Als Berner Kulturschaffender beschäftigst du dich tagtäglich mit dem Gut, um das sich dieses Interview drehen soll – Kultur im Allgemeinen, Berner Kultur im Speziellen. Was aber definiert denn nun für dich Kultur?
Fabio Friedli:
Ich hab das so für mich noch nicht herausgefunden. Aber wenn ich das auseinandernehmen muss, dann braucht Kultur zum einen Menschen. Zum anderen braucht sie Platz und Zeit. Und wenn die Kulturschaffenden dann noch leben, ist das auch nicht schlecht.
Wir befinden uns aber auf dem Friedhof …
Es ist eben noch gut, wenn man jeden Tag den Tod vor Augen hat. Ich gehe hier entlang, wenn ich ins Studio muss, und wenn ich mir so jeden Tag den Tod vor Augen halte, merke ich, dass ich genau das mache, was ich machen will. Das brauche ich manchmal als Freischaffender, damit ich den Mut nicht verliere, wenn ein Projekt sich hinzieht. Und abgesehen davon, dass es mein Arbeitsweg ist, ist es eine Metapher. Und damit will ich nicht nur auf die Diskussion um das Clubsterben anspielen. Kultur hat in Bern allgemein wenig Platz.
Wo spürst du das?
Ich empfinde Kultur hier als Exklusivgut, gerade auch aus der politischen Perspektive gesehen. Zumeist fliessen Subventionen in die Marktwirtschaft, danach erst kommen kulturelle Güter. Da ist die Priorisierung etwas daneben, finde ich. Aber auch in den Köpfen der Leute hat Kultur heute kaum noch ihren Platz. Man steht auf, geht arbeiten, geht wieder schlafen und steht auf und so weiter. Da bleibt nicht viel Zeit und Lust für die Auseinandersetzung mit dem Kulturellen.
Die Diskussion um das Clubsterben hat eine breite Auseinandersetzung gefördert, Tausende von jungen Menschen am «Tanz dich frei» auf die Strasse geführt. Die Frage aber bleibt, inwieweit Clubkultur wirklich Kultur ist.
Auch ich stelle mir die Frage: Sind jetzt all diese jungen Menschen nur auf die Strasse gegangen, um Party zu machen, oder wurde das von allen Teilnehmenden wirklich als politisches Statement verstanden? Ich würde gern sagen, es stecke politisches Engagement dahinter, aber in erster Linie ist es einfach eine Party gewesen. Andererseits kann man auch sagen: Wenn schon so viele Leute auf die Strasse gehen, dann ist die Nachfrage nach Angeboten das Nachtleben betreffend da und darf von den Politikern nicht einfach ignoriert werden.
Drehen wir den Spiess um. Was aus deiner Sicht als Filmer macht dann den Film zu einem kulturellen Gut?
Zum einen ist es das Teamwork. Vor zwei Wochen habe ich meinen ersten Realfilm gedreht mit einem 20-köpfigen Team. Da kommt dann zum Beispiel der Subventions-Faktor sehr zum Tragen, schliesslich müssen die Leute auch bezahlt sein. Hinzu kommt, dass ein Film immer einen Bezug zur Realität herstellt, er lokalisiert uns zeitlich und örtlich. Sprich: Ein Film konserviert den Zeitgeist.
Wir kommen im Inselspital an, warten auf den Aufzug, der uns auf das Dach bringt. «S1», ein Café über Berns Dächern, in dem sich vor allem Spitalpatienten und ihre Besucher tummeln. Der Blick von der Dachterrasse ist bei dem Nebel nur bedingt imposant. Die Kuppeln des Bundeshauses sind im Dunst nur leicht zu erkennen.
In deinen Filmen hast du kulturelle Fremdheit und den Umgang mit ihr in der Schweiz thematisiert. Ist das einfach nur Mentalität oder doch auch eine kulturelle Komponente?
Ich habe diese Filme im Rahmen meines Studiums gemacht und mich bewusst für dieses Thema entschieden – gerade auch weil es fast schon normal ist, fremdenfeindliche Plakate im ganzen Land zu platzieren und nachher auch noch mit einer Minarettinitiative durchzukommen. Ich frage mich, ob es in den letzten Jahren besser geworden ist oder ob es einfach weniger in den Medien thematisiert worden ist.
Was denkst du?
Eher das Zweite.
Ist es für dich als Kulturschaffenden wichtig, dass diese Themen weiterhin auf der Agenda erscheinen?
Auf jeden Fall. Für mich ist es vor allem wichtig, dass diese Themen auch von der Kultur aufgegriffen werden. Schlussendlich sind die Filme besonders wertvoll, die im Kontext zum aktuellen Geschehen stehen, dieses am besten noch thematisieren und hinterfragen.
Muss Kultur also kritisieren?
Genau das macht doch Kultur spannend, wenn sie sich an gesellschaftlichen Problemen reibt. Ein gutes Berner Beispiel dafür ist das Album von Tommy Vercetti, welches ich mitproduziert habe. «Seiltänzer» ist politisch, ohne aber Teil eines Parteiprogramms zu sein. Das sieht und hört man momentan viel zu selten von jungen Künstlerinnen und Künstlern.
Kritik als ein Muss für das kulturelle Schaffen?
Muss nicht, ein Soll aber.
Sollte Kultur aber nicht auch einfach Unterhaltung sein dürfen? Oder gilt es da zu unterscheiden?
Natürlich darf es auch Unterhaltung sein. Wenn man sich im Nachtleben tummelt, ist das meist keine politisch initiierte Aktion, sondern einfach Spass. Kultur darf meiner Meinung nach alles sein, solange sie nicht etwas vorgibt zu sein, das sie nicht ist. Nicht alle, die sich in und vor der Reitschule tummeln, sind politisch engagiert. Mich eingeschlossen.
«Wenn man sich im Nachtleben tummelt, ist das meist keine politisch initiierte Aktion, sondern einfach Spass.»
Fabio Friedli
Wo siehst du Stärken, wenn es um die Berner Kulturlandschaft geht?
In der Filmförderung, zumindest wenn man es mit dem Ausland oder auch allein schon mit Zürich vergleicht. Als Berner Filmschaffender ist man privilegiert. Die Mietpreise sind niedriger, auch Ateliers und Studios sind bezahlbar. Ich persönlich muss nicht noch einen Brotjob machen, was mir wiederum Zeit gibt, in meine eigenen Projekte zu investieren. In Zürich zahlst du allein schon für Atelierräume an die 600 Franken.
Es scheint also nicht so schlecht zu stehen um die Kulturproduktion in Bern…
Im Vergleich nicht. Es ist tatsächlich weniger die Produktion, die am politischen Interessenkonflikt leidet, als vielmehr die Rezeptionsmöglichkeiten. Die Situation im Nachtleben ist schon prekär. Konzerte im kleinen Rahmen aber sind nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie auch Lärm machen und länger dauern als nur bis um 22 Uhr. Das stört Anwohner und prompt gibt es neue Auflagen seitens der Politik.
Machen wir die Eingangsfrage zur Schlussfrage, nur etwas spezifizierter: Was kommt in deinen Topf, den du mit Berner Kultur füllst?
Die Aare. Aber ist die Aare Kultur? Andererseits spielt sich das Leben im Sommer hauptsächlich an der Aare ab. Darum würde ich sagen ist sie auch ein Stück weit Berner Kultur. Es muss ja auch nicht steif definiert sein. Denn Kultur kann ja vieles sein, vom einfachen Konsum bis hin zu Tiefergreifendem, gar Gesellschaftskritischem.
Wenn die Aare Kultur ist, kann man sich auch fragen, ob zum Beispiel YB und seine Fans in den Kulturtopf gehören …
Ich fühle mich mit Fussball nicht verbunden. Für mich hat das nichts mit Kultur zu tun. Aber ich würde das niemandem absprechen wollen. Auch das darf und muss in einer Stadt wie Bern Platz haben.
Weitere Delikatessen auf der Berner Kulturspeisekarte, die du empfehlen kannst?
Mani Matter. Lo&Leduc. Das ist so richtig Bern. Sowie JJ’s Hausband, die jetzt neuerdings einmal im Monat im Kapitel Bollwerk spielt. Und Pingpong, wenn wir schon vom Sport sprechen. In Bern kann man einfach überall Pingpong spielen.