Das Interesse des ersten Arbeitsmarktes, Menschen mit Behinderung zu integrieren, habe in den vergangenen dreissig Jahren aber zugenommen, sagt Urs Haller, der Leiter des Bürozentrums der Stiftung Rossfeld. Rund zwei Drittel der Abgängerinnen und Abgänger der stiftungseigenen kaufmännischen Berufsschule finden einen externen Arbeitsplatz. Und doch klappt es mit der beruflichen Integration nicht immer reibungslos. «Arbeitgebende haben Angst vor krankheitsbedingten Abwesenheiten oder verfallen unbewusst dem Vorurteil, dass eine Körperbehinderung an psychische oder geistige Beeinträchtigungen gekoppelt ist.» Immer noch komme es vor, dass die Integration letztlich an baulichen Hindernissen scheitere. Wer im ersten Arbeitsmarkt aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht aufgenommen wird, hat in Bern die Möglichkeit, im Bürozentrum der Stiftung Rossfeld zu arbeiten. Die rund 70 Mitarbeitenden führen Buchhaltungen, leisten treuhänderische Dienste, kümmern sich als «outgesourcte» Sekretärinnen um die Korrespondenz und als Telefonisten um die Kundenbelange der Auftragsfirmen, sie betreiben deren Logistikzentren, erfassen Daten, drucken und versenden Jahresberichte.
In Kontakt mit der ganzen Welt
Sandra Kropf und Philippe Amann haben beide die kaufmännische Lehre abgeschlossen und gehören zum Team des Bürozentrums. Derzeit arbeiten sie an der administrativen Organisation des FICE Congress 2013, der im Oktober in Bern stattfinden wird. Es sei leichter an einem geschützten Arbeitsplatz zu sein, weil man sich nicht immer wieder erklären müsse, sagt Sandra Kropf. «Während man andernorts oft der Exot ist, ist es hier normal, dass man behindert ist.» Philippe Amann arbeitet seit 2011 im Bürozentrum. Die Herausforderungen habe er schon vorher immer gesucht.
«Ich will gefordert werden und auch an meine Grenzen stossen.»
Philippe Amann
In der Ausbildung und der anspruchsvollen Arbeit im Bürozentrum hat er sie gefunden. «Ich will gefordert werden und an meine Grenzen stossen», erklärt er. Nur so komme man weiter im Leben. «Mein behinderungsbedingtes Tempodefizit kompensiere ich zum Beispiel dadurch, dass ich den Computer beherrsche und dort umso schneller arbeite.» Man solle sich ohnehin nicht bei seinen Schwächen aufhalten sondern die Stärken betonen. Seine Stärke sei der Austausch mit anderen Menschen und die Lust an der Herausforderung. Wenn einer aus Nairobi anruft, weil er eine Zahlungsbestätigung benötige, während gleichzeitig ein Visum für eine andere Teilnehmerin beantragt werden muss, wenn es Schlag auf Schlag geht, dann blühe er auf. Auch Sandra Kropf geniesst die Internationalität der Arbeit. Bis jetzt haben sich Teilnehmende aus 35 Ländern angemeldet. «Ich komme so in Kontakt mit der ganzen Welt und lerne viel Neues. Ein Teilnehmer aus Bangladesch meldete zum Beispiel an, dass er Halal-Food wünsche – was ich bis dahin nur auf dem Papier kannte, wird jetzt gelebte Realität.»
Zeigen, wozu man fähig ist
Philippe Amann und Sandra Kropf wissen unzählige Beispiele von Hürden und Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderung zu erzählen. «Es passiert immer wieder, dass jemand denkt, wenn er mich im Rollstuhl sieht, ‹der bringts vielleicht auch im Oberstübli nicht›», sagt Amann. «Dabei hat im Grunde jeder Mensch irgendeine Beeinträchtigung», entgegnet Sandra Kropf, «aber uns sieht man unser Handicap halt auf den ersten Blick an.» Umso mehr wollen die beiden selbstbewusst auftreten und zeigen, zu was sie fähig sind: «Vielen ist gar nicht bewusst, was Menschen mit einer Behinderung alles leisten können.»
«Im Grunde hat jeder Mensch irgendeine Beeinträchtigung. Aber uns sieht man unser Handicap halt an.»
Sandra Kropf
Amann wünsche sich mehr Einfühlungsvermögen und Mut von Arbeitgebenden anstelle des Zurückschreckens. Man solle Menschen mit Behinderung mehr zutrauen und die Bequemlichkeit ablegen. «Man möchte keinen Aufwand betreiben, um uns zu integrieren und verliert dabei ganz aus den Augen, was man für den Aufwand bekommen würde: kompetente und hoch motivierte Mitarbeitende und – wenn man so will – als integrative Firma ein modernes Image.» Gezwungen werden sie zum Arbeiten nicht. Ungleich grösser ist der Wille, es zu tun. «Ich kann und will mich in eine geordnete Tagesstruktur fügen, Leistungen erbringen und mich in die Gesellschaft integrieren», so Amann. Und es geht letztlich auch um Erfolgserlebnisse und Anerkennung, die verdient werden wollen. «Das hat nichts mit Mitleid zu tun», betont Sandra Kropf, «wir wollen keine Produkte schaffen, die gekauft werden, weil sie von Behinderten gemacht worden sind.»
Vieles, aber keine Beschäftigungstherapie
Dort setzt das Bürozentrum der Stiftung Rossfeld an: «Wir machen Vieles, aber mit Sicherheit keine Beschäftigungstherapie», betont Urs Haller, «hier wird gearbeitet». Als einziges Unterscheidungskriterium gegenüber Dienstleistungen aus dem ersten Markt gelten lässt er die Zeit, welche für gewisse Arbeiten in Anspruch genommen werden müsse. Die zu den ausgehandelten Fristen abgelieferte Arbeit stünde aber den Leistungen anderer Institutionen und Firmen in keiner Weise nach. «Wir haben Leute mit ganz unterschiedlichen Ausbildungen und Ressourcen», erzählt Haller, «und diese rufen wir ab.» Für Sandra Kropf und Philippe Amann heisst dies jetzt, ihre Fremdsprachenkenntnisse und organisatorischen Fertigkeiten mobilisieren und dem Gelingen des FICE Congress Schritt für Schritt – Rampe um Rampe – näher kommen. Und wenn dieser im Oktober stattfindet, «dann werde ich genau dort sein, wo ich sein will», sagt Philippe Amann, «inmitten der Leute.»