Inklusion mit Klängen und Farben

von Mirjam Münger 2. November 2023

Der Gospelchor Liebefeld will anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums selber die Inklusion erleben. Dazu unternimmt der Chor eine Vielzahl von Schritten.

Langsame und sanfte Töne erfüllen am 27. Oktober das Atrium des Gemeindehauses in Köniz. Geübt führt der Dirigent die Sänger*innen, begleitet von den Klavierklängen. Bald darauf steigert sich das Tempo und der Chor geht in einen flotten Rhythmus über. Neben dem Chor steht eine Dolmetscherin, welche die Songs in Gebärdensprache übersetzt. Dabei bewegt die Dolmetscherin die Gebärden im Einklang des Rhythmus der Chorgesellschaft.

Bei diesem Auftritt gibt der Chor einen Vorgeschmack auf sein Projekt «Gospel inklusiv».

Nicht für, sondern mit Menschen mit Behinderungen

Für sein Jubiläum wollte der Liebefelder Gospelchor sich etwas Neues einfallen lassen. Die zündende Idee dazu entstand in einem Austausch zwischen Chormitgliedern und Michelle Zimmermann, Fachfrau für das Organisieren inklusiver Veranstaltungen, und die mit einer seltenen Hautkrankheit lebt. Daraufhin wurde das Projekt «Gospel inklusiv» ins Leben gerufen. Damit will der Chor nicht wie bislang nur für Menschen mit Behinderungen singen, wie beispielsweise bei Konzerten in Institutionen für Menschen mit Behinderungen. Stattdessen wollen die Chormitglieder Menschen mit Behinderungen beim Planen für die Konzerte und bei Auftritten in die eigenen Reihen miteinschliessen.

Inklusion mit dem Kopf und dem Herzen

Für die Frage, wie Inklusion konkret gestaltet werden kann, holte sich der Chor Michelle Zimmermann, ehemalige Organisatorin der Miss Handicap-Veranstaltungen, ins Boot. Aus diesen Gesprächen folgten viele Schritte, wie etwa ein Besuch Zimmermanns während einer Chorprobe. «Sie (Michelle Zimmermann) hat uns erklärt, was Inklusion bedeutet und auch von ihren persönlichen Erfahrungen erzählt, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben», berichtet Claudia Bühr, Vizepräsidentin des Gospelchors: «Zimmerman hat eine schöne Art, auf der Gefühlsebene zu vermitteln, wie Inklusion gelebt werden kann.»

Neben dem Chor steht eine Dolmetscherin, welche die Songs in Gebärdensprache übersetzt.

Zimmermann wird die Konzert-Abende moderieren. Und als Solistin konnte der Chor Tamara Roth, eine Gesangs-Studentin mit Tetraplegie, gewinnen. «Sie hat eine so schöne Stimme, die Zuhörende verzaubert!», schwärmt Zimmermann.

Michelle Zimmermann hat den Gospelchor in allen Inklusionsfragen begleitet (Bildquelle: ZVG).

Kein Rezept, aber den Willen

Da der Chor die Inklusion selber noch nie praktiziert hat, musste vieles neu überlegt werden. «Es gab kein Rezept, aber der Wille anzupacken, war deutlich spürbar», beschreibt Zimmermann das Engagement der Chorgruppe. Die Mitglieder hätten jede finanzielle, bauliche und organisatorische Herausforderung, die auf sie zukam, besprochen und sich eine passende Lösung überlegt.

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So sei beispielsweise die Thomaskirche, wo die nächsten Auftritte stattfinden, für Rollstuhlfahrende barrierefrei. Jedoch sei die Bühne für einen Elektrorollstuhl nicht zugänglich gewesen. Um das zu ändern, habe die Gruppe eine Rampe organisiert. So kann die Solistin Roth mit dem Chor auf der Bühne singen. «Das ist für mich gelebte Inklusion», fasst Zimmermann den Einsatz des Liebefelder Gospelchors zusammen.

Vorbereitungen für das Gebärdensprachdolmetschen

Zwei Dolmetscherinnen werden an den drei Abenden die ganze Konzertveranstaltung in Gebärdensprache übersetzen. Die Dolmetscherinnen haben Zugang zu den Hörproben auf der Homepage des Chorvereins, zu allen Liedtexten und dessen Hintergrund bekommen. Die Lieder sind deshalb auch alle aus dem Englischen, Afrikanischen und Lateinischen ins Deutsche übersetzt worden. «Auf diese Weise können wir uns optimal auf das Dolmetschen vorbereiten», sagt die Dolmetscherin Miriam Hermans.

Jeder Mensch ist anders und doch können alle etwas zu einem Ganzen beitragen. In der gemeinsamen Arbeit entsteht ein Miteinander, das im Konzert harmonisch zusammenspielt.

Die Projektgruppe hat sich auch Gedanken gemacht, wie sie Inklusion während den Auftritten visualisieren kann. Sie hat sich schliesslich entschieden, mit Kleidern und Hemden in den Farben des Regenbogens die Verschiedenheit der Menschen sichtbar zu machen. Denn die Inklusion umfasse nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch andere Minderheiten, erklärt Zimmerman. «So wie jeder Mensch einen persönlichen Klang hat, bringt jeder seine eigene Farbe mit. Jeder Mensch ist anders und doch können alle etwas zu einem Ganzen beitragen. In der gemeinsamen Arbeit entsteht ein Miteinander, das im Konzert harmonisch zusammenspielt.»

Die Vorfreude wächst

Auf dem Programm für die Konzerte im November stehen eine Reihe von Gospelsongs: ein Wechsel von peppigem Tempo und feinen, gefühlvollen Klängen. Der Chor hat nicht nur in der Gemeinde und Umgebung beworben, sondern auch in Institutionen für Menschen mit Behinderungen. Das Ziel ist, an den Konzertabenden viele Menschen mit Behinderungen im Publikum begrüssen zu können.

Familien und Freunde der Chormitglieder haben schon viel vom Projekt «Gospel inklusiv» mitbekommen und erwarten die Jubiläums-Konzertabende mit grosser Spannung.

Jubiläumskonzerte «Gospel inklusiv»

In der Thomaskirche in Liebefeld bei Bern: Freitag, 10. November 2023 um 19.30 Uhr, Samstag, 11. November 2023 um 19.30 Uhr, Sonntag, 12. November 2023 um 17.00 Uhr

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