Der Frankenkurs ist letzte Woche auf einen Wert von 1.14 Euro gesunken. Damit ist er so günstig wie zuletzt vor der Wechselkursfreigabe im Januar 2015. Industrieunternehmen in der Schweiz mit einer starken Exportorientierung in den Euro-Raum können aufatmen – ein bisschen wenigstens. Es bleiben Blessuren: Der freie Wechselkurs des Frankens gegenüber dem Euro hat tausende von Arbeitsplätzen in der Schweiz vernichtet – besonders in der Industrie. Jüngste Beispiele aus dem Kanton Bern: Die Ammann-Group AG in Langenthal streicht 130 Stellen und die Papierfabrik Utzenstorf stellt ihren Betrieb ein, was zum Verlust von 200 Arbeitsplätzen führt.
Die Gefahr der Deindustrialisierung
Diese Entwicklung ist nicht nur deshalb beunruhigend, weil sie Menschen auf einen unsicheren Arbeitsmarkt entlässt. Sie lädiert auch das industrielle Gewebe der Schweiz. Irgendwann reisst der Faden und es verschwinden für den Industriestandort wichtige Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Deindustrialisierung setzt ein – das negative Beispiel England zeigt, wie eine industrielle Grossmacht in kurzer Zeit wegen fehlender Innovation und schlechter Qualität ihre industrielle Basis einbüssen kann.
Diese Entwicklung ist zu verhindern. Volkswirtschaftlich ist die Industrie seit jeher ein wichtiger Treiber. Baumwollspinnereien leiteten die Industrialisierung in England und in Europa ein. Die Massenproduktion von Autos und anderen Konsumgütern bildete die Grundlage für die wirtschaftliche Grossmacht USA. Heute beschleunigen Computer und Internet global die technologische Innovation. Industrie ist überall. Wer bei konkurrenzfähigen Preisen die Fertigungsschritte beherrscht und die Innovation vorantreiben kann, hat gute Karten in der globalen Wirtschaft.
Gute industrielle Produkte sind wichtige Exportgüter. Deutschland hat sich mit seinen Autos und Maschinen als Exportweltmeister einen Namen gemacht. Auch die Schweiz gehört zu den grossen industriellen Exportnationen. Dabei entstehen allerdings Ungleichgewichte zwischen den Staaten. Das mündet dann in nationalistische Gegenreaktionen wie die gehässige «America first»-Kampagne von Donald Trump zeigt.
Industriestandort Kanton Bern: vielfältige Basis
In den wichtigen nationalen Wirtschaftsverbänden mit ihrer neoliberalen und finanzplatzfreundlichen Ausrichtung hat die Industrie eine schwache Stimme. Obwohl die Unternehmen unter dem seit 2015 sehr starken Franken litten, stellten sich ihre Verbände stets hinter die Nationalbank (SNB) und ihre Laissez-faire-Politik. Und natürlich war das auch die Haltung der bürgerlichen Parteien. Nur die Gewerkschaften drängten die Nationalbank zu einer Kursänderung und forderten eine aktive Industriepolitik mit konkreten Massnahmen in den Bereichen Wechselkurse, Bildung, Innovation, Unterstützung und Exportversicherung. Direkte staatliche Unterstützungen stehen nicht im Mittelpunkt.
Es ist sinnvoll, der Industrie und der damit verbundenen Wertschöpfung Sorge zu tragen: Der Warenexport der Schweiz betrug 2016 mehr als 210 Milliarden Franken. Der Kanton Bern exportierte für knapp 13 Milliarden Franken. Schweizweit ist das unterdurchschnittlich – für die kantonale Volkswirtschaft aber nicht unerheblich. Was die Zahlen für den Kanton Bern stark nach unten drückt, ist das Fehlen einer starken pharmazeutischen Industrie wie in Basel, die für einen überdurchschnittlichen Anteil an den Exporten verantwortlich ist.
Die industrielle Basis des Kantons ist vielfältig und im gesamten Kantonsgebiet verteilt: Zu nennen sind Uhren und Maschinen, Nahrungsmittel und die stark wachsende Biotechnologie. Die Firmenstruktur besteht aus einem Kern von grossen, teils privaten, teils öffentlichen Unternehmen (Swatch, Rolex, RUAG, Nestlé, CSL Behring etc.) sowie zahlreichen Zulieferern und Spezialunternehmen.
Diese Firmenstruktur ist zwar leistungsfähig, aber verschiedenen Risiken ausgesetzt: Neben dem starken Franken besonders zu erwähnen sind die tendenziell rückläufigen Investitionen. Früher wurden die Gewinne wieder in den Unternehmen angelegt. Heute werden sie vermehrt entweder auf den Finanzmärkten platziert oder den AktionärInnen ausgeschüttet: Der Shareholder Value lässt grüssen.
Nicht ohne staatliches Engagement
Die Marktkräfte allein sorgen nicht dafür, dass es für die Industrie rund läuft. Eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Fachleute, Forschungs- und Entwicklungskapazitäten sowie eine günstige Finanzierung sind zumeist staatliche Vorleistungen. Ihre Gesamtheit kann man mit gutem Gewissen als Industriepolitik bezeichnen. Der Berner Regierungsrat hat erkannt, dass mehr als 80’000 industrielle Arbeitsplätze eine wichtige Ressource sind. Er tut sich zwar nach wie vor schwer mit dem Begriff «Industriepolitik». In der Sache aber handelt er entsprechend.
Mit der Wirtschaftsstrategie 2025 setzt er auf die Clusterpolitik. Dabei soll der Kanton Bern besonders in den Bereichen Medizintechnologie und Präzisionsindustrie gestärkt werden. Zudem setzt er auf Institutionen, die als Innovationstreiber der Industrie dienen können: Der Swiss Innovation Park in Biel, die Sitem Insel AG in Bern und eine vergrösserte EMPA in Thun. Andererseits hielt er sich – der Kanton Bern ist der grösste Einzelaktionär – mit Kritik an der Politik der SNB immer zurück.
Der Kanton Bern gilt als träge. Auch seine Regierung neigt nicht zu grossen Würfen. Immerhin aber ist es ihr gelungen, Bewusstsein für die Industrie zu schaffen, und sie hat einige konkrete Verbesserungen vorzuweisen. Ob das reicht, um das industrielle Gefüge zu halten, sei dahingestellt. Es ist auf jeden Fall besser als Laissez-faire.