doch wer weiss – vielleicht holt sich der eine oder andere von ihnen in der ansonsten nicht öffentlich zugänglichen Lehrmittel-Sammlung für angehende Kriminaltechniker und Polizisten Inspirationen für zukünftige Kriminalromane.

«Manchmal ist die Realität fast noch absurder als die Fiktion»

Walter Gerber, Dienstchef des kriminaltechnischen Innendienstes

Das Spektrum an Tatwaffen, kriminaltechnischen Instrumenten und Beweisstücken ist breit. Und so zeigen sich die Autorinnen und Autoren beispielsweise sehr beeindruckt von der stattlichen Ausrüstung an Kleinwerkzeugen eines Diebes, der sich vor einiger Zeit auf das Stehlen von Geld aus Schliessfächern und Tresoren konzentriert hatte. Das Spezielle: Er war nicht nur auf den Diebstahl an sich spezialisiert, sondern auch darauf alles so aussehen zu lassen als wäre niemals etwas aufgebrochen worden. Ein anderer Schaukasten führte eher zu betretenem Schweigen, erinnert der Bauplan für einen selbstgebastelten Sprengsatz die Anwesenden doch sofort an die jüngst verübten Anschläge am Marathon von Boston. 

Die «berühmte» Tiefkühltruhe

Walter Gerber ist nach 28 Jahren bei der Polizei wohl das, was man gemeinhin als «alten Hasen» bezeichnen könnte. Und so hat er viel über die Hintergründe der gezeigten Verbrechen zu erzählen. Diese reichen von Kreditkartenbetrug über Drogendelikte und Gefängnisausbrüchen bis hin zu Kapitalverbrechen. Die brutalen Bilder von den Tatorten sind definitiv nichts für schwache Nerven und auch die Tiefkühltruhe, welche 1985 eine zentrale Rolle in einer Berner Mordprozess gespielt hatte, lässt auch nach so vielen Jahren noch ein mulmiges Gefühl entstehen.

Ein anderer Fall bei dem ein Mann mit Hilfe von Damenfahrrädern und Kinderwagen sexuelle Praktiken ausübte, klingt fast schon nach Stoff für einen Roman. «Manchmal ist die Realität fast noch absurder als die Fiktion», meint Walter Gerber dazu. Die Autorinnen und Autoren zeigen sich gleichermassen interessiert wie schockiert.

«Der Rundgang hat mich inspiriert»

Volker Bleeck, Autor

«Kann jemand wirklich sterben, wenn Projektile aus einer Schusswaffe wahllos in die Luft geschossen werden?», fragt die Autorin Annegret Koerdt nochmals nach. «Durchaus», meint Walter Gerber und zeigt dies an einem tatsächlichen Fall auf. Der Autor Volker Bleeck möchte wissen, weshalb der eingangs erwähnte Schliessfach- und Tresor-Dieb weissen pulverisierten Pfeffer mit sich getragen habe. Dies sei ganz einfach zur Selbstverteidigung gedacht gewesen. Vermutlich hätte der Täter das Pulver zur Abwehr in das Gesicht seines Verfolgers gestreut. Soweit sei es aber damals nicht gekommen, erklärt Walter Gerber seinem interessierten Publikum.

Inspiration für farbige Krimis

Wie haben die Autorinnen und Autoren den Ausstellungsrundgang erlebt? «Ich fand den Blick in die Welt der Kriminaltechnik spannend. Bis jetzt habe ich mich eher mit modernen, computerbasierten Methoden der Kriminaltechnik befasst, daher fand ich es umso interessanter auch Einblick in ältere, ja teilweise schon historische Fälle zu erhalten», erzählt Volker Bleeck aus Hamburg, der unlängst gemeinsam mit seiner Frau, Kirsten Püttjer, den Kriminalroman «Das letzte Hemd» veröffentlicht hat. «Der Rundgang hat mich inspiriert. Ich weiss zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, ob ich später etwas davon für ein späteres Werk verwenden werde. Das passiert jeweils eher spontan», meint er weiter. So habe er beispielsweise Erkenntnisse aus einem Schiesstraining bei der Polizei erst Jahre später in einen Roman einfliessen lassen.

Auch die Aargauer Krimi-Autorin Susy Schmid ist begeistert vom Rundgang. «Alle meine Lieblingsthemen sind darin vorgekommen. Mein persönliches ‚Highlight’ war aber die Besichtigung der ‚berühmten’ Tiefkühltruhe», meint sie schmunzelnd. Die in Wettingen lebende Autorin liest am Samstag, 20. April im Rathaus Thun aus ihrem aktuellen Roman «Oktoberblau».

Ebenfalls «farbig» klingt der Titel des Krimis der rothaarigen Annegret Koerdt. «FeuerRot», hat sie ihr Erstlingswerk genannt. «Ich fand den Rundgang sehr interessant und muss zugeben, dass ich vom Einfallsreichtum der Verbrecher schon etwas fasziniert bin. Diese langen Planungen, die minutiöse Vorarbeit zu einem Ausbruch aus dem Gefängnis – auf eine ganz eigene Art genial», meint die Düsseldorferin. Als Kriminaltechnikerin könnte sie jedoch niemals arbeiten, dafür hätte sie nicht die Nerven. Lieber versetzt sie sich in ihre Roman-Figuren hinein und erlebt Gewaltdelikte «indirekt» und durch einen gewissen Filter hindurch. Sie liest am Freitag, 19. April in Balsthal aus ihrem aktuellen Buch.

Die Gruppe von Criminale-Autorinnen und –Autoren verliess eindeutig zufrieden, beeindruckt und teilweise in Gedanken versunken – vielleicht gar zum nächsten Roman? – die Lehrmittel-Sammlung im Nordring…